VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0522

VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0522

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Jürgen Stephan Mertens, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/151656/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, der ab dem über eine Niederlassungsbewilligung verfügte, reiste am in das Bundesgebiet ein. Die Niederlassungsbewilligung wurde in der Folge mehrfach verlängert, zuletzt erhielt er eine bis zum gültige "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt".

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der versuchten Anstiftung zum Amtsmissbrauch nach den §§ 15, 12 dritte Alternative, 302 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten rechtskräftig verurteilt. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge hat der Beschwerdeführer am versucht, zwei Polizeibeamte durch die Übergabe von Geld zur Unterlassung einer Anzeigeerstattung wegen einer Verwaltungsübertretung zu bestimmen. Nach den Feststellungen des Strafgerichtes fragte der Beschwerdeführer (als Beifahrer eines Kfz, dessen Lenker über keine gültige Lenkberechtigung verfügte und in dem mehr als die zulässige Anzahl an Personen befördert wurden) die einschreitenden Polizeibeamten, was die "Anzeigen kosten würden" und ob man diese sofort begleichen könne. Nachdem ihm mitgeteilt worden war, dass es sich nicht um sofort bezahlbare Organmandate handle, verfiel er "in eine Art Panik", fragte die Polizeibeamten sinngemäß, was es koste, wenn sie keine Anzeige erstatten würden, und bot ihnen EUR 200,-- an. In Anbetracht dessen sah das Strafgericht den Tatbestand der versuchten Anstiftung zum Amtsmissbrauch als erfüllt an. Im Rahmen der Strafbemessung wertete es - neben dem Umstand, dass es beim Versuch geblieben war, und dem bisher ordentlichen Lebenswandel des Beschwerdeführers - auch seine "intellektuelle Minderbegabung" als mildernd.

Im Hinblick auf diese Verurteilung erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer gemäß § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der erstinstanzliche Bescheid auf Grund der dagegen erhobenen Berufung dahingehend abgeändert, dass gestützt auf § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde.

Auf Grund der dargestellten Verurteilung sei - so die belangte Behörde - der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Angesichts des deliktisch als Verbrechen zu qualifizierenden strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers sei auch die Annahme gerechtfertigt, sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet gefährde "die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit" und laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen - wie der "Aufrechterhaltung der Autorität staatlicher Organe" - zuwider.

In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde auf den fast dreijährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und berücksichtigte weiters, dass er mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet sei (die ihrerseits über eine "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" verfüge) und mit dieser eine zweijährige Tochter habe. Weiters würden sein Vater, seine Schwiegereltern und zwei Brüder, von denen einer österreichischer Staatsbürger sei, im Bundesgebiet leben. Der Beschwerdeführer sei ab dem - wenn auch mit Unterbrechungen und nie länger als ein Jahr beim selben Arbeitgeber - beschäftigt gewesen. Somit sei zwar von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein "Privatleben" auszugehen. Allerdings sei sein Aufenthalt im Bundesgebiet als kurz zu werten und werde die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das "schwer strafbare Verhalten" erheblich beeinträchtigt. Zudem verdeutliche sein - erst kurze Zeit zurückliegendes - Fehlverhalten "seine Gefährlichkeit in Bezug auf die Aufrechterhaltung der demokratischen Rechtsordnung und das Recht auf Gleichheit vor der staatlichen Autorität". Daher müssten seine "privaten bzw. persönlichen Interessen" an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet gegenüber den hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund treten.

Die belangte Behörde sah auch keinen Grund, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. In Anbetracht des Umstandes, dass nur eine Verurteilung vorliege, könne aber erwartet werden, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände (nämlich die Störung der öffentlichen Ordnung und die Verletzung öffentlicher Interessen) nach Ablauf von fünf Jahren weggefallen sein werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Juni 2009 geltende Fassung.

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache (u.a.) zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Gefährdungsprognose und verweist insbesondere darauf, dass ihm nur eine einzige Verurteilung zur Last zu legen sei und er sich sonst wohlverhalten habe.

Zwar lagen das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers und seine Verurteilung noch nicht lange zurück und sind Straftaten im Zusammenhang mit Amtsmissbrauch nicht zu bagatellisieren. Dessen ungeachtet hätte die belangte Behörde bei ihrer Gefährdungsprognose die konkreten Tatumstände (der Beschwerdeführer hat nur eine Straftat begangen, wobei er - nach den strafgerichtlichen Feststellungen - angesichts der drohenden Anzeigenerstattung "in eine Art Panik" verfallen war) und den Umstand berücksichtigen müssen, dass er lediglich zu einer nur knapp über der Schwelle der dargestellten Alternative des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG liegenden, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt wurde.

Vor allem aber ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie die nach § 66 FPG vorzunehmende Interessenabwägung nur mangelhaft durchgeführt hat. Der Beschwerdeführer verweist diesbezüglich insbesondere darauf, dass er Vater eines zweijährigen Kindes sei, für dessen Lebensunterhalt er aufkomme. Die belangte Behörde habe aber - so die Beschwerde - jegliche Feststellungen dazu unterlassen, weshalb der Umstand, dass sein Kind im Fall der Erlassung des Aufenthaltsverbotes entweder allein mit der Mutter in Österreich verbleiben oder mit ihm ins Ausland reisen müsse, kein berücksichtigungswürdiger Grund für einen Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich sei. Diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu:

Im Hinblick auf die dargestellten Tatumstände ist das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im vorliegenden Fall jedenfalls nicht als besonders hoch anzusehen. Diesem Interesse stehen aber die gewichtigen familiären Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich gegenüber. Diesbezüglich ist der belangten Behörde zunächst anzulasten, dass sie im Rahmen ihrer Beurteilung nach § 66 FPG lediglich einen Eingriff in das "Privatleben" des Beschwerdeführers annahm. Darüber hinaus hat sie es unterlassen, sich mit den Lebensverhältnissen der über eine Niederlassungsbewilligung verfügenden Ehefrau des Beschwerdeführers und des gemeinsamen Kindes sowie mit den Auswirkungen des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes auf diese auseinanderzusetzen (vgl. in dieser Hinsicht das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0307).

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am