VwGH vom 31.01.2013, 2011/23/0520
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der J in W, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/199.509/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.090,09 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine am geborene serbische Staatsangehörige, reiste am mit einem bis zum gültigen Visum nach Österreich ein. Am stellte sie - im Hinblick darauf, dass ihre Mutter einen österreichischen Staatsbürger geheiratet hatte (und über einen Aufenthaltstitel verfügte) - einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Über diesen Antrag war zum Zeitpunkt der Erlassung des hier angefochtenen Bescheides noch nicht entschieden.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
Die belangte Behörde stellte zunächst fest, dass die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt über einen Aufenthaltstitel verfügt habe und sich somit seit Ablauf ihres Visums unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG vorliegen würden.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG verwies die belangte Behörde auf die familiären Bindungen der Beschwerdeführerin zu ihrer Mutter und ihrer Schwester, wobei gegen die Mutter wegen des Eingehens einer Aufenthaltsehe ein rechtskräftiges (auf fünf Jahre befristetes) Aufenthaltsverbot erlassen worden sei und sich die Schwester ebenso wie die Beschwerdeführerin unrechtmäßig im Inland aufhalte. Die seit viereinhalb Jahren im Bundesgebiet aufhältige Beschwerdeführerin habe zwar während ihres Aufenthaltes die Hauptschule besucht, sie habe allerdings die ersten elfeinhalb Lebensjahre in Serbien verbracht. Angesichts dieser Umstände sei mit der Ausweisung ein Eingriff in ihr Privat- und Familienleben verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten, zumal der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften ein besonders hoher Stellenwert zukomme und der unrechtmäßige Weiterverbleib der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet nach Ablauf ihres Visums diesem öffentlichen Interesse grob zuwiderlaufe. Die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie - so die belangte Behörde weiter - würden nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Mangels besonderer zugunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keinen Grund, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des Ermessens Abstand zu nehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Mai 2009 geltende Fassung.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG bei der Beschwerdeführerin vorläge. Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.
Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0326, mwN).
Die Beschwerdeführerin verweist in diesem Zusammenhang auf ihren viereinhalbjährigen Aufenthalt in Österreich, der im Hinblick auf ihren Schulbesuch besonders zu bewerten sei. Vor allem macht sie geltend, dass der Beschwerde gegen das gegen ihre Mutter verhängte Aufenthaltsverbot vom Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei. Da ihre Mutter somit die Möglichkeit habe, "das Verfahren in Form eines Duldungsrechts" im Inland abzuwarten, sei es ihr als Minderjährige, die von ihrer Mutter wirtschaftlich und finanziell abhängig sei, nicht möglich, allein in ihren Heimatstaat, zu dem keine Bindungen mehr bestünden, zurückzukehren.
Damit zeigt die Beschwerde im Ergebnis einen relevanten Begründungsmangel des angefochtenen Bescheides auf.
Die belangte Behörde hat zwar zutreffend den hohen Stellenwert der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betont. Sie durfte bei der Beurteilung der persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet auch in Anschlag bringen, dass gegen die Mutter der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom rechtskräftig ein Aufenthaltsverbot erlassen worden ist. Allerdings hat die Beschwerdeführerin bereits in ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid ins Treffen geführt, dass der Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot vom Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei. Auf diesen Umstand geht der angefochtene Bescheid aber in keiner Weise ein. Weiters ist zu beachten, dass die (damals) 16-jährige Beschwerdeführerin, die in Österreich seit mehreren Jahren die Schule besucht, geltend gemacht hat (und dies ist seitens der belangten Behörde auch nicht bestritten worden), von ihrer Mutter, der das alleinige Sorgerecht für sie zukomme, finanziell und wirtschaftlich abhängig zu sein. In einer solchen Konstellation hätte es aber einer entsprechenden Begründung dafür bedurft, weshalb die (sofortige) Ausweisung der (im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt) minderjährigen Beschwerdeführerin - deren Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits mehr als viereinhalb Jahre unerledigt war - als dringend geboten anzusehen war und nicht zugewartet werden konnte, bis der aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ihre Mutter die Durchsetzbarkeit zukam.
Da der angefochtene Bescheid eine derartige Begründung nicht enthält, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des begehrten Betrages - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am