VwGH vom 27.04.2017, Ro 2016/02/0007
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision des J K in E, vertreten durch Mag. Günther Kiegerl, Rechtsanwalt in 8530 Deutschlandsberg, Hauptplatz 42/I, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 30.19-3250/2015-8, betreffend Übertretung kraftfahrrechtlicher Vorschriften (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom wurde dem Revisionswerber vorgeworfen, als Fahrer des im Spruch näher angeführten Kraftfahrzeuges, welches zur Güterbeförderung im Straßenverkehr eingesetzt sei und dessen höchst zulässiges Gesamtgewicht einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3.5 t übersteige, an einem näher bezeichneten Ort folgende Übertretung begangen zu haben:
"Es wurde festgestellt, dass Sie am um 10.50 Uhr die erforderlichen Unterlagen nicht vorgelegt haben, obwohl der Fahrer, wenn er ein Fahrzeug lenkt, das mit einem Kontrollgerät gemäß Anhang I B ausgerüstet ist, dem Kontrollbeamten auf Verlangen jederzeit Folgendes vorlegen können muss: alle während des laufenden Tages und der vorausgehenden 28 Tage erstellten handschriftlichen Aufzeichnungen und Ausdrucke, die gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 und der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 vorgeschrieben sind. Es fehlten folgende Unterlagen: es fehlte die Bescheinigung über lenkfreie Tage für bis , bis , , , weiters vom bis .
Dies stellt anhand des Anhanges III der Richtlinie 2006/22/EG i.d.g.F. einen sehr schwerwiegenden Verstoß dar."
Der Revisionswerber habe dadurch gegen § 134 Abs. 1 KFG i. V.m. Art 15 Abs. 7 EG-VO 3821/85 verstoßen. Über ihn wurde eine Geldstrafe von EUR 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage und 12 Stunden) verhängt.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis dem Grunde nach ab. Hinsichtlich des Strafausmaßes gab es der Beschwerde dahingehend Folge, als es die Geldstrafe gemäß § 19 VStG i. V.m. § 38 VwGVG mit EUR 150,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag) neu festsetzte. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig.
3 Im angefochtenen Erkenntnis hielt das Verwaltungsgericht unter anderem fest, dass unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der mündlichen Verhandlung und jener Unterlagen und Dokumente, auf die in der Verhandlung Bezug genommen worden sei, sowie der auftragsgemäß nachgereichten Stellungnahme über die Lieferadresse am Tattag von folgenden Feststellungen auszugehen sei:
Der Revisionswerber sei gelernter Maurer und seit April 2001 Inhaber der Gewerbeberechtigung "gewerbsmäßige Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen im Fernverkehr (Güterfernverkehr), mit zwei LKW" und seit Februar 2002 Inhaber des Gewerbes "Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, wenn die Summe der höchstzulässigen Gesamtgewichte insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt (freies Güterbeförderungsgewerbe), eingeschränkt auf die Verwendung von sieben KFZ", dies jeweils mit einem näher bezeichneten Gewerbestandort. Der Revisionswerber betreibe das Güterbeförderungsgewerbe als Einzelunternehmer und beschäftige sechs Arbeitnehmer, davon zwei LKW-Fahrer und vier Personen mit B-Führerschein für die Fahrzeuge bis 3,5 t. Büroangelegenheiten, insbesondere das Verrechnen der einzelnen Transportscheine und das Disponieren, würden vom Revisionswerber selbst und dessen Gattin durchgeführt, wobei der Revisionswerber das Disponieren als Haupttätigkeit durchführe.
Am Tattag habe der Revisionswerber den gegenständlichen Lastkraftwagen mit einem Gesamtgewicht von 5.000 kg, welcher zugelassen sei für die gewerbsmäßige Beförderung von Gütern, gelenkt, weil sein Arbeitnehmer H., der für die konkrete Fahrt eingeteilt gewesen sei, aufgrund eines nicht geplanten Auftrages einer Sonderfahrt die Fahrt nicht habe übernehmen können. Der Revisionswerber habe das Fahrzeug vom Firmensitz zur M. GmbH gelenkt, wo er CNC-Fertigprodukte übernommen habe und diese zur K. GmbH transportiert habe, wo die CNC-Fertigprodukte entladen worden seien und Rohmaterial geladen worden sei, das wiederum zur M. GmbH zu transportieren gewesen sei. Auf der Rückfahrt sei der Revisionswerber angehalten worden und es sei eine Lenker- und Fahrzeugkontrolle durchgeführt worden. Die Fahrerkarte sei ausgewertet und der Zeitstrahl erstellt worden. Der Revisionswerber habe nicht für alle dem Kontrolltag unmittelbar vorausgehenden 28 Tage handschriftliche Aufzeichnungen und Ausdrucke vorweisen können. Es hätten die Bescheinigungen über die lenkfreien Tage, die im Spruch des Straferkenntnisses näher angeführt worden seien, gefehlt.
Die Entfernung des Betriebsstandortes von der K. GmbH in G. betrage in Luftlinie 47,80 km. Die Entfernung des Betriebsstandortes von der M. GmbH in H. betrage in Luftlinie 1,96 km.
Der festgestellte Sachverhalt sei im Wesentlichen unstrittig, insbesondere werde die im Spruch vorgehaltene Tathandlung nicht bestritten.
Nach Zitierung der relevanten Normen führte das Verwaltungsgericht zum gegenständlichen Fall rechtlich aus, dass der Revisionswerber Unternehmer sei und seine Haupttätigkeit das Disponieren sei. Das Fahrzeug, das er tatzeitlich gelenkt habe, weise eine zulässige Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 t auf und sei von ihm innerhalb eines Umkreises von 50 km Luftlinie vom Standort des Unternehmens benutzt worden. Dennoch komme die eingeschränkte Freistellung nach § 3 L-AVO, in der tatzeitlich anzuwendenden Fassung, nicht zur Anwendung, weil der Revisionswerber die konkret transportierte Ware nicht zur Ausübung seines Berufes des Güterbeförderungsunternehmens benötige. Es sei zwar unzweifelhaft nachvollziehbar, dass ohne zu transportierende Ware bzw. Material ein Güterbeförderungsgewerbe auf Dauer nicht erfolgreich bestehen könne, dennoch seien weder die CNC-Produkte noch das Rohmaterial erforderlich, damit der Revisionswerber sein Unternehmen führen könne; dies unterscheide sich wesentlich von den Anwendungsfällen des § 3 L-AVO, wie etwa einem Kran- oder Baggerfahrer, der eben zur Ausübung seines Berufes als Kran- oder Baggerfahrer auf den konkret mit LKW transportierten Kran oder Bagger angewiesen sei. Die Tatbestandvoraussetzungen für die angelastete Verwaltungsübertretung lägen folglich vor; in subjektiver Hinsicht sei vom Vorliegen des Verschuldens zumindest in Form der Fahrlässigkeit auszugehen. Bei der angelasteten Verwaltungsübertretung handle es sich um ein Ungehorsamsdelikt im Sinne des § 5 VStG. Der Revisionswerber habe auch nicht glaubhaft dartun können, dass ihn an der Übertretung kein Verschulden treffe. Zur Strafbemessung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Mindeststrafe für die gegenständliche Verwaltungsübertretung EUR 300,-- betrage. Unter Anwendung des § 20 VStG sei die Mindeststrafe auf EUR 150,-- herabzusetzen gewesen, weil der Milderungsgrund unter Bedachtnahme darauf, dass der Revisionswerber schon seit 17 Jahren, ohne Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, das Güterbeförderungsgewerbe ausübe, ein schwerwiegender sei, dem keinerlei Erschwerungsgründe gegenüberstünden.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen gewesen sei, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukomme. Es gebe keine Rechtsprechung, die über die Anwendung des § 3 L-AVO in der Fassung BGBl. II Nr. 10/2010 auf den Unternehmer eines Güterbeförderungsgewerbes als ausnahmsweisen Lenker abspreche.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit den Anträgen, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGG aufheben oder das angefochtene Erkenntnis abändern und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG endgültig einstellen, sowie jedenfalls dem Revisionswerber Kostenersatz zuerkennen. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Art. 15 Abs. 7 lit b der VO (EWG) Nr. 3821/85 des Rates vom über das Kontrollgerät im Straßenverkehr, ABl. L 370 vom , S. 8, in der hier anzuwendenden Fassung (geändert durch Art. 26 Z 4 der VO (EG) Nr. 561/2006) legt Folgendes fest:
"Lenkt der Fahrer ein Fahrzeug, das mit einem Kontrollgerät gemäß Anhang I B ausgerüstet ist, so muss er den Kontrollbeamten auf Verlangen jederzeit Folgendes vorlegen können:
i) Die Fahrerkarte, falls er Inhaber einer solchen Karte ist,
ii) alle während der laufenden Woche und der vorausgehenden
15 Tage erstellten handschriftlichen Aufzeichnungen und Ausdrucke,
die gemäß der vorliegenden Verordnung und der
Verordnung (EG) Nr. 561/2006 vorgeschrieben sind, und
iii) die Schaublätter für den Zeitraum gemäß dem vorigen
Unterabsatz, falls er in dieser Zeit ein Fahrzeug gelenkt hat, das mit einem Kontrollgerät gemäß Anhang I ausgerüstet ist.
Nach dem umfasst der in Ziffer ii genannte Zeitraum jedoch den laufenden Tag und die vorausgehenden 28 Tage".
6 Gemäß Art. 3 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 3821/85 in der Fassung der VO (EG) Nr. 561/2006 können die Mitgliedstaaten die in Art. 13 Abs. 1 und 3 der VO (EG) Nr. 561/2006 genannten Fahrzeug von der Anwendung der VO (EWG) Nr. 3821/85 freistellen.
7 § 134 Abs. 1 KFG, BGBl. Nr. 267/1967
i. d.F. BGBl. I Nr. 43/2013, bestimmt wie folgt:
"Wer diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheiden oder sonstigen Anordnungen, den Artikeln 5 bis 9 und 10 Abs. 4 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006, der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 oder den Artikeln 5 bis 8 und 10 des Europäischen Übereinkommens über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR), BGBl. Nr. 518/1975 in der Fassung BGBl. Nr. 203/1993, zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 5 000 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen (...)".
8 § 3 Z 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, mit der für Lenkerinnen und Lenker bestimmter Kraftfahrzeuge Abweichungen von den Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 561/2006 sowie vom Arbeitszeitgesetz festgelegt werden (Lenker/innen-Ausnahmeverordnung - L-AVO), BGBl. II Nr. 10/2010, lautet:
"Eingeschränkte Freistellung
§ 3. Die Lenkerinnen und Lenker folgender Fahrzeuge werden von der Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 gemäß Artikel 3 Abs. 2 sowie von der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 gemäß Artikel 13 Abs. 1 zur Gänze freigestellt, wenn das Lenken des Fahrzeuges für die Lenkerin oder den Lenker nicht die Haupttätigkeit darstellt:
1. Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen mit einer
zulässigen Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 t, die in einem Umkreis von 50 km vom Standort des Unternehmens zur Beförderung von Material, Ausrüstungen oder Maschinen benutzt werden, die der Lenker oder die Lenkerin zur Ausübung seines Berufes benötigt;"
9 Bis zur Aufhebung durch die VO (EG) Nr. 561/2006 regelte Art 13 Abs. 1 lit g VO (EWG) Nr. 3820/85 des Rates vom über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr, ABl. L 370, vom , S. 1, die hier in Rede stehende Ausnahmebestimmung wie folgt:
"(1) Ein Mitgliedstaat kann für sein Hoheitsgebiet oder mit Zustimmung des betreffenden Mitgliedstaates für das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates Abweichungen von jeder Bestimmung dieser Verordnung zulassen, die Beförderungen mit Fahrzeugen einer oder mehrerer der folgenden Arten betreffen:
...
g) Fahrzeuge, die in einem Umkreis von 50 km vom Standort des Fahrzeugs zur Beförderung von Material oder Ausrüstungen verwendet werden, die der Fahrer in Ausübung seines Berufes benötigt; Voraussetzung ist, daß das Führen des Fahrzeugs für den Fahrer nicht die Haupttätigkeit darstellt und die mit dieser Verordnung verfolgten Ziele durch die Abweichung nicht ernsthaft beeinträchtigt werden. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß diese Abweichung nur im Rahmen von Einzelgenehmigungen gewährt wird;"
10 Art 13 Abs. 1 lit d der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates, ABl. L 102 vom , S. 1, lautet wie folgt:
"(1) Sofern die Verwirklichung der in Artikel 1 genannten Ziele nicht beeinträchtigt wird, kann jeder Mitgliedstaat für sein Hoheitsgebiet oder mit Zustimmung der betreffenden Mitgliedstaaten für das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates Abweichungen von den Artikeln 5 bis 9 zulassen und solche Abweichungen für die Beförderung mit folgenden Fahrzeugen an individuelle Bedingungen knüpfen:
d) Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen mit einer
zulässigen Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 t,
(...)
die zur Beförderung von Material, Ausrüstungen oder Maschinen benutzt werden, die der Fahrer zur Ausübung seines Berufes benötigt.
Diese Fahrzeuge dürfen nur in einem Umkreis von 50 km vom Standort des Unternehmens und unter der Bedingung benutzt werden, dass das Lenken des Fahrzeuges für den Fahrer nicht die Haupttätigkeit darstellt."
11 Der Revisionswerber bringt in seiner Revision vor, vom Verwaltungsgericht sei im vorliegenden Fall richtigerweise die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 3 Z 1 L-AVO zu prüfen gewesen. Das Verwaltungsgericht sei im Rahmen seiner Entscheidungsfindung richtigerweise auch zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht das Lenken eines LKWs, sondern das Disponieren die Haupttätigkeit des Revisionswerbers darstelle; weiters, dass das vom Revisionswerber zum Tatzeitpunkt gelenkte Fahrzeug eine zulässige Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 t aufgewiesen habe und das betroffene Kfz vom Revisionswerber nur innerhalb eines Umkreises von 50 km Luftlinie vom Standort des Unternehmens des Revisionswerbers benutzt worden sei. Unrichtigerweise sei jedoch vom Verwaltungsgericht das Vorliegen der letzten Voraussetzung für die Anwendbarkeit der zitierten Ausnahmebestimmung, nämlich die Beförderung von Material, Ausrüstungen oder Maschinen, die der Lenker oder die Lenkerin zur Ausübung seines Berufes benötigt, verneint worden.
Bei einer richtigen rechtlichen Beurteilung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes hätte das Verwaltungsgericht erkennen müssen, dass es sich bei dem Ladegut - welcher Art auch immer - eines Güterbeförderungsunternehmens um ein "Material" oder eine "Ausrüstung" handle, welches zur Ausübung des Berufes des Güterbeförderungsgewerbes benötigt werde. Daher wäre auch die letzte für die Anwendbarkeit der zitierten Ausnahmebestimmung erforderliche Voraussetzung zu bejahen gewesen. So wie etwa auch ein Kran- oder Baggerfahrer zur Ausübung seines Berufes als Kran- oder Baggerfahrer auf den mit einem LKW transportierten Kran oder Bagger angewiesen sei, sei auch der Revisionswerber zur Ausübung seines Berufes des Güterbeförderungsgewerbes auf das mit einem LKW transportierte Ladegut angewiesen.
12 Die Revision ist aufgrund der bislang fehlenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 3 Z 1 L-AVO zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
13 Vorauszuschicken ist, dass der Revisionswerber auch als ausnahmsweiser Lenker des gegenständlichen Fahrzeuges in den Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr. 3821/85 fällt. Die Definition des Art. 4 lit c VO (EG) Nr. 561/2006, die auch für die VO (EWG) Nr. 3821/85 relevant ist (vgl. Art. 2 der VO (EWG) Nr. 3821/85 i.V.m. Art. 26 Z 2 der VO (EG) Nr. 561/2006) bestimmt diesbezüglich unter anderem, dass unter "Fahrer" jede Person zu verstehen ist, die das Fahrzeug, sei es auch nur kurze Zeit, selbst lenkt (vgl. dazu u.a. auch Zl. 99/02/0056). Dies trifft auf den Revisionswerber im vorliegenden Fall zu.
14 Der Revisionswerber bestreitet die grundsätzliche Anwendung der VO (EWG) Nr. 3821/85 im gegenständlichen Fall nicht, sondern vertritt die Ansicht, er falle mit der von ihm vorgenommenen Beförderung unter die Ausnahmebestimmung des § 3 L-AVO und sei aus diesem Grund zu Unrecht nach Art. 15 Abs. 7 der VO (EWG) Nr. 3821/85 bestraft worden.
Im Verfahren blieb in diesem Zusammenhang unstrittig, dass das Fahrzeug, das der Revisionswerber lenkte, eine zulässige Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 t aufwies, sowie, dass dieses Fahrzeug innerhalb eines Umkreises von 50 km vom Standort des Unternehmens des Revisionswerbers benutzt wurde. Unbestritten blieb weiters, dass die Tätigkeit des Lenkens dieses Fahrzeuges für den Revisionswerber nicht die Haupttätigkeit darstellte. Im Revisionsverfahren ist somit lediglich strittig, ob der Revisionswerber im Sinne der Voraussetzungen des § 3 Z 1 L-AVO das Fahrzeug "zur Beförderung von Material oder Ausrüstungen" benutzt hat, die er "zur Ausübung seines Berufes benötigt".
15 Da § 3 Z 1 L-AVO auf Art. 13 Abs. 1 lit g der VO (EWG) Nr. 3820/85 bzw. auf Art 13 Abs. 1 lit d der VO (EG) Nr. 561/2006 (mit welcher die VO (EWG) Nr. 3820/85 aufgehoben wurde) zurückgeht und aufgrund dieser Verordnungen erlassen wurde, ist im vorliegenden Fall eine unionsrechtskonforme Auslegung der gegenständlichen Begriffe geboten.
16 Der Revisionswerber bringt zusammengefasst vor, dass es sich bei dem Ladegut "welcher Art auch immer" eines Güterbeförderungsunternehmens um Material bzw. um Ausrüstung handle, das bzw. die zur Ausübung des Berufes des Güterbeförderungsunternehmens benötigt werde. Der Revisionswerber sei zur Ausübung des Güterbeförderungsgewerbes auf das mit dem LKW transportierte Ladegut angewiesen.
17 Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden, verkennt der Revisionswerber dabei doch die Rechtslage zu Art. 13 Abs. 1 lit g der VO (EWG) Nr. 3820/85 bzw. Art. 13 Abs. 1 lit d der VO (EG) Nr. 561/2006.
18 Die Auslegung der Begriffe "Material" und "Ausrüstungen" i. S.d. VO (EWG) Nr. 3820/85 war bereits Gegenstand eines Verfahrens vor dem EuGH. Im Urteil in der Rechtssache C-128/04, Raemdonck und Raemdonck-Janssens, vom führt der EuGH in Rz. 16 aus:
"Nach dem Wortlaut von Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung Nr. 3820/85 ist die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme nur unter der Voraussetzung anwendbar, dass das Führen des Fahrzeugs für den Fahrer nicht die Haupttätigkeit darstellt. Außerdem muss er das Material oder die Ausrüstungen in Ausübung seines Berufes verwenden. Diese beiden Voraussetzungen beziehen sich also auf die Tätigkeiten des Fahrers und nicht auf die des betreffenden Unternehmens."
Insbesondere umfasse der Begriff " Ausrüstungen" Werkzeuge und Arbeitsmittel, die der Fahrer befördert, um seinen Beruf auszuüben, doch habe der Begriff "Material" eine größere Tragweite und beziehe sich auch auf Materialien, die zur Ausübung dieses Berufes erforderlichen seien (vgl. Rz. 20 des zitierten Urteils Raemdonck und Raemdonck-Janssens). Die Begriffe "Material und Ausrüstungen" seien im Ergebnis dahin auszulegen, dass es dabei nicht ausschließlich um "Werkzeuge und Arbeitsmittel" gehe, sondern dass unter diese Begriffe auch die für die durchzuführenden Arbeiten, die zur Haupttätigkeit des Fahrers des betreffenden Fahrzeuges gehören, notwendigen Gegenstände wie Baustoffe oder Kabel fallen (vgl. Rz. 24 des zitierten Urteils Raemdonck und Raemdonck-Janssens).
19 Im Urteil vom in der Rechtssache C-554/09, Seeger, hat sich der EuGH mit der Auslegung des Art. 13 Abs. 1 lit d zweiter Gedankenstrich der VO (EG) Nr. 561/2006, insbesondere im Hinblick auf den Begriff des "Materials" befasst. Darin hielt der EuGH unter Verweis auf das genannte Urteil in der Rechtssache Raemdonck und Raemdonck-Janssens, fest, dass
"der Begriff des Materials in einem weiteren Sinne als der Begriff der Ausrüstungen zu verstehen ist und Gegenstände umfasst, die der Fahrer des betreffenden Fahrzeuges zur Ausübung seines Berufs benötigt oder verwendet und zu denen somit auch Bestandteile des von ihm herzustellenden Endproduktes oder der von ihm durchzuführenden Arbeiten gehören können. Daraus folgt, dass das Material zur Schaffung, Änderung oder Verarbeitung einer anderen Sache verwendet werden soll oder dafür erforderlich ist und nicht nur einfach befördert werden soll, um selbst geliefert, verkauft oder beseitigt zu werden. Da das Material also einem Verarbeitungsprozess unterliegt, ist es keine Ware, die von ihrem Verwender zum Verkauf bestimmt ist" (vgl. Rz. 25 des zitierten Urteils C-554/09, Seeger).
Im Fall Seeger wurde in Entsprechung dieser Grundsätze die reine Beförderung von leeren Flaschen durch den Unternehmer verneint, weil die Flaschen keine Gegenstände waren, die zur Ausübung der Haupttätigkeit als Wein- und Getränkehändler erforderlich waren.
20 Dass das vom Revisionswerber beförderte Ladegut im Sinne der Rechtsprechung des EuGH als notwendige Gegenstände für von ihm durchzuführende Arbeiten - und nicht ausschließlich vom Güterbeförderungsunternehmen im Rahmen des reinen Transportes zu anderen Unternehmen - benötigt werde, hat der Revisionswerber nicht dargetan. Er ist auch den entsprechenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach die Ware lediglich zwischen mehreren Unternehmen vom Revisionswerber befördert und dort gebzw. entladen worden sei, nicht entgegengetreten. Damit scheidet jedoch eine Einordnung des Ladeguts als Material oder Ausrüstung gemäß den oben dargestellten Leitlinien der Rechtsprechung des EuGH bereits aus.
Es finden sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Revisionswerber als Fahrer des betreffenden Fahrzeuges das Ladegut nicht nur befördert hätte, sondern dass dieses darüber hinaus - im Sinne des zitierten Urteils des EuGH in der Rechtssache Seeger - vom Revisionswerber "zur Schaffung, Änderung oder Verarbeitung einer anderen Sache" verwendet werden sollte oder dafür erforderlich gewesen sei und somit einem Verarbeitungsprozess unterlegen wäre.
21 Eine Anwendung des § 3 Z 1 L-AVO auf den vorliegenden Revisionsfall kommt daher nicht in Betracht, weil das Ladegut weder Material noch Ausrüstung darstellt, welches vom Revisionswerber zur Ausübung seines Berufes benötigt wurde. Da das Verwaltungsgericht im Ergebnis die Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 3 Z 1 L-AVO zutreffend verneint hat, war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
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