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VwGH vom 11.03.2010, 2009/16/0116

VwGH vom 11.03.2010, 2009/16/0116

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerden des R P in G, vertreten durch Dr. Robert Eiter, Rechtsanwalt in 6500 Landeck, Malser Straße 13/II, gegen die Bescheide des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, jeweils vom , 1.) GZ RV/0533- L/06, betreffend Gewährung der Familienbeihilfe ab April 2006, (hg. Zl. 2009/16/0116, vormals: 2007/15/0189) und 2.) GZ RV/1003- L/06, betreffend Gewährung der Familienbeihilfe ab , (hg. Zl. 2009/16/0117, vormals: 2007/15/0190) zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 2.212,80 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, beantragte mit einem ausgefüllten Formblatt "Beih 1" am die Gewährung der Familienbeihilfe für seine beiden am geborenen Söhne A. und M. ab . Im ausgefüllten Antragsvordruck gab er an, dass er im Jahr 1990 nach Österreich eingereist und seit verheiratet sei. Seine Ehefrau sei im Jahr 2002 nach Österreich eingereist.

Mit ausgefülltem Formblatt "Beih 1" beantragte der Beschwerdeführer am die Gewährung der Familienbeihilfe für seinen am geborenen Sohn I. ab April 2006.

Gegen die diese Anträge abweisenden Bescheide des Finanzamtes Grieskirchen Wels vom (betreffend den Antrag vom ) und vom (betreffend den Antrag vom ) berief der Beschwerdeführer jeweils. Er halte sich seit 1990 rechtmäßig in Österreich auf und sei hier seither unselbständig beschäftigt. Für seine Söhne A. und M. habe er bis zum Familienbeihilfe bezogen; diese sei auf Grund einer Gesetzesänderung eingestellt worden. Bei dieser Gesetzesänderung handle es sich um eine unzulässigen Eingriff in seine wohlerworbenen Rechte. Die "Einstellung der Familienbeihilfe" verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen das Assoziationsabkommen zwischen der EU und der Türkei.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen als unbegründet ab. Bis habe für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, die Regelung gegolten, dass sie Anspruch auf Familienbeihilfe hätten, wenn sie im Bundesgebiet bei einem Dienstgeber beschäftigt gewesen seien und aus dieser Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit oder zu Folge einer solchen Beschäftigung Bezüge aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet bezogen hätten. Nach der Neuregelung durch das Fremdenrechtspaket 2005 bestehe der Anspruch auf Familienbeihilfe ab nur mehr für die Personen, die auch zur Niederlassung in Österreich berechtigt seien, wobei diese Berechtigung nach den Bestimmungen des ebenfalls im Rahmen des Fremdenrechtspaketes 2005 erlassenen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes erteilt werde. In dessen §§ 8 und 9, auf die sich "das Gesetz" beziehe, seien die Arten und Formen der Aufenthaltstitel im Sinne "des Gesetzes" aufgezählt. Der Beschwerdeführer könne keinen Aufenthaltstitel nach der neuen gesetzlichen Regelung nachweisen. Eine (vorläufige) Beschäftigungsbewilligung sei nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung seit nicht mehr ausreichend, um einen Anspruch auf Familienbeihilfe zu vermitteln.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der vor ihm gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden mit Beschlüssen vom , B 1966/06-4 und B 1967/06-4, ab und trat die Beschwerden dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung ab.

Die belangte Behörde legte Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte Gegenschriften ein, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges die Verbindung der Beschwerden beschlossen und über die Beschwerden erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich ersichtlich im Recht auf Gewährung der Familienbeihilfe verletzt.

Gemäß § 2 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die dort näher genannte Voraussetzungen erfüllen.

Gemäß § 3 Abs. 1 FLAG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung des Fremdenrechtspaketes 2005, BGBl. I Nr. 100, haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Nach § 8 Abs. 1 Z 1 NAG werden Aufenthaltstitel u.a. als "Niederlassungsbewilligung" für eine nicht bloß vorübergehende befristete Niederlassung im Bundesgebiet zu einem bestimmten, in § 8 Abs. 2 leg. cit. angeführten Zweck mit der Möglichkeit erteilt, anschließend einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" zu erlangen. § 8 Abs. 2 Z 4 sieht als Zweck etwa die "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" vor, die zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz gilt, berechtigt.

Gemäß § 81 Abs. 2 NAG gelten vor dem Inkrafttreten des NAG erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen innerhalb ihrer Gültigkeitsdauer und ihres Gültigkeitszweckes insoweit weiter, als sie nach dem Zweck des Aufenthaltes den Bestimmungen des NAG entsprechen. Der Bundesminister für Inneres ist nach dieser Bestimmung ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche vor dem Inkrafttreten des NAG erteilten Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach ihrem Aufenthaltszweck als entsprechende Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach dem NAG weiter gelten.

§ 11 Abs. 1 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - Durchführungsverordnung (NAG-DV), BGBl. II Nr. 451/2005, lautet:

"§11. (1) Die vor dem Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes erteilten Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach dem Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75 in der Fassung der FrG - Novelle 2002, BGBl. I Nr. 126 und zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, gelten nach ihrem Aufenthaltszweck als entsprechende Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz oder als Berechtigungen nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, wie folgt weiter:

....."

In der in § 11 Abs. 1 NAG-DV nach diesem Text angeführten Tabelle wird unter A. Z 1 der "Niederlassungsbewilligung jeglicher Aufenthaltszweck, § 13 Abs. 2 FrG" die "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" als Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung nach dem NAG (§ 8 Abs. 1 und Abs. 2 Z 4) gegenübergestellt.

Die belangte Behörde hat die Anträge des Beschwerdeführers auf Gewährung der Familienbeihilfe im Instanzenzug mit der Begründung abgewiesen, der Beschwerdeführer habe keinen "Aufenthaltstitel nach der neuen gesetzlichen Regelung", gemeint nach den §§ 8 und 9 NAG, "nachgewiesen".

In den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten sind unter OZ 5/8 bis 5/10 Ablichtungen des Reisepasses des Beschwerdeführers enthalten, in welchem auf Seite 33 ein "Aufenthaltstitel", ausgestellt von der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land am mit der Bezeichnung "Niederlassungsbewilligung - jeglicher Aufenthaltszweck, § 13 Abs. 2 FrG", gültig bis , aufscheint.

Die belangte Behörde hat sich mit diesem in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltenen Aufenthaltstitel in keiner Weise auseinandergesetzt und erwähnt ihn in den angefochtenen Bescheiden auch nicht. Vor dem oben dargestellten rechtlichen Hintergrund, insbesondere § 81 NAG in Verbindung mit § 11 NAG - DV, erweist sich dies als rechtlich relevanter Verfahrensfehler.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das abgewiesene Mehrbegehren betrifft einerseits die Umsatzsteuer, die im Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand (§ 48 Abs. 1 Z 2 VwGG) enthalten ist, und andererseits den Ersatz der Eingabegebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG, die der Beschwerdeführer nicht zu entrichten hatte, weil ihm vom Verfassungsgerichtshof Verfahrenshilfe bewilligt worden war, welche im Fall der Abtretung der Beschwerde auch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichthof gilt (§ 61 Abs. 4 VwGG).

Wien, am