VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0512

VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0512

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/359.108/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Ecuador, ist - nachdem er bereits im Jahr 2004 zeitweise in Österreich war - seit Juli 2005 durchgehend im Bundesgebiet aufhältig. Am heiratete er die österreichische Staatsbürgerin R. Im Hinblick auf diese Ehe beantragte er am die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger". Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom rechtskräftig abgewiesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Einleitend verwies die belangte Behörde darauf, dass die Berufung des Beschwerdeführers im Hinblick auf sein Vorbringen, seine Ehefrau sei "freizügigkeitsberechtigt", zunächst dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien übermittelt worden sei. Dieser habe allerdings mitgeteilt, es bestehe kein Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer begünstigter Drittstaatsangehöriger sei. Somit liege die Zuständigkeit der belangten Behörde vor.

Der Beschwerdeführer halte sich - so die belangte Behörde weiter - unbestrittener Maßen ohne Aufenthaltstitel und somit unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG vorlägen.

In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, wobei er aber bei der Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien am ausgesagt habe, seit etwa zwei Monaten nicht mehr mit seiner Ehefrau zusammenzuwohnen. Weiters lebe seine zehnjährige Tochter in Österreich bei einer seiner Schwestern. Darüber hinaus seien auch zwei Brüder und eine weitere Schwester in Österreich aufhältig, drei der Geschwister seien bereits österreichische Staatsbürger. In Anbetracht dieser Umstände sei mit der Ausweisung ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch dringend geboten, weil den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zukomme. Diese Vorschriften habe der Beschwerdeführer durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gravierend missachtet, zumal ihn auch die rechtskräftige Abweisung seines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht dazu habe veranlassen können, das Bundesgebiet zu verlassen. Die Bindungen des Beschwerdeführers zu seiner Ehefrau und zu seinen Familienangehörigen seien zu relativieren, weil er nicht davon ausgehen habe dürfen, sich dauerhaft in Österreich niederlassen zu können. Der Beschwerdeführer sei in Österreich nicht berufstätig. Die durch den unrechtmäßigen Aufenthalt bewirkte Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet. In Ermangelung besonderer zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände könne von der Erlassung der Ausweisung auch nicht im Rahmen des Ermessens Abstand genommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im April 2009 geltende Fassung.

Der Beschwerdeführer macht zunächst die Unzuständigkeit der belangten Behörde zur Erledigung der Berufung geltend. Dabei geht er davon aus, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 FPG, wonach über Berufungen gegen Entscheidungen nach dem FPG im Fall von (u.a.) begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern entscheiden, gegeben seien und daher die allgemeine Regelung des § 9 Abs. 1 Z 2 FPG, wonach in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz zuständig seien, nicht zur Anwendung komme. Es handle sich bei ihm nämlich um einen "begünstigten Drittstaatsangehörigen" iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG, weil seine Ehefrau ihr gemeinschaftsrechtlich eingeräumtes Recht auf Freizügigkeit ausgeübt habe. Dazu verwies der Beschwerdeführer auf die Tätigkeit seiner Ehefrau als Betreiberin einer Begleit- und Werbeagentur. Es liege - so die Beschwerdebehauptung - ein "völlig gleichgelagerter Fall" zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom , Rs C-60/00, Carpenter , vor.

Dem ist allerdings zu entgegnen, dass die vorliegende Konstellation damit sachverhaltsmäßig nicht vergleichbar ist. Einerseits hat sich im dort entschiedenen Fall der Unionsbürger zur Ausübung der Freizügigkeit auch in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union begeben und andererseits ist es entscheidungswesentlich darauf angekommen, dass ihn seine drittstaatsangehörige Ehefrau dabei unterstützt hatte. Das wurde vom Beschwerdeführer aber nicht einmal behauptet (siehe in diesem Sinn hinsichtlich der im Fall Carpenter maßgeblichen Erleichterung der Freizügigkeitsausübung durch die Ehefrau auch Punkt II.1.3. der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom , Zl. 2009/18/0278). Zudem werden die vom Unternehmen der Ehefrau des Beschwerdeführers vermittelten Dienstleistungen - anders als im Fall Carpenter und im Fall des dort in Rz. 29 zitierten , Alpine Investments - im Inland für hier aufhältige Personen erbracht, sodass es auch insoweit an einem "grenzüberschreitenden Element" fehlt.

Es ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde ihre Zuständigkeit in Anspruch genommen hat.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG beim Beschwerdeführer vorläge.

Der Beschwerdeführer bringt allerdings vor, dass die Bestimmung des § 53 Abs. 1 FPG auf ihn als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin nicht anwendbar und eine Ausweisung von Familienangehörigen österreichischer Staatsbürger allein wegen eines unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet grundsätzlich ausgeschlossen sei. Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur hier maßgeblichen Rechtslage die Grundlage für die Ausweisung unrechtmäßig aufhältiger Familienangehöriger von Österreichern, die - wie im vorliegenden Fall - ihr unionsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben, nicht § 86 Abs. 2 FPG, sondern § 53 Abs. 1 FPG ist. Die Ausweisung des Beschwerdeführers setzt daher nicht das Vorliegen der in der Beschwerde angesprochenen qualifizierten Gefährdung voraus (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0124, mwN). Die Beschwerdeausführungen geben keinen Anlass, davon abzugehen.

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang gleichheitsrechtliche Bedenken anspricht, genügt es, auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , VfSlg. 18.968, hinzuweisen.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist in Form einer Gesamtbetrachtung unter Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen vorzunehmen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0156).

Der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf seine mehrjährige Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin sowie auf den Umstand, dass seine zehnjährige Tochter und seine vier Geschwister, von denen drei über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügen würden, im Inland aufhältig seien. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Die belangte Behörde hat ausgehend von den genannten Umständen einen mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zugestanden. Sie hat dem bei ihrer Interessenabwägung aber zu Recht das hoch zu veranschlagende Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften entgegengehalten. Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer offenbar mit einem Besuchsvisum in das Bundesgebiet eingereist und nach Ablauf des Visums hier unrechtmäßig verblieben. Wie er in der Beschwerde selbst einräumt, entschloss er sich zum Verbleib in Österreich, um das Familienleben mit R., die er während eines früheren Besuches kennengelernt hatte, aufzunehmen. Damit liegt aber eine von ihm von Anfang an beabsichtigte Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung vor. Der Beschwerdeführer legt auch nicht dar, weshalb ihm der vorgesehene Weg des "Familiennachzugs" damals nicht zumutbar gewesen sein soll. Zwar vertritt er diesbezüglich die Auffassung, dass ihm im Hinblick auf die im Dezember 2005 - und somit während der Geltung des Fremdengesetzes 1997 (FrG) - erfolgte Eheschließung "Niederlassungsfreiheit" zugekommen sei. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass er den Niederlassungsbewilligungsantrag, den er im Geltungsbereich des FrG als Angehöriger einer österreichischen Staatsbürgerin im Inland hätte stellen dürfen, erst nach Inkrafttreten des FPG - und somit unzulässiger Weise im Inland - gestellt hat.

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, dass sein Niederlassungsverfahren nach wie vor anhängig sei. Dazu ist ihm zu erwidern, dass sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom - eben wegen der Unzulässigkeit einer Inlandsantragstellung - rechtskräftig abgewiesen worden ist. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde, nachdem dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht stattgegeben worden war, vom Verwaltungsgerichtshof schließlich mit Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0049, als unbegründet abgewiesen. Dabei erachtete der Verwaltungsgerichtshof - bezogen auf den Zeitpunkt Mitte Juni 2007 - wegen des damals erst zweijährigen Inlandsaufenthaltes und des Fehlens einer beruflichen Integration trotz der Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin keinen besonders berücksichtigungswürdigen Fall iSd § 72 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) - Bestehen eines aus Art. 8 EMRK ableitbaren Aufenthaltsrechtes - als gegeben und hielt daher die Annahme des Bundesministers für Inneres im Bescheid vom , eine Inlandsantragstellung sei nicht zulässig, für nicht rechtswidrig.

Auch nach der genannten Entscheidung des Bundesministers für Inneres setzte der Beschwerdeführer seinen unrechtmäßigen Aufenthalt im Inland fort und hält sich nunmehr - bezogen auf den vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt April 2009 - knapp vier Jahre durchgehend im Bundesgebiet auf.

Die belangte Behörde durfte das Gewicht des Familienlebens des Beschwerdeführers mit seiner Ehefrau allerdings als gemindert ansehen, weil er laut eigener Aussage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits seit über zwei Monaten nicht mehr mit ihr im gemeinsamen Haushalt zusammenlebte. Weiters durfte die belangte Behörde berücksichtigen, dass diese Bindungen zu einem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem der Beschwerdeführer nicht davon ausgehen durfte, sich dauerhaft in Österreich niederzulassen. Auch die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Beziehungen zu seinen in Österreich lebenden Geschwistern können im vorliegenden Fall nicht zu einer entscheidungserheblichen Verstärkung seiner Interessen an einem Verbleib im Inland führen, zumal das Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes nicht vorgebracht wurde. Gleiches gilt letztlich auch für die Beziehung zu seiner zehnjährigen Tochter. Wie der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren nämlich angab, ist seine Tochter bereits seit neun Jahren (und somit erheblich länger als er selbst) in Österreich und lebt hier bei einer seiner Schwestern. Er war somit bis zu seiner Einreise im Jahr 2005 - abgesehen von Besuchen - jedenfalls von ihr getrennt. Soweit der - beruflich hier nicht integrierte - Beschwerdeführer noch auf die fehlenden Bindungen zu seinem Heimatstaat verweist, bringt er damit nicht vor, weshalb ihm eine Wiederaufnahme der allenfalls abgebrochenen Beziehungen nach einem Zeitraum von vier Jahren nicht möglich sein sollte.

In einer solchen Konstellation führt somit auch die aufrechte Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin nicht dazu, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. auch das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0549).

Die unbegründete Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am