VwGH vom 22.06.2016, Ra 2015/12/0080

VwGH vom 22.06.2016, Ra 2015/12/0080

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, die Hofräte Dr. Zens und Dr. Pfiel, die Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Artmann, über die außerordentliche Revision der I H in P, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-639/001-2015, betreffend Feststellung der beitragsgedeckten Gesamtdienstzeit gemäß § 115f LDG 1984 (vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich belangte Behörde: Landesschulrat für Niederösterreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auch auf deren Darlegung im hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/12/0022, verwiesen, wobei folgende Umstände hervorzuheben sind:

2 Die 1956 geborene Revisionswerberin steht als Volksschuldirektorin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich.

3 Nach Maßgabe einer Erledigung des Landesschulrates für Niederösterreich vom wurde ihr gemäß § 58 Abs. 1 und 2 des Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes 1984, BGBl. Nr. 302 (im Folgenden: LDG 1984), ein Karenzurlaub für die Zeit vom bis gewährt und ausgesprochen, dass die Zeit des Karenzurlaubes für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhingen, nicht zu berücksichtigen sei, jedoch werde die Urlaubszeit mit dem Tag des Wiederantrittes des Dienstes zur Hälfte für die Vorrückung in höhere Bezüge wirksam.

4 Eine Zustellung dieser Erledigung an die Revisionswerberin ist nicht ausgewiesen.

5 Am richtete der Landesschulrat für Niederösterreich eine Erledigung an die Revisionswerberin, deren Spruch wie folgt lautete:

"Gemäß § 58 Abs. 1 und 2 LDG 1984, BGBl. Nr. 302/84, wird der mit ha. Bescheid vom , ..., gewährte Urlaub gegen Entfall der Bezüge für die Zeit vom bis verlängert. Die Zeit des Karenzurlaubes ist für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen, jedoch wird die Urlaubszeit mit dem Tag des Wiederantrittes des Dienstes zur Hälfte für die Vorrückung in höhere Bezüge wirksam."

6 Über Antrag der Revisionswerberin wurde mit Bescheid des Landesschulrates für Niederösterreich vom festgestellt, dass die beitragsgedeckte Gesamtdienstzeit der Revisionswerberin mit Ende Oktober 2013 35 Jahre 1 Monat und 24 Tage betrage.

7 Bei dieser Feststellung berücksichtigte die Dienstbehörde den nach der Begründung des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses der Revisionswerberin gelegenen Zeitraum vom bis nicht.

8 Die Revisionswerberin erhob Berufung.

9 Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom wurde die als Beschwerde gewertete Berufung der Revisionswerberin als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass die ordentliche Revision unzulässig sei.

10 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ging in dem genannten Erkenntnis von einer wirksamen Zustellung der Erledigungen vom und vom an die Revisionswerberin aus. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, dass es sich bei den genannten Erledigungen um die Bewilligung von Karenzurlauben im Verständnis des § 58 Abs. 1 und 2 LDG 1984 (und nicht um solche im Sinne des § 58c Abs. 1 LDG 1984) gehandelt habe. Auch eine Berücksichtigung der Zeiten dieses Karenzurlaubes als Zeiten der Kindererziehung im Verständnis des § 115f Abs. 2 Z 4 LDG 1984 komme nicht in Betracht.

11 Auf Grund einer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision der Revisionswerberin wurde das vorzitierte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich mit hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/12/0022, aufgehoben.

12 In diesem Erkenntnis vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsauffassung, dass die in Rede stehenden Zeiten als solche eines Karenzurlaubes gemäß § 58 Abs. 1 und 2 LDG 1984 nicht auf die beitragsgedeckte Gesamtdienstzeit gemäß § 115f LDG 1984 anzurechnen wären, wenn die Erledigungen vom und vom der Revisionswerberin zugestellt worden wären, was Letztere jedoch in ihrer Revision bestritten hätte. In Ermangelung von Zustellnachweisen betreffend diese Erledigungen wäre das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich verpflichtet gewesen, die Frage der Zustellung dieser Erledigungen an die Revisionswerberin amtswegig einer Klärung zuzuführen. Der Verwaltungsgerichtshof billigte in dem zitierten Erkenntnis die Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, wonach eine Berücksichtigung der genannten Zeiten aus dem Grunde des § 115f Abs. 2 Z 4 LDG 1984 nicht in Betracht komme.

13 Nach Ergänzung des Verfahrens wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom die als Beschwerde gewertete Berufung der Revisionswerberin gegen den Bescheid des Landesschulrates für Niederösterreich vom neuerlich als unbegründet ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision unzulässig sei.

14 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ging mit näherer Begründung davon aus, dass die Erledigung des Landesschulrates für Niederösterreich vom der Revisionswerberin zugestellt worden sei. Hingegen sei eine Zustellung der Erledigung der Dienstbehörde vom nicht feststellbar.

15 Dennoch sei die Dienstbehörde im Ergebnis zu Recht von einer Gewährung eines Karenzurlaubes gemäß § 58 Abs. 1 und 2 LDG 1984 für den Gesamtzeitraum vom bis ausgegangen. Diese Auffassung begründete das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich im angefochtenen Erkenntnis wie folgt:

"Über die Zustellung des Bescheides des Landesschulrates für NÖ vom , I/P-0098541/31-1997, liegt zwar kein Zustellnachweis vor. Jedoch wurde laut dem eindeutigen Spruch des Bescheides des Landesschulrates für NÖ vom , Zl. I/P.- 0098541/33-1997, gemäß § 58 Abs. 1 und 2 LDG 1984 der mit Bescheid des Landesschulrates für NÖ vom Zl. I/P.-0098541/31- 1997, gewährte Urlaub gegen Entfall der Bezüge für die Zeit vom bis ‚verlängert'. Somit wird vom Spruch dieses Bescheides die Genehmigung des gesamten Karenzurlaubes vom bis einschließlich umfasst. Auch enthält dieser Bescheidspruch die Feststellung, dass die Zeit des Karenzurlaubes für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen ist. Die Übernahme dieses Bescheides wurde - wie oben als erwiesen festgestellt wurde - durch Unterschrift der Beschwerdeführerin bestätigt, der Bescheid somit an sie zugestellt und mangels Erhebung eines Rechtsmittels rechtskräftig.

Damit wurde im Ergebnis für die gesamte strittige Zeit vom bis einschließlich der Beschwerdeführerin ein Karenzurlaub gemäß § 58 LDG 1984 rechtskräftig bewilligt und jedenfalls rechtskräftig festgestellt, dass diese Zeit des (gesamten) Karenzurlaubes für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen ist."

16 Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil das vorliegende Erkenntnis weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, noch eine solche fehle oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes uneinheitlich beantwortet werde.

17 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die Revisionswerberin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Erkenntnisses sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, es aus diesen Gründen aufzuheben.

18 In der Revision wird als Zulassungsgrund geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe die als Bescheid qualifizierte Erledigung vom zu Unrecht als auch auf den Zeitraum vom bis bezogen ausgelegt.

19 Die vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher die Abweisung der Revision als unbegründet beantragt wird.

20 In Ansehung der maßgeblichen Rechtslage wird in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf deren Wiedergabe im hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/12/0022, verwiesen.

21 Die außerordentliche Revision ist - entgegen der den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich - zulässig, weil Letzteres - wie in der Folge noch zu zeigen sein wird - dem Spruch der Erledigung vom in unvertretbarer Weise die Bedeutung zugemessen hat, dass hiedurch (erstmalig und rückwirkend) ein Karenzurlaub für den Zeitraum vom bis bewilligt bzw. eine auf diesen Zeitraum bezogene Feststellung getroffen worden sei.

22 Jeder Bescheid ist rein objektiv seinem Wortlaut nach - insoweit also gleich einem Gesetz nach den §§ 6 und 7 ABGB - auszulegen (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom , 2000/12/0311).

23 Der Wortlaut des Spruches der Erledigung vom , welcher eine Verlängerung eines (nach Auffassung des Approbanten dieser Erledigung offenbar bereits mit einer Erledigung vom bewilligten) Karenzurlaubes für die Zeit vom bis anordnet, schließt es aus, dass damit auch eine rückwirkende Rechtsgestaltung für den Zeitraum vom bis hätte vorgenommen werden sollen. Aus der Verwendung des Wortes "verlängert" ergibt sich vielmehr klar, dass sich die mit dieser Erledigung intendierte Rechtsgestaltung ausschließlich auf den Verlängerungszeitraum, also auf jenen vom bis beziehen sollte.

24 Neben der Wortinterpretation spricht aber auch der Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung von Bescheidsprüchen offenkundig gegen die vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vertretene Interpretation, wäre doch eine rückwirkende Bewilligung eines Karenzurlaubes in Ermangelung einer diesbezüglichen ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung offenkundig rechtswidrig (vgl. zur rückwirkenden Beendigung eines Karenzurlaubes das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/12/0011, zur rückwirkenden Beendigung der Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit das hg. Erkenntnis vom , 2010/12/0134, zur rückwirkenden Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit die hg. Erkenntnisse vom , 2010/12/0064, und vom , 2009/12/0062, sowie zur rückwirkenden Ruhestandsversetzung das hg. Erkenntnis vom , 2011/12/0007).

25 Ausgehend von der der Erledigung vom offenbar zugrunde gelegten Auffassung der Dienstbehörde, wonach für den Zeitraum vom bis bereits eine bescheidförmige Bewilligung eines Karenzurlaubes erfolgt sei, würde eine neuerliche rückwirkende Bewilligung eines solchen überdies gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen.

26 Für die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Deutung des zweiten Satzes dieser Erledigung als (auch) auf den letztgenannten Zeitraum bezüglich gilt Folgendes:

27 Die Feststellung bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf "die Zeit des Karenzurlaubes". Demnach entfaltet sie auch lediglich Feststellungswirkungen für eine solche Zeit. Da - unter Berücksichtigung des Vorgesagten - ein Karenzurlaub für den Zeitraum vom bis nicht bewilligt wurde, kann sich die in Rede stehende Feststellung schon auf Grund einer Wortinterpretation nicht auf diesen Zeitraum beziehen.

28 Wollte man freilich von der der Erledigung vom offenbar zugrunde gelegten Auffassung der Dienstbehörde, wonach auch schon der Erledigung vom Bescheidcharakter zukommt, ausgehen, bestünde für eine neuerliche rückwirkende Feststellung betreffend die Rechtsfolgen der Bewilligung für den Zeitraum vom bis kein Anlass und würde eine solche gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen.

29 Vor diesem Hintergrund erweist sich die vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vorgenommene Interpretation der in Rede stehenden Erledigung als unvertretbare Anwendung der vom Verwaltungsgerichtshof geprägten Rechtsprechung zur Auslegung von Bescheiden, welche eine grundsätzliche Rechtsfrage ungeachtet des Umstandes berührt, dass Bescheidauslegungen in aller Regel einzelfallbezogene Rechtsfragen darstellen.

30 Bei der Feststellung der beitragsgedeckten Gesamtdienstzeit handelt es sich insofern um einen unteilbaren Abspruch, als damit ein bestimmtes zeitliches Ausmaß als beitragsgedeckte Gesamtdienstzeit festgestellt wird.

31 Daraus wiederum folgt, dass der hier aufgezeigte Rechtsirrtum des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (wonach schon auf Grund des Bescheidcharakters der Erledigung vom auch der Zeitraum vom bis nicht als Teil der beitragsgedeckten Gesamtdienstzeit gilt) das angefochtene Erkenntnis in seiner Gesamtheit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

32 Auf Grund des Prävalierens des Aufhebungsgrundes der inhaltlichen Rechtswidrigkeit (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/08/0206) war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aus diesem Grunde zur Gänze aufzuheben, ohne dass (derzeit) auf die im Zusammenhang mit der Annahme des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, wonach die Erledigung vom der Revisionswerberin zugestellt worden sei, erhobenen Verfahrensrügen eingegangen werden musste.

33 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am