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VwGH vom 16.05.2018, Ro 2016/04/0002

VwGH vom 16.05.2018, Ro 2016/04/0002

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, den Hofrat Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision der O GmbH in W, vertreten durch die Starlinger Mayer Rechtsanwälte GmbH in 1030 Wien, Am Heumarkt 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-477/001-2015, betreffend Feststellung gemäß § 348 Gewerbeordnung 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 1. Die Revisionswerberin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in W. Sie betreibt ein gewinnorientiertes Unternehmen, das sich auf die Betreuung und Unterbringung von Asylwerbern spezialisiert hat.

2 Nach Durchführung einer EU-weiten Ausschreibung schloss der Bund mit der Revisionswerberin einen Vertrag betreffend die Durchführung der Versorgung von Asylwerbern.

3 2. Zum Verfahrensverlauf:

4 2.1. Am meldete die Revisionswerberin die Tätigkeit "Versorgung von Asylwerbern im Umfang der gemäß Art. 6 und 7 Grundversorgungsvereinbarung (BGBl. I 2004/80) aufgezählten Tätigkeiten" an einem bestimmt bezeichneten Standort als freies Gewerbe an.

5 2.2. Aus Anlass dieser Gewerbeanmeldung leitete die belangte Behörde als zuständige Gewerbebehörde ein Feststellungsverfahren gemäß § 348 GewO 1994 ein. Nach Einholung von Stellungnahmen der Wirtschaftskammer und der Arbeiterkammer Niederösterreich stellte die belangte Behörde mit (undatiertem) Bescheid fest, dass auf die im Rahmen des angemeldeten Gewerbes "Versorgung von Asylwerbern im Umfang der gemäß Art. 6 und 7 Grundversorgungsvereinbarung (BGBl. I 2004/80) aufgezählten Tätigkeiten" die Bestimmungen der Gewerbeordnung anzuwenden seien.

6 2.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig.

7 Zusammengefasst führte das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Begründung aus, es sei das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des § 2 Abs. 1 Z 10 GewO 1994 zu prüfen. Unter der Wortwendung "besonders bestellt und in die Pflicht genommen" in § 2 Abs. 1 Z 10 GewO 1994 sei die Übertragung von Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung auf Privatpersonen durch "Beleihung" bzw. "Inpflichtnahme" zu verstehen. Erstere liege vor, wenn an Privatpersonen hoheitliche Aufgaben übertragen würden, die dadurch charakterisiert seien, dass mit ihnen die Befugnis zur Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt verbunden sei. Die gegenständliche Versorgung stelle eine Aufgabe des Bundes dar, die auf dem Grundversorgungsgesetz - Bund 2005 (GVG-B 2005) beruhe. Die Revisionswerberin sei eine juristische Person des Privatrechts. Bei den der Revisionswerberin übertragenen Aufgaben würde es sich nicht um hoheitliche Befugnisse handeln und es sei überdies ein privatrechtlicher Vertrag zur Übertragung der Aufgaben geschlossen worden. Es handle sich daher nicht um eine Beleihung. Anders als bei der Inpflichtnahme durch einseitige Bestellung mittels Bescheid werde die Revisionswerberin aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages tätig. Die angemeldete Tätigkeit falle daher nicht unter die Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 1 Z 10 GewO 1994.

8 Das Gewerbe werde von der Revisionswerberin zudem gewerbsmäßig im Sinne des § 1 Abs. 2 GewO 1994 ausgeübt. Dabei würden die Merkmale der Regelmäßigkeit und der Erwerbsabsicht nicht in Frage stehen. Selbständigkeit wiederum liege vor, wenn die Tätigkeit auf eigene Rechnung und Gefahr ausgeübt werde. Für die Erfüllung der Aufgaben erhalte die Revisionswerberin eine fixe Vergütung. Sie müsse jedoch gewisse Leistungen selbst organisieren. Auch das notwendige Personal sei von ihr auszuwählen und zu entlohnen. Daher stehe es der Revisionswerberin frei, ihren Gewinn zu optimieren. Die Revisionswerberin trage das unternehmerische Risiko im Sinne des Merkmals der Selbständigkeit. Insbesondere habe die Revisionswerberin auch keinen Anspruch auf Zuweisung von Asylwerbern, sodass die Revisionswerberin das wirtschaftliche Risiko eines geringeren Leistungsbedarfs trage. Dies unterstreiche den selbständigen Charakter der Tätigkeit der Revisionswerberin im Sinne der Gewerbeordnung.

9 Im Ergebnis sei die Tätigkeit der Revisionswerberin gewerbsmäßig im Sinne des § 1 Abs. 2 GewO 1994 und falle nicht unter die Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 1 Z 10 GewO 1994.

10 Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig, weil die Frage, ob die Versorgung von Asylwerbern im Umfang der in Art. 6 und 7 Grundversorgungsvereinbarung aufgezählten Tätigkeiten unter die Bestimmungen der Gewerbeordnung falle, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe, insbesondere weil davon auszugehen sei, dass in Zukunft weitere Unternehmen dieselben Leistungen für den Bund erbringen würden.

11 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Revision mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

12 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

13 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 4.1. Zur Zulässigkeit bringt die Revision in Übereinstimmung mit der diesbezüglichen Begründung des Verwaltungsgerichts vor, die Rechtsfrage der gewerberechtlichen Einordnung der in Art. 6 und 7 Grundversorgungsvereinbarung aufgezählten Tätigkeiten sei von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung, weil diese Aufgabe gesetzlich verankert sei und auch in Zukunft österreichweit ausgeübt werde. Zur Wahrung der Rechtseinheit bedürfe es einer Klarstellung durch das Höchstgericht. Zudem habe das Verwaltungsgericht die Rechtslage gemäß § 348 GewO 1994 grob unrichtig beurteilt.

15 4.2. Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht

berechtigt.

16 4.3. Zur Rechtslage:

4.3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994, BGBl. 194, (GewO 1994) lauten auszugsweise:

"I. Hauptstück

Allgemeine Bestimmungen

1. Geltungsbereich

§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz gilt, soweit nicht die §§ 2 bis 4 anderes bestimmen, für alle gewerbsmäßig ausgeübten und nicht gesetzlich verbotenen Tätigkeiten.

(2) Eine Tätigkeit wird gewerbsmäßig ausgeübt, wenn sie selbständig, regelmäßig und in der Absicht betrieben wird, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen, gleichgültig für welche Zwecke dieser bestimmt ist; hiebei macht es keinen Unterschied, ob der durch die Tätigkeit beabsichtigte Ertrag oder sonstige wirtschaftliche Vorteil im Zusammenhang mit einer in den Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes fallenden Tätigkeit oder im Zusammenhang mit einer nicht diesem Bundesgesetz unterliegenden Tätigkeit erzielt werden soll.

(3) Selbständigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes liegt vor, wenn die Tätigkeit auf eigene Rechnung und Gefahr ausgeübt wird.

(...)

§ 2. (1) Dieses Bundesgesetz ist - unbeschadet weiterer ausdrücklich angeordneter Ausnahmen durch besondere bundesgesetzliche Vorschriften - auf die in den nachfolgenden Bestimmungen angeführten Tätigkeiten nicht anzuwenden:

(...)

10. die zur Berufsausübung zählenden und in deren Rahmen vorgenommenen Tätigkeiten der Rechtsanwälte, Notare, Verteidiger in Strafsachen, Ziviltechniker, Patentanwälte, Versicherungstechniker, Wirtschaftstreuhänder, Bilanzbuchhalter, Personalverrechner, Buchhalter und Börsesensale, den Betrieb von autorisierten Untersuchungs-, Erprobungs- und Materialprüfungsanstalten und den Betrieb von akkreditierten (zugelassenen) Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstellen und von öffentlichen Wäg- und Messanstalten sowie die Tätigkeiten sonstiger Personen oder Anstalten, die von der Behörde hiefür besonders bestellt und in Pflicht genommen wurden, die Revision und die damit im Zusammenhang ausgeübte Beratung von Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und ihnen gleichgestellten Vereinen, alle Auswanderungsgeschäfte;

(...)

f) Feststellungsverfahren der Oberbehörde über die

Anwendbarkeit der gewerberechtlichen Vorschriften und über den aufrechten Bestand von Gewerbeberechtigungen

§ 348. (1) Wird eine Gewerbeanmeldung erstattet oder um die Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage angesucht oder bei der Behörde die Feststellung beantragt, ob die Genehmigungspflicht einer Anlage im Sinne des § 74 gegeben ist, bestehen aber Zweifel, ob auf die betreffende Tätigkeit die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anzuwenden sind, so hat die Behörde über diese Frage zu entscheiden. Dies gilt auch für den Fall, wenn in einem Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 366 Zweifel bestehen, ob auf die betreffende Tätigkeit die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anwendbar sind.

(...)"

4.3.2. Die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich, BGBl. I Nr. 80/2004, (Grundversorgungsvereinbarung - Art. 15a B-VG) lautet auszugsweise:

"Artikel 1

Zielsetzung

(1) Ziel der Vereinbarung ist die bundesweite Vereinheitlichung der Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde, die im Bundesgebiet sind, im Rahmen der bestehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzbereiche. Die Grundversorgung soll bundesweit einheitlich sein, partnerschaftlich durchgeführt werden, eine regionale Überbelastung vermeiden und Rechtssicherheit für die betroffenen Fremden schaffen.

(...)

Artikel 3

Aufgaben des Bundes

(1) Der Bund führt Betreuungseinrichtungen (Betreuungsstellen, Erstaufnahmestellen) für Asylwerber. Der Bund stellt vor Neuerrichtung oder Schließung von Bundesbetreuungsstellen das Einvernehmen mit dem jeweiligen Bundesland her. Der Bund sorgt für die Erstaufnahme der Asylwerber.

(2) Der Bund richtet eine Koordinationsstelle ein. Deren Aufgaben sind:

1. Zuteilung der Asylwerber auf die Länder unter

Bedachtnahme auf den Aufteilungsschlüssel (Art. 1 Abs. 4),

2. Transporte (zu den Erstaufnahmestellen und von den

Erstaufnahmestellen in die Länder),

3. An-, Ab- und Ummeldung bei der Krankenversicherung,

soweit die betreuten Fremden durch den Bund aufgenommen werden

oder sich in Betreuungseinrichtungen des Bundes befinden,

4. administrative Abwicklung, vierteljährliche Erstellung

einer Übersicht über die finanziellen Aufwendungen aller

Vertragspartner (gegliedert nach Vertragspartnern) sowie

Verrechnung mit den Ländern,

5. bei Bedarf und über Ersuchen der Länder Unterstützung

bei der Umverteilung von Fremden gemäß Art. 2 Abs. 1 Z 4 auf

einzelne Bundesländer und

6. die Koordination und Durchführung von Maßnahmen

betreffend Rückkehrprogramme.

(...)

(5) Der Bund kann sich zur Erfüllung seiner Aufgaben gemäß der Abs. 1 (ausgenommen die Erstaufnahmestelle), Abs. 2 Z 2, Z 3 und Z 6 hinsichtlich der Maßnahmen zur Durchführung der Rückkehrprogramme sowie Abs. 4 humanitärer, kirchlicher oder privater Einrichtungen oder Institutionen der freien Wohlfahrtspflege bedienen.

(...)

Artikel 6

Grundversorgung

(1) Die Grundversorgung umfasst:

1. Unterbringung in geeigneten Unterkünften unter Achtung

der Menschenwürde und unter Beachtung der Familieneinheit,

2. Versorgung mit angemessener Verpflegung,

3. Gewährung eines monatlichen Taschengeldes für Personen

in organisierten Unterkünften und für unbegleitete minderjährige

Fremde, ausgenommen bei individueller Unterbringung gemäß Art. 9 Z 2,

4. Durchführung einer medizinischen Untersuchung im

Bedarfsfall bei der Erstaufnahme nach den Vorgaben der

gesundheitsbehördlichen Aufsicht,

5. Sicherung der Krankenversorgung im Sinne des ASVG durch

Bezahlung der Krankenversicherungsbeiträge,

6. Gewährung allenfalls darüber hinausgehender notwendiger,

durch die Krankenversicherung nicht abgedeckter Leistungen nach

Einzelfallprüfung,

7. Maßnahmen für pflegebedürftige Personen,

8. Information, Beratung und soziale Betreuung der Fremden

durch geeignetes Personal unter Einbeziehung von Dolmetschern zu

deren Orientierung in Österreich und zur freiwilligen Rückkehr,

9. Übernahme von Transportkosten bei Überstellungen und

behördlichen Ladungen,

10. Übernahme der für den Schulbesuch erforderlichen

Fahrtkosten und Bereitstellung des Schulbedarfs für Schüler,

11. Maßnahmen zur Strukturierung des Tagesablaufes im

Bedarfsfall,

12. Gewährung von Sach- oder Geldleistungen zur Erlangung

der notwendigen Bekleidung,

13. Kostenübernahme eines ortsüblichen Begräbnisses oder

eines Rückführungsbetrages in derselben Höhe und

14. Gewährung von Rückkehrberatung, von Reisekosten sowie

einer einmaligen Überbrückungshilfe bei freiwilliger Rückkehr in das Herkunftsland in besonderen Fällen.

(...)

Artikel 7

Sonderbestimmungen für unbegleitete minderjährige Fremde

(1) Die Vertragspartner kommen überein, dass unbegleitete minderjährige Fremde einer über Art. 6 hinausgehenden Grundversorgung bedürfen. Diese werden durch Maßnahmen zur Erstabklärung und Stabilisierung unterstützt, die der psychischen Festigung und dem Schaffen einer Vertrauensbasis dienen sollen. Im Bedarfsfall ist darüber hinaus sozialpädagogische und psychologische Unterstützung zu gewähren. Die Unterbringung hat in einer Wohngruppe, einem Wohnheim, in einer sonstigen geeigneten organisierten Unterkunft, in betreutem Wohnen oder in individueller Unterbringung zu erfolgen.

(2) Wohngruppen sind für unbegleitete minderjährige Fremde mit besonders hohem Betreuungsbedarf einzurichten. Wohnheime sind für nicht selbstversorgungsfähige unbegleitete minderjährige Fremde einzurichten. Betreutes Wohnen ist für Betreute einzurichten, die in der Lage sind, sich unter Anleitung selbst zu versorgen.

(3) Darüber hinaus umfasst die Betreuung unbegleiteter

minderjähriger Fremder

1. eine an deren Bedürfnisse angepasste Tagesstrukturierung

(Bildung, Freizeit, Sport, Gruppen- und Einzelaktivitäten, Arbeit

im Haushalt) und

2. die Bearbeitung von Fragen zu Alter, Identität, Herkunft

und Aufenthalt der Familienangehörigen,

3. die Abklärung der Zukunftsperspektiven in Zusammenwirken

mit den Behörden,

4. gegebenenfalls die Ermöglichung der

Familienzusammenführung und

5. gegebenenfalls die Erarbeitung eines Integrationsplanes

sowie Maßnahmen zur Durchführung von Schul-, Ausbildungs- und Berufsvorbereitungsaktivitäten unter Nutzung der bestehenden Angebote mit dem Ziel der Selbsterhaltungsfähigkeit.

(...)"

4.3.3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes, mit dem die Grundversorgung von Asylwerbern im Zulassungsverfahren und bestimmten anderen Fremden geregelt wird (Grundversorgungsgesetz - Bund 2005; GVG-B 2005), BGBl. Nr. 405/1991 idF BGBl. I Nr. 145/2017, lauten auszugsweise:

"Begriffsbestimmungen

§ 1. Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1. Asylwerber im Zulassungsverfahren: ein Asylwerber, der

einen Asylantrag eingebracht hat, über dessen Zulässigkeit noch

nicht entschieden und dessen Verfahren nicht gemäß § 24 des

Asylgesetzes 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 eingestellt wurde;

2. Grundversorgungsvereinbarung: die Vereinbarung zwischen

dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich in der geltenden Fassung;

3. Versorgung: die gemäß der Art. 6 und 7 der Grundversorgungsvereinbarung zu erbringenden Leistungen;

(...)

Durchführung der Versorgung

§ 4. (1) Zur Durchführung der Versorgung kann sich der Bundesminister für Inneres, soweit dies nicht auf Grund Art. 3 Abs. 5 Grundversorgungsvereinbarung ausgeschlossen ist, humanitärer, kirchlicher oder privater Einrichtungen bedienen; diese werden für den Bundesminister für Inneres tätig und haben diesem über Aufforderung oder bei sonstiger Notwendigkeit zu berichten und sind an dessen Weisungen gebunden.

(2) Die beauftragten Einrichtungen haben die in Vollziehung dieses Gesetzes eingesetzten Bediensteten vertraglich zur Verschwiegenheit zu verpflichten. (...)"

17 4.4. § 1 Abs. 1 GewO 1994 normiert den sachlichen Anwendungsbereich der Gewerbeordnung durch eine Generalklausel zugunsten einer Anwendung der Gewerbeordnung im Falle der gewerbsmäßigen Ausübung nicht gesetzlich verbotener Erwerbstätigkeiten, sofern nicht die Ausnahmen der §§ 2 bis 4 GewO 1994 für eine bestimmte Tätigkeit anderes vorsehen.

18 Fallbezogen stellt sich die Frage, ob die von der Gewerbeanmeldung der Revisionswerberin umfassten Tätigkeiten als solche von sonstigen Personen oder Anstalten zu qualifizieren sind, die von der Behörde hiefür besonders bestellt und in die Pflicht genommen wurden, und damit unter den Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 1 Z 10 GewO 1994 fallen.

19 4.5. Die Revision führt zu dieser Rechtsfrage aus, es liege eine Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung vor, die auf eine juristische Person des Privatrechts übertragen worden sei. Schon daraus ergebe sich die Erfüllung des erwähnten Ausnahmetatbestandes, ohne dass es darauf ankomme, ob es sich um eine "Beleihung" oder "Inpflichtnahme" handle. Im Übrigen könne sowohl die "besondere Bestellung" als auch die "Inpflichtnahme" auf einem Vertrag gründen.

20 Dieser Rechtsansicht ist aus folgenden Erwägungen nicht zuzustimmen:

21 4.5.1. Unter Beleihung versteht man die Betrauung natürlicher oder juristischer Personen privaten Rechts mit der Zuständigkeit zur Setzung von Hoheitsakten in eigener Organkompetenz und Verantwortung. Beleihungen erfolgen durch Gesetz oder durch hoheitlichen Verwaltungsakt. Sie begründen eine Organfunktion des Beliehenen im Bereich der Hoheitsverwaltung. Die Funktion des Beliehenen geht dabei über die unselbständige Stellung eines Verwaltungshelfers hinaus und umfasst (unbeschadet der Möglichkeit einer Weisungsgebundenheit des Beliehenen) die Kompetenz zur selbständigen Entscheidung über die Erlassung und den Inhalt von Hoheitsakten (vgl. , mit Hinweis auf Adamovich/Funk/Holzinger/Frank, Österreichisches Staatsrecht IV2, Rz 46.040 ff).

22 Unter Inpflichtnahme werden verschiedene Formen der Mitwirkung Privater an der Erfüllung von Aufgaben öffentlicher Verwaltung, auch der Hoheitsverwaltung, zusammengefasst. Im Unterschied zur Beleihung geht es dabei um bloß unterstützende und verwaltungsentlastende Tätigkeiten; eine Kompetenz zur selbständigen Entscheidung über die Setzung von Hoheitsakten ist damit nicht verbunden. Die Inpflichtnahme zeichnet sich demnach dadurch aus, dass die Heranziehung des Privaten unabhängig von dessen Zustimmung erfolgt (vgl. wiederum Adamovich/Funk/Holzinger/Frank, Österreichisches Staatsrecht IV2, Rz 46.044). Als charakteristisch für die Inpflichtnahme wird die "hoheitliche Verpflichtung privater Kräfte zur Gemeinwohlverwirklichung" angesehen. Dabei schließt das Abstellen auf den Zwangscharakter der Heranziehung auch alle Formen einer aus freien Stücken erfolgenden vertraglichen Heranziehung der Privaten als möglichen Inhalt des Inpflichtnahmebegriffs aus (vgl. Zellenberg, Inpflichtnahme, in Fuchs/Merli/Pöschl/Sturn/Wiederin/Wimmer (Hrsg), Staatliche Aufgaben, private Akteure Bd 2 (2017), 129 (149 ff)).

23 4.5.2. Mit der Wortfolge in § 2 Abs. 1 Z 10 GewO 1994, "Tätigkeiten sonstiger Personen oder Anstalten, die von der Behörde hiefür besonders bestellt und in die Pflicht genommen wurden", sind den übereinstimmenden Literaturmeinungen zufolge Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung bzw. im Bereich der öffentlichen Verwaltung erfasst, die auf Privatpersonen, juristische Personen des Privatrechts oder Anstalten übertragen werden. Es sind darunter - worauf bereits das Verwaltungsgericht verweist - die im Rahmen der Beleihung oder Inpflichtnahme erbrachten Leistungen zu verstehen (vgl. Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO3, § 2 Rz 34; ebenso Wallnöfer in Ennöckl/Raschauer/Wessely, Kommentar zur Gewerbeordnung 1994,§ 2 Rz 52).

24 Wesentlich für die Ausnahme vom Geltungsbereich der Gewerbeordnung nach § 2 Abs. 1 Z 10 ist, dass die Ermächtigung bzw. die Inpflichtnahme durch hoheitlichen Akt erfolgt. Tätigkeiten, die für eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht im Rahmen einer zivilrechtliche Vereinbarung erbracht werden, sind nicht von dem Ausnahmetatbestand erfasst und unterliegen somit - sofern es sich um grundsätzlich gewerbliche Tätigkeiten handelt - den Vorschriften der Gewerbeordnung (vgl. wiederum Wallnöfer in Ennöckl/Raschauer/Wessely, Kommentar zur Gewerbeordnung 1994,§ 2 Rz 52).

25 Dieses Verständnis vom Ausnahmetatbestand ist insofern begründet, als die Gewerbeordnung eine Rechtsgrundlage für die Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr darstellt und Gewinnorientierung beim Handeln der teilnehmenden Personen im Vordergrund steht. Dieser Grundgedanke tritt im Falle der unfreiwilligen Heranziehung einer Person zur Ausübung einer Tätigkeit zur Gemeinwohlverwirklichung im weitesten Sinne in den Hintergrund. Zudem dient der Vollzug hoheitlicher Aufgaben vordergründig nicht der Optimierung geschäftlicher Ziele.

26 Die Einschränkung des strittigen Ausnahmetatbestandes auf die Fälle der "Beleihung" bzw. "Inpflichtnahme" im oben dargestellten Sinn steht im Übrigen in einem systematischen Zusammenhang mit den übrigen in § 2 Abs. 1 Z 10 GewO 1994 geregelten Ausnahmen, die jeweils Tätigkeiten bezeichnen, mit deren Ausübung auch die Wahrnehmung öffentlicher Interessen verbunden ist, und erlaubt eine handhabbare Abgrenzung für den Anwendungsbereich der Gewerbeordnung.

27 4.5.3. Folgte man demgegenüber der Ansicht der Revisionswerberin, die Gewerbeordnung verstünde unter dem strittigen Ausnahmetatbestand ebenso die Übertragung einer Tätigkeit durch vertragliche Vereinbarung zwischen Staat und einem privaten Auftragnehmer (in diesem Sinne auch Stolzlechner, Unterbringung, Verpflegung und Betreuung von Asylwerberinnen und Asylwerbern aus der Perspektive der Gewerbeordnung, FABL 3/2014-I, 59 ff), so hinge die Anwendung der Gewerbeordnung auf die betreffende Tätigkeit von der Identität des Auftraggebers ab. Es ist aber kein sachlich gerechtfertigter Grund dafür ersichtlich, eine Tätigkeit von der Gewerbeordnung bereits für den (bloßen) Fall auszunehmen, dass diese für einen Hoheitsträger - mit anderen Worten: in dessen Auftrag - erbracht wird. Es besteht zwar die Möglichkeit, dass Private im Bereich der staatlichen Privatwirtschaftsverwaltung im Wege zivilrechtlicher Vereinbarung zu Hilfstätigkeiten herangezogen werden können. Eine solche Tätigkeit erfüllt aber nicht den hier zur Rede stehenden Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 1 Z 10 GewO 1994.

28 4.5.4. Nach dem oben Gesagten hängt die Frage, ob die Übertragung bestimmter Funktionen auf einen privaten Rechtsträger als Beleihung oder Inpflichtnahme zu qualifizieren ist, jedenfalls auch davon ab, in welcher Form der betroffene Rechtsträger mit den jeweiligen Aufgaben betraut wurde.

29 Ausgehend von der unstrittigen Tatsache, dass die Revisionswerberin im Rahmen eines Vergabeverfahrens mit den Leistungen beauftragt wurde, bildet jedenfalls eine zivilrechtliche Vereinbarung die Grundlage für die Leistungserbringung durch die Revisionswerberin, der ein im Rahmen der Ausschreibung gelegtes Anbot der Revisionswerberin zugrunde liegen muss. Die Legung eines Angebotes drückt zudem die Zustimmung zur Übernahme der ausgeschriebenen vertraglichen Verpflichtungen aus.

30 Die Annahme einer Beleihung oder Inpflichtnahme scheidet danach fallbezogen schon deshalb aus, weil die Revisionswerberin auf der Grundlage eines nach Durchführung eines Vergabeverfahrens geschlossenen Vertrages - und nicht unmittelbar auf Grund des Gesetzes oder Bestellung durch Hoheitsakt - tätig wird.

31 Die angemeldete Tätigkeit der Revisionswerberin erfüllt demnach nicht den Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 1 Z 10 GewO 1994, weshalb die Bestimmungen der Gewerbeordnung auf diese anzuwenden sind.

32 4.6. Weiter führt die Revision rechtliche Gründe ins Treffen, mit welchen sie der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, die Revisionswerberin übe das angemeldete Gewerbe selbständig im Sinne des § 1 Abs. 2 GewO 1994 aus, entgegentritt.

33 4.6.1. Sache des Feststellungsverfahrens nach § 348 Abs. 1 GewO 1994 ist die abstrakte Rechtsfrage der Anwendbarkeit der GewO 1994 auf die dem Anlassverfahren zugrundeliegende konkrete Tätigkeit, dies in Abgrenzung zu den als Ausnahme in § 2 GewO 1994 und in besonderen bundesgesetzlichen Vorschriften angeführten Tätigkeiten, auf welche die GewO 1994 nicht anzuwenden ist (vgl. auch Paliege-Barfuß, GewO15 (2013), Anm. 2 zu § 2). Hingegen ist die Frage, ob die betreffende Tätigkeit im Einzelfall gewerbsmäßig im Sinne des § 1 Abs. 2 GewO 1994 ausgeübt wird, nicht im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 348 Abs. 1 GewO 1994 zu klären

(vgl. Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO3, § 348 Rz 5). Die Frage, ob die im Anlassverfahren maßgebliche Tätigkeit gewerbsmäßig im Sinne des § 1 Abs. 2 GewO 1994 ausgeübt werde und aus diesem Grund für die ausgeübte Tätigkeit eine Gewerbeberechtigung erforderlich sei, kann nach dem Obgesagten nicht zum Gegenstand eines Feststellungsverfahrens nach § 348 Abs. 1 GewO 1994 gemacht werden (vgl. zu allem ausführlich ).

34 4.6.2. Die Rechtsfrage, ob die Revisionswerberin bei der Ausführung ihrer Tätigkeiten gewerbsmäßig im Sinne der Kriterien des § 1 Abs. 2 GewO 1994 handelt oder nicht, ist daher nicht im Rahmen dieses Verfahrens zu klären. Davon ausgehend ist auf die Ausführungen der Revision zur Frage der Selbständigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 GewO 1994 nicht einzugehen.

35 Die Revision war aus diesen Gründen abzuweisen. 36 Ein Ausspruch zum Aufwandersatz konnte mangels Beteiligung

der belangten Behörde am Revisionsverfahren unterbleiben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RO2016040002.J00

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