VwGH vom 20.07.2016, Ro 2015/22/0030

VwGH vom 20.07.2016, Ro 2015/22/0030

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des XY, geboren am , vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW- 151/V/081/34491/2014-29, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde der Antrag des minderjährigen Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen von Indien, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Schüler" gemäß § 63 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen. Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe keine schriftliche Bestätigung einer Schule über die Aufnahme als Schüler vorgelegt.

2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wurde die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers abgewiesen und der Bescheid des Landeshauptmannes mit der Maßgabe bestätigt, dass die im Spruch genannte Rechtsgrundlage um die Zeichenfolge "§ 11 Abs. 2 Z 3 NAG" ergänzt werde. In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe trotz wiederholter Aufforderung durch das Verwaltungsgericht keine schriftliche Bestätigung einer Schule über die Aufnahme als Schüler vorlegen können. Der Großvater des Revisionswerbers, ein österreichischer Staatsbürger, lebe im Bundesgebiet und habe dem Revisionswerber ein unwiderrufliches und unentgeltliches Wohnrecht bis zum eingeräumt. Der Revisionswerber weise auf seinem Konto ein Guthaben von (umgerechnet) EUR 8.142,28 auf.

3 Zum (Nicht)Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG, wonach der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügen müsse und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig zu sein habe, führte das Verwaltungsgericht aus:

Der Revisionswerber berufe sich auf die Möglichkeit der Mitversicherung bei seinem Großvater. Aus § 123 Abs. 1 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) ergebe sich, dass ein Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung für Angehörige eines Pflichtversicherten nur dann bestehe, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Die Mitversicherung bestehe jedoch nicht ex lege und somit nicht unmittelbar nach der Einreise bzw. Niederlassung des Revisionswerbers, sondern es sei gemäß § 361 Abs. 1 ASVG eine diesbezügliche Antragstellung erforderlich. Im Rahmen eines durch die Antragstellung initiierten Verfahrens werde sodann geprüft, ob die Angehörigeneigenschaft eines Sozialversicherten gegeben sei und somit die Voraussetzungen für die Mitversicherung gemäß § 123 Abs. 1 ASVG vorlägen. Erst nach positivem Abschluss dieses Verfahrens bestünde ein Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung für den Angehörigen. Da der Revisionswerber den Abschluss einer sonstigen ausreichenden und alle Risken umfassenden Krankenversicherung, etwa einer Reisekrankenversicherung, ebenfalls nicht nachgewiesen habe, stehe fest, dass er zumindest für einen gewissen Zeitraum nach seiner Einreise über keinen umfassenden Krankenversicherungsschutz in Österreich verfügen werde.

4 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht weiters aus, besondere Erteilungsvoraussetzung für eine Aufenthaltsbewilligung für den Zweck "Schüler" nach § 63 Abs. 1 NAG sei, dass der Drittstaatsangehörige in Österreich Schüler einer Schule oder einer zertifizierten nichtschulischen Bildungseinrichtung wäre. Der Revisionswerber habe seinem Antrag gemäß § 8 Z 6 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) jedoch nur dann eine schriftliche Bestätigung der Schule oder der nichtschulischen Bildungseinrichtung über seine Aufnahme als Schüler anzuschließen, sofern er nicht eine Pflichtschule besuche. In diesem Zusammenhang - so das Verwaltungsgericht weiter - sei festzuhalten, dass die allgemeine Schulpflicht neun Schuljahre dauere und mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September beginne (Hinweis auf die §§ 2 und 3 Schulpflichtgesetz 1985). Das letzte Schuljahr der allgemeinen Schulpflicht ende für die betreffenden Schüler mit dem Ende des letzten Unterrichtsjahres, wobei das Unterrichtsjahr mit dem Beginn der Hauptferien ende, welche in Wien an dem Samstag begännen, der frühestens auf den 28. Juni und spätestens auf den 4. Juli falle (§ 14 iVm § 2 Abs. 2 Schulzeitgesetz 1985). Im Hinblick darauf, dass befristete Aufenthaltstitel mit einer Gültigkeit von zwölf Monaten auszustellen seien, dispensiere nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes die Bestimmung des § 8 Z 6 NAG-DV einen Antragsteller nur dann von der Obliegenheit, seine Aufnahme in einer Schule oder nichtschulischen Bildungseinrichtung nachzuweisen, wenn ihm der Besuch einer Pflichtschule im Zeitraum der Gültigkeit des zu erteilenden Aufenthaltstitels effektiv möglich sei, wobei ein effektiver Schulbesuch einer Pflichtschule jedoch nur dann vorliegen könne, wenn dieser zumindest ein Semester umfasse.

5 Für den am geborenen Revisionswerber ende seine im Fall einer Niederlassung bestehende Schulpflicht in Österreich mit Ende des letzten Unterrichtsjahres, somit am . Auf Grund der fortgeschrittenen Verfahrensdauer wäre ein Schulbesuch des Revisionswerbers in einer Pflichtschule zum Zeitpunkt der Entscheidung jedoch nur mehr für einen kurzen Zeitraum von wenigen Wochen denkbar und somit ein effektiver Schulbesuch in einer Pflichtschule nicht mehr möglich. Die Schulpflicht eines Fremden in Österreich werde nur dann begründet, wenn sein Aufenthalt eine gewisse Mindestdauer überschreite, wobei dies dann der Fall wäre, wenn er zumindest etwa eine Beurteilungsperiode dauere.

6 Abschließend führte das Verwaltungsgericht eine Abwägung nach § 11 Abs. 3 NAG durch und kam unter Berücksichtigung, dass der Revisionswerber noch nie in Österreich aufhältig gewesen und weder beruflich noch sozial im Bundesgebiet integriert sei, zu dem Schluss, dass sich ein deutliches Überwiegen der öffentlichen Interessen im Sinn des Art. 8 EMRK an der Antragsabweisung ergebe.

7 Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Rechtsfrage fehle, ob die Bestimmung des § 63 Abs. 1 NAG iVm § 8 Z 6 NAG-DV einen Antragsteller im Hinblick darauf, dass befristete Aufenthaltstitel grundsätzlich mit einer Gültigkeit von zwölf Monaten auszustellen seien, nur dann von der Obliegenheit, seine Aufnahme in einer Schule oder nichtschulischen Bildungseinrichtung nachzuweisen, dispensiere, wenn ihm der Besuch einer Pflichtschule im Zeitraum der Gültigkeit des zu erteilenden Aufenthaltstitels effektiv möglich sei.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob für ein schulpflichtiges Kind trotz des Bestehens der gesetzlichen Verpflichtung zur Aufnahme in einer österreichischen Schule nach der Einreise eine Schulbestätigung gefordert werden dürfe bzw. ob § 8 Z 6 lit. a NAG-DV dahingehend auszulegen sei, dass nur Pflichtschüler von der Vorlage einer Bestätigung ausgenommen seien, wohingegen Kinder, die erst nach der Einreise von der Schulpflicht erfasst werden, von der Ausnahmeregelung nicht profitieren könnten. Weiters sei fraglich, ob vom Erfordernis der Vorlage einer Aufnahmebestätigung in Fällen wie jenen des Revisionswerbers abgesehen werden könne, in denen der Stadtschulrat selbst bestätigt habe, dass eine Schulbesuchsbestätigung erst dann ausgestellt werden könne, wenn das Kind die Schule tatsächlich besuche. Auch stelle sich die Rechtsfrage, ob das Verwaltungsgericht selbst im Mai 2015 die Beschwerde hätte abweisen dürfen, weil mit Erteilung des Aufenthaltstitels in der Beschwerdeentscheidung der Besuch einer österreichischen Schule noch tatsächlich möglich gewesen wäre. Schließlich sei fraglich, ob tatsächlich vom Fehlen der materiellen Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG ausgegangen werden könne, weil sich der Revisionswerber umgehend nach seiner Einreise in Österreich bei seinem Großvater mitversichern könnte.

10 Hierüber wurde erwogen:

11 Die Revision ist zulässig, weil zur Auslegung des Begriffes "Pflichtversicherung" im Sinn des § 7 Abs. 1 Z 6 NAG-DV und zur Rechtsfrage, ob in einem Fall wie dem gegenständlichen eine Schulbestätigung gemäß § 8 Z 6 lit. a NAG-DV erforderlich ist, Rechtsprechung fehlt.

12 Gemäß § 63 Abs. 1 Z 1 NAG kann Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltsbewilligung für Schüler ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und ordentliche Schüler einer öffentlichen Schule sind.

13 Zu der vom Revisionswerber im Zusammenhang mit der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 3 NAG vorgebrachten Möglichkeit zur Mitversicherung bei seinem Großvater nach dem ASVG verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass diese nicht ex lege bestehe, sondern erst in einem auf Antrag initiierten Verfahren gemäß § 361 Abs. 1 in Verbindung mit § 123 Abs. 1 ASVG zu prüfen sei.

14 Dazu ist Folgendes auszuführen:

15 Gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist.

16 Gemäß § 7 Abs. 1 Z 6 NAG-DV ist dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels ein Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz, insbesondere durch eine entsprechende Versicherungspolizze, anzuschließen, sofern kein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung bestehen wird oder besteht (§ 11 Abs. 2 Z 3 NAG).

17 In § 4 ASVG ist definiert, für welche Personen die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz ua. zur Krankenversicherung besteht.

18 Der Großvater des Revisionswerbers bezieht gemäß der Aktenlage Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung und ist somit gemäß § 40 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) bei der Gebietskrankenkasse seines Wohnortes krankenversichert, wobei für diese Versicherung die Vorschriften des ASVG über die gesetzliche Krankenversicherung für Pflichtversicherte gelten.

19 Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, besteht gemäß § 123 Abs. 1 ASVG für Angehörige - worunter gemäß Abs. 2 Z 5 leg. cit. auch Enkel fallen, die mit dem Versicherten ständig in Hausgemeinschaft leben - ein Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Allerdings geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass erst nach positivem Abschluss eines auf Antrag initiierten (Feststellungs)Verfahrens gemäß § 361 Abs. 1 in Verbindung mit § 123 ASVG ein Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung für den Angehörigen bestünde. Damit übersieht es jedoch, dass in einem Verfahren nach § 361 ASVG lediglich Leistungsansprüche auf Antrag des Versicherten festgestellt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2007/08/0101).

20 Eine Mitversicherung gemäß § 123 Abs. 1 ASVG tritt mit dem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland ein (vgl. den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom , 10 ObS 151/04k). Vor dem Hintergrund der Zielsetzung des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG, nämlich zu verhindern, dass ein Fremder über keinen Versicherungsschutz in der Krankenversicherung in Österreich verfügt und somit der Staat etwaige (Behandlungs)Kosten zu tragen hätte, ist die Mitversicherung nach § 123 ASVG daher als ein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung im Sinn des § 7 Abs. 1 Z 6 NAG-DV anzusehen.

21 Im gegenständlichen Fall hat der Revisionswerber dargelegt, dass er mit seinem Großvater eine ständige Hausgemeinschaft begründen will und für ihn als Angehörigen eines Pflichtversicherten - bei Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels - ein Krankenversicherungsschutz gemäß § 7 Abs. 1 Z 6 NAG-DV bestehen wird (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom , 96/19/0918, siehe auch Peyrl/Czech in Abermann/Czech/Kind/Peyrl , NAG (2016), Rz 21 zu § 11).

22 Der Revisionswerber hat daher - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes - die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 3 NAG erfüllt.

23 Allerdings ist die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, dass der Revisionswerber im gegenständlichen Fall eine Schulbestätigung gemäß § 8 Z 6 lit. a NAG vorzulegen habe, aus folgenden Gründen zutreffend:

24 Der Revisionswerber beantragte die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Schüler" gemäß § 63 NAG und beruft sich in der Zulässigkeitsbegründung seiner Revision auf seine auch zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bestehende Schulpflicht.

25 Nach § 8 Z 6 lit. a NAG-DV ist dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für eine "Aufenthaltsbewilligung - Schüler" eine schriftliche Bestätigung der Schule oder der nichtschulischen Bildungseinrichtung über die Aufnahme des Schülers anzuschließen, sofern der Schüler nicht eine Pflichtschule besucht.

26 Der Revisionswerber stellte am bei der Österreichischen Botschaft New Delhi den gegenständlichen Antrag.

27 Voraussetzung für die Erteilung der beantragten Aufenthaltsbewilligung ist gemäß dem Wortlaut des § 63 Abs. 1 Z 1 NAG, dass der Revisionswerber Schüler einer öffentlichen Schule ist. In Entsprechung der Verpflichtung gemäß § 21 Abs. 1 NAG, Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen, konkretisiert § 8 Z 6 lit. a NAG-DV, dass dem Antrag für eine "Aufenthaltsbewilligung - Schüler" eine schriftliche Bestätigung der (konkreten) Schule oder nichtschulischen Bildungseinrichtung über die Aufnahme des Schülers anzuschließen ist. Lediglich für den Fall, dass der Antragsteller eine Pflichtschule (tatsächlich) besucht, ist eine solche Bestätigung nicht erforderlich.

28 Da der Revisionswerber keine Aufnahmebestätigung einer Schule vorgelegt hat bzw. keine Pflichtschule besucht, erfolgte die Antragsabweisung zu Recht. Daran ändert auch das Vorbringen des Revisionswerbers nichts, wonach von Seiten des Wiener Stadtschulrates bestätigt worden sei, dass er als Pflichtschüler einen Schulplatz erhalten werde, sobald er nach Österreich eingereist sei.

29 Da das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung im Ergebnis zutreffend zugrunde gelegt hat, dass der Revisionswerber die besondere Erteilungsvoraussetzung des § 63 Abs. 1 Z 1 NAG in Verbindung mit § 8 Z 6 lit. a NAG-DV nicht erfüllt, war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am