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VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0518

VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0518

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Mag. Werner Tomanek, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Neutorgasse 13/4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/440.915/2008, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, gelangte Anfang Dezember 2004 mit einem gültigen Visum in das Bundesgebiet und stellte am - bezogen auf seine die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Mutter - einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter DrittStA. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Diese wurde ihm erteilt und in der Folge mehrfach, zuletzt als "Niederlassungsbewilligung unbeschränkt", verlängert.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des (teils versuchten) Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter und sechster Fall SMG, § 15 StGB, des Vergehens der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes nach § 233 Abs. 1 Z 1 StGB, des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 erster Fall StGB sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer am einem verdeckten Ermittler 0,2 Gramm Kokain überlassen bzw. am wiederum einem verdeckten Ermittler 160 Gramm Kokain (und somit Suchtgift in einer die Grenzmenge gemäß § 28b SMG übersteigenden Menge) zu überlassen versucht. Weiters habe der Beschwerdeführer im Zuge der letzten Straftat versucht, einen Sicherheitswachebeamten mit Gewalt an seiner Festnahme zu hindern, und er habe diesen Beamten dabei vorsätzlich am Körper verletzt, indem er seinen Pkw rasant beschleunigt und den Beamten ca. 20 bis 30 Meter mit sich gezogen habe. Schließlich habe der Beschwerdeführer am nachgemachtes Geld sich mit dem Vorsatz verschafft und in das österreichische Bundesgebiet eingeführt, es als echt und unverfälscht auszugeben.

Im Hinblick auf diese Verurteilung erließ die belangte Behörde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG).

Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers erachtete sie den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG als erfüllt. Da das dargestellte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit "in höchstem Maße" gefährde, erweise sich auch die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Gefährdungsannahme als gerechtfertigt. In Anbetracht der Vielzahl der Tatbegehungen, der besonders großen Suchtgiftmenge, die in Verkehr gesetzt werden sollte, sowie des Umstandes, dass der Beschwerdeführer nicht davor zurückgeschreckt habe, einen rechtmäßig einschreitenden Exekutivbeamten in dessen Gesundheit massiv zu gefährden, könne eine Verhaltensprognose keinesfalls positiv ausfallen. Das der Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten liege auch noch bei weitem nicht so lange zurück, dass auf Grund des seither verstrichenen Zeitraums eine entscheidungswesentliche Reduzierung der von ihm ausgehenden Gefahr angenommen werden könne. An dieser Einschätzung könne auch der dem Beschwerdeführer bis zum gewährte Strafaufschub, um sich einer gesundheitsbezogenen Maßnahme zu unterziehen, nichts ändern, zumal die Fremdenpolizeibehörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes allein nach fremdenrechtlichen Kriterien zu beurteilen habe. Aber auch eine positiv absolvierte Suchtgifttherapie - die nicht einmal behauptet worden sei - würde keine Gewähr dafür bieten, dass der Beschwerdeführer nicht neuerlich gegen suchtmittelrechtliche oder andere Strafbestimmungen verstoßen könnte.

In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer ledig sei und nach eigenen Angaben mit seinen Eltern und seinem Bruder im gemeinsamen Haushalt lebe. Der Beschwerdeführer sei ab März 2005 mit einigen Unterbrechungen bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt gewesen. In Anbetracht seines beinahe viereinhalbjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet, der familiären Bindung zu seinen Angehörigen sowie seiner beruflichen Situation sei mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in sein "Privat-, Berufs- und Familienleben" verbunden. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes aber zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit) dringend geboten. Die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet würden daher gegenüber den - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fern bleibe, in den Hintergrund treten.

Angesichts des dargestellten Gesamtfehlverhaltens könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des zustehenden Ermessens Abstand genommen werden. Abschließend legte die belangte Behörde mit näherer Begründung dar, dass ein Wegfall der vom Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ausgehenden erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit derzeit nicht vorhergesehen werden könne.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 592/09-3, ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die am geltende Fassung.

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache (u.a.) zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

Ausgehend von der unbestritten gebliebenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ist die erwähnte Alternative des genannten Tatbestands erfüllt.

Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang vor, dass es sich bei der vorliegenden Verurteilung um eine Erstverurteilung handle. Außerdem habe die belangte Behörde außer Acht gelassen, dass sowohl das Landesgericht für Strafsachen Wien als auch die Staatsanwaltschaft Wien übereinstimmend zur Ansicht gelangt seien, dass er nicht als besonders gefährlich anzusehen sei, weshalb ihm gemäß § 39 SMG ein Strafaufschub in der Dauer von zwei Jahren gewährt worden sei. Er lege regelmäßig Bestätigungen über den Verlauf der gesundheitsbezogenen Maßnahme vor, ein Erfolg dieser Maßnahme sei prognostizierbar. Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Angesichts des gravierenden Fehlverhaltens (versuchter Suchtgifthandel mit einer großen Menge Kokain) und des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung insbesondere der Suchtgiftkriminalität ist es nicht als rechtswidrig zu beanstanden, dass die belangte Behörde zur Auffassung kam, der Beschwerdeführer gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits wiederholt dargelegt, dass die Deliktsform des Suchtgifthandels ein besonders verpöntes Verhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0317). An dieser Gefährdungsprognose vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass dem Beschwerdeführer ein Strafaufschub gemäß § 39 SMG gewährt wurde. Erst eine erfolgreiche Therapie (der Abschluss der Therapie wird auch in der Beschwerde nicht behauptet) und (danach) ein längeres Wohlverhalten könnten zu einer (maßgeblichen) Minderung bzw. zu einem Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung führen (vgl. das eben zitierte Erkenntnis Zl. 2011/23/0317, mwN). Darüber hinaus hat die belangte Behörde bei ihrer Gefährdungsprognose zu Recht darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer nicht davor zurückschreckte, im Zuge des geleisteten Widerstandes gegen die Staatsgewalt den einschreitenden Beamten in dessen Gesundheit massiv zu gefährden, wodurch er auch seine Gewaltbereitschaft unter Beweis stellte.

Nach § 60 Abs. 6 FPG gilt § 66 FPG auch für Aufenthaltsverbote. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, mit dem in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, ist daher nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Es darf jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden und seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Der Beschwerdeführer bringt diesbezüglich vor, dass er zu seinem Heimatstaat keinerlei Bindungen mehr habe, zumal zu den noch in Bosnien lebenden Großeltern auf Grund familieninterner Differenzen kein Kontakt mehr bestehe. Dies habe die belangte Behörde ebenso außer Acht gelassen wie seine abgeschlossene Berufsausbildung zum Mechaniker und das aufrechte Versicherungsverhältnis. Die Interessenabwägung der belangten Behörde sei daher als mangelhaft anzusehen.

Auch mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Die belangte Behörde hat ausgehend von der familiären und beruflichen Situation des Beschwerdeführers einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben anerkannt. Sie hat diesen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet jedoch zu Recht das große öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten der vorliegenden Art (insbesondere der Suchtgiftdelinquenz) gegenübergestellt. Auch die vom Beschwerdeführer, der sich allerdings (bis zur Bescheiderlassung) erst knapp mehr als vier Jahre in Österreich aufhielt, geltend gemachten fehlenden Bindungen zu seinem Heimatstaat sowie das aufrechte Versicherungsverhältnis in Österreich vermögen nicht zu einer entscheidungserheblichen Verstärkung seiner Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu führen. Soweit der Beschwerdeführer auf seine Berufsausbildung zum Mechaniker verweist, legt er nicht dar, inwieweit dieser Umstand zu einer Verstärkung seiner Integration in Österreich geführt hat. Vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang sonst angesprochene Schwierigkeiten sind von ihm aber im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.

Es ist daher nicht rechtswidrig, dass die belangte Behörde bei ihrer Interessenabwägung zum Ergebnis kam, § 66 FPG stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen.

Der Beschwerdeführer wendet sich zwar gegen die Ermessensübung durch die belangte Behörde, er zeigt aber keine Gründe auf, aus denen eine Ermessensübung zu seinen Gunsten im Sinn des Gesetzes gelegen gewesen wäre. Die unbefristete Gültigkeitsdauer wird in der Beschwerde schließlich nicht bekämpft.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am