VwGH vom 17.11.2015, Ro 2015/22/0005

VwGH vom 17.11.2015, Ro 2015/22/0005

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des EH, vertreten durch die Kocher Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom , Zl. LVwG 26.7-1898/2014-11, betreffend Niederlassungsbewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Steiermark), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Z 3 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) abgewiesen. Die belangte Behörde sah - auf Grund näher dargestellter, ihr nicht nachvollziehbarer Umstände hinsichtlich erfolgter Überweisungen und der Berufsangabe des Revisionswerbers als Fahrer - eine Unterhaltsabhängigkeit des Revisionswerbers von seinem Vater (M H) unter Verweis auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom , Rs C-83/11, Rahman , als nicht gegeben an.

2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ab.

2.1. Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung - gestützt auf die vorgelegten Unterlagen und die Ausführungen des Vaters des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung - zugrunde, dass M H seine Familie finanziell unterstütze, wofür er ca. EUR 300,- monatlich aufbringe. Die Unterstützung erfolge großteils durch Beschaffung von Lebensmitteln sowie die Begleichung der Betriebskosten für sein - von seiner Familie bewohntes - Haus in Bosnien und sein - vom Revisionswerber verwendetes - Auto. Der Revisionswerber arbeite acht bis neun Monate im Jahr als Kranfahrer und bringe EUR 200,- monatlich ins Verdienen. Er lebe - gemeinsam mit seiner Ehefrau, seinen beiden minderjährigen Kindern, drei Geschwistern und der Ehefrau seines Vaters - im Haus seines Vaters.

2.2. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die Unterstützungsleistungen des M H, die nicht nur dem Revisionswerber, sondern auch den weiteren - im Haus des M H lebenden - Familienangehörigen zugutekämen, keinen Unterhalt im Sinn des NAG darstellen würden. Der Revisionswerber habe trotz ungünstiger Beschäftigungssituation in Bosnien einen Arbeitsplatz, mit dem er ein zwar geringes, aber regelmäßiges Einkommen erziele. Die Ehegattin des Revisionswerbers erhalte überdies von ihrem Vater Unterstützungsleistungen. Es sei zudem eine bekannte Tatsache, dass in Bosnien verbliebene Familienmitglieder von ihren in der EU arbeitenden Angehörigen finanziell unterstützt würden. Dies sei hier gegeben, wobei eine tatsächliche Unterhaltsleistung nicht vorliege. Von einer Abhängigkeit des Revisionswerbers könne, nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, dass dieser regelmäßige Einkünfte erziele, nicht gesprochen werden.

Im Hinblick auf die Angabe des Revisionswerbers, er bekäme auf Grund seiner Ausbildung in Österreich sofort Arbeit und strebe diese auch an, sei nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes die Annahme naheliegend, dass der Revisionswerber beabsichtige, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, und nicht primär eine Familienzusammenführung anstrebe.

2.3. Das Verwaltungsgericht erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für zulässig, "weil die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet" worden sei.

3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.

Revisionsbeantwortungen wurden keine erstattet.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen.

4.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht den Ausspruch darüber, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, kurz zu begründen. Das Verwaltungsgericht begründet die Zulassung der Revision mit der nicht näher substantiierten, mit keinen Zitaten aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes belegten Behauptung, die zu lösende Rechtsfrage werde in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet. Damit wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.

4.2. Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, es sei zu klären, ob Leistungen - wie sie im vorliegenden Fall von seinem Vater erbracht würden - als Unterhaltsleistungen im Sinn des § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG anzusehen seien. Höchstgerichtliche Judikatur dazu gebe es nicht. Insbesondere sei zu klären, ob eine von den zivilrechtlichen Regeln der §§ 231 ff ABGB abweichende Auslegung des Unterhaltsbegriffes im NAG - wie sie vom Verwaltungsgericht vorgenommen worden sei - zulässig sei.

Nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln habe auch ein volljähriges Kind einen Unterhaltsanspruch, insoweit es nicht selbsterhaltungsfähig sei. Unterhalt könne auch in Form von Naturalleistungen erbracht werden. Die Argumentation des Verwaltungsgerichtes, die Leistungen des Vaters des Revisionswerbers seien kein Unterhalt im Sinn des NAG, weil auch die Wohnung und das Auto vom Vater zur Verfügung gestellt würden, sei nicht überzeugend. Auch der Umstand, dass der Revisionswerber die erhaltenen Zahlungen auch für seine Familie und deren Lebensunterhalt einsetze, ändere nichts am Unterhaltscharakter. Aus der vom Verwaltungsgericht als bekannt angesehenen Tatsache, dass in Bosnien verbliebene Familienmitglieder von ihren außerhalb Bosniens arbeitenden Angehörigen finanziell unterstützt würden, lasse sich für die Qualifikation der hier zugrunde liegenden Leistungen des Vaters des Revisionswerbers als Unterhalt nichts ableiten.

Das Verwaltungsgericht sei darüber hinaus zu Unrecht davon ausgegangen, dass keine Abhängigkeit des Revisionswerbers von den Zahlungen seines Vaters bestehe. Dazu verweist der Revisionswerber auf das Durchschnittsgehalt in Bosnien, das derzeit EUR 427,-

betrage. Deshalb sei davon auszugehen, dass das vom Revisionswerber bezogene Gehalt von EUR 200,- ohne Zuzahlungen Dritter für den Lebensunterhalt nicht ausreiche. Das Verwaltungsgericht habe zudem keine Recherchen zur aktuellen Höhe des Existenzminimums in Bosnien durchgeführt.

Die Mutmaßung des Verwaltungsgerichtes, der wahre Grund des Antrags des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei die (beabsichtigte) Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, weist der Revisionswerber zurück. Vielmehr habe der Revisionswerber leidglich auf seine Ausbildung hinweisen wollen, er respektiere aber selbstverständlich, dass ihm die Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit im Fall der Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" nicht möglich wäre.

Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen des Revisionswerbers zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

4.3. Gemäß § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 68/2013) kann sonstigen Angehörigen von Zusammenführenden auf Antrag eine "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat festgehalten, dass für den Nachweis zu Art, Umfang und Zeitraum des vom Zusammenführenden bereits geleisteten Unterhalts (im Sinn dieser Tatbestandsvoraussetzung) alle sonst im Verwaltungsverfahren in Betracht kommenden Beweismittel verwertet werden können (siehe das Erkenntnis vom , 2009/21/0277, mwN). Im Rahmen des § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG sind die tatsächlichen Gegebenheiten ausschlaggebend (siehe das Erkenntnis vom , 2008/22/0825; das Bestehen einer Rechtspflicht zur Leistung von Unterhaltszahlungen wird nicht vorausgesetzt).

Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht zwar die vom Vater des Revisionswerbers erbrachten Unterstützungsleistungen als solche anerkannt, allerdings die Auffassung vertreten, diese würden keinen Unterhalt im Sinn des NAG darstellen.

Das Verwaltungsgericht verweist zunächst darauf, dass diese Unterstützung nicht nur dem Revisionswerber, sondern auch den weiteren Familienangehörigen (wie der Ehefrau und der Tochter) des M H zugutekomme. Eine Unschlüssigkeit dieser beweiswürdigenden Beurteilung des Verwaltungsgerichtes wird vom Revisionswerber nicht aufgezeigt. Auch kann der Umstand, dass die zugrunde gelegte Unterstützung im Ausmaß von ca. EUR 300,- im Monat nicht zur Gänze, sondern nur teilweise dem Revisionswerber zufließt, sich darauf auswirken, inwieweit der Revisionswerber auf diese Leistungen angewiesen bzw. von ihnen abhängig ist. Allerdings fehlen im vorliegenden Fall Feststellungen dazu, in welchem Ausmaß die von M H erbrachten Leistungen dem Revisionswerber und den ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Personen zufließen und in welchem Ausmaß sie anderen Familienangehörigen (fallbezogen den im angefochtenen Erkenntnis angesprochenen Geschwistern des Revisionswerbers sowie der Ehefrau des M H) zugutekommen. Derartige Feststellungen sind erforderlich, um zu beurteilen, ob die Unterstützungsleistung des MH für den Revisionswerber in einem Ausmaß erfolgt, dass Letztgenannter für die Bestreitung seines Unterhalts darauf angewiesen ist, oder ob es sich bloß um eine freiwillige Zuwendung handelt, die keinen maßgeblichen Beitrag zur Bestreitung des Unterhalts darstellt (siehe dazu die Ausführungen unter Punkt 4.4).

Der Hinweis des Verwaltungsgerichtes auf die "bekannte Tatsache", dass in Bosnien lebende Personen von ihren in der Europäischen Union arbeitenden Familienangehörigen finanziell unterstützt würden, vermag keinen Aufschluss darüber zu geben, ob im konkreten Fall eine Unterhaltsleistung vorliegt. Dass die Leistungserbringung nicht auf Bargeld beschränkt ist, sondern auch die Zurverfügungstellung von Wohnraum sowie eines Fahrzeuges beinhaltet, verhindert die Einstufung als Unterhaltsleistung nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG hinsichtlich der Leistungsform, in der Unterhalt erbracht werden kann, eine vom allgemeinen zivilrechtlichen Verständnis abweichende Regelung enthalten soll (siehe zur Erbringung von Unterhalt durch Naturalunterhalt etwa die Nachweise bei Tades/Hopf/Kathrein/Stabentheiner , ABGB I § 140 E 84 ff; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , 88/16/0022).

4.4. Das Verwaltungsgericht vertritt die Auffassung, dass von einer Abhängigkeit des Revisionswerbers (gegenüber seinem Vater) nicht gesprochen werden könne. Diesbezüglich verweist es darauf, dass der Revisionswerber ein - wenn auch geringes - regelmäßiges Einkommen erziele und seine Ehegattin von ihrem Vater unterstützt werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass der Gesetzgeber bei der Familienzusammenführung nach § 47 Abs. 3 NAG in erster Linie jene Angehörigen im Blick hatte, die während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet auf Unterhaltsmittel des Zusammenführenden angewiesen sind (siehe das Erkenntnis vom , 2009/22/0357). Mit der Bestimmung des § 47 Abs. 3 NAG soll nur jenen Angehörigen die Möglichkeit des Familiennachzuges eingeräumt werden, bei denen ein - in den Fällen des § 47 Abs. 3 NAG näher definiertes, aber nicht zwingend finanzielles - Abhängigkeitsverhältnis zwischen Zusammenführendem und Nachziehendem gegeben ist (siehe das Erkenntnis vom , 2009/22/0126). Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass hinsichtlich der Leistungserbringung Unterhaltsleistungen von freiwilligen Zuwendungen abzugrenzen sind (wobei letztere den Tatbestand des § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG nicht erfüllen; siehe dazu das Erkenntnis vom , 2012/22/0168, in dem der Verwaltungsgerichtshof die Beurteilung der belangten Behörde, es sei kein Unterhalt gewährt worden, nicht als rechtswidrig erkannt hat, weil der Beschwerdeführer angegeben habe, seinen Unterhalt aus dem Einkommen aus seiner Tätigkeit bei einem Unternehmen bestritten zu haben, und es sich daher bei den Leistungen seiner Eltern nicht um Unterhalt, sondern um freiwillige Zuwendungen gehandelt habe).

Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht zwar der Sache nach zutreffend darauf abgestellt, ob ein Abhängigkeitsverhältnis des Revisionswerbers von den von seinem Vater erbrachten Leistungen besteht, und es hat in diesem Zusammenhang zu Recht miteinbezogen, dass der Revisionswerber - unabhängig von den Zahlungen durch seinen Vater - ein eigenes Einkommen erzielt. Allerdings steht der Umstand allein, dass der Revisionswerber regelmäßig Einkommen erzielt, der Annahme, dass er (auf Grund der geringen Höhe dieses Einkommens) zur Bestreitung seines Unterhalts auf die Zahlungen durch seinen Vater angewiesen bzw. von diesen abhängig ist, für sich genommen nicht entgegen. Zwar ist eine derartige Abhängigkeit - anders als der Revisionswerber offenbar meint - nicht schon deshalb gegeben, weil das Einkommen des Revisionswerbers (erheblich) unter dem von ihm ins Treffen geführten Durchschnittslohn in Bosnien und Herzegowina liegt. Allerdings ist der Revisionswerber insoweit im Recht, als eine Beurteilung der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Revisionswerbers von den Zahlungen durch seinen Vater Feststellungen zum Existenzminimum in Bosnien und Herzegowina (bzw. zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers) erfordert hätten. Zu den Ergebnissen derartiger Erhebungen wären die vom Revisionswerber erzielten Einkünfte in Relation zu setzen gewesen.

4.5. Das Verwaltungsgericht hat - vor dem Hintergrund der im Protokoll der mündlichen Verhandlung festgehaltenen Aussage des Revisionswerbers, er würde, wenn er eine Aufenthaltsbewilligung in Österreich bekäme, jede Arbeit annehmen - die Annahme als naheliegend angesehen, dass der Revisionswerber primär die Ausübung einer Erwerbstätigkeit anstrebe. Schon im Hinblick auf die Regelung des § 19 Abs. 2 NAG sind aber - nach allenfalls auch insoweit ergänzenden Erhebungen bzw. einer allfälligen Belehrung durch das Verwaltungsgericht - im fortzusetzenden Verfahren eindeutige Feststellungen dazu zu treffen, ob der Revisionswerber einen anderen Aufenthaltszweck (als den der Familienzusammenführung) anstrebt.

5. Da das Verwaltungsgericht die erforderlichen Erhebungen und Feststellungen unterlassen hat, erweist sich die Abweisung des Antrags wegen Nichterfüllung der Tatbestandsvoraussetzung des § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG als mangelhaft. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

6. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

7. Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am