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VwGH vom 31.05.2012, 2011/23/0507

VwGH vom 31.05.2012, 2011/23/0507

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des L in W, vertreten durch Dr. Ing. Andreas Pascher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zedlitzgasse 1/17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/3.289/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am unter dem Aliasnamen Fedrick Otuali (geboren am ) einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen, der Bescheid erwuchs am in Rechtskraft.

Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom wurde der Beschwerdeführer (ebenfalls unter seiner Aliasidentität) wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 2 Z 2 des Suchtmittelgesetzes (SMG) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten rechtskräftig verurteilt. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer einem Dritten gewerbsmäßig Suchtgift, nämlich Anfang Juni 2001 drei Kugeln Heroin und am 3 g Heroin, verkauft.

Mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 1 und 2 Z 2 erster Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt. Unter einem wurde die bedingte Strafnachsicht betreffend die Verurteilung vom widerrufen. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer am einem Dritten gewerbsmäßig Suchtgift, nämlich 0,4 g Kokain, verkauft.

Im Hinblick auf diese Verurteilungen erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) rechtskräftig ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Am heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin S. Dieser Ehe entstammen zwei - 2004 bzw. 2006 geborene - Kinder, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Mit seinem im Hinblick auf diese Ehe gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gab der Beschwerdeführer seine richtige Identität bekannt.

Am beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des gegen ihn verhängten unbefristeten Aufenthaltsverbotes vom , worauf die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien dieses Aufenthaltsverbot - im Hinblick auf die geänderten familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers - mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom behob. In diesem Bescheid wurde festgehalten, "dass jegliches Fehlverhalten seinerseits, insbesondere im Zusammenhang mit Suchtmitteln, zur neuerlichen Einleitung eines Verfahrens zu seiner Aufenthaltsbeendigung führen" könne.

Der Beschwerdeführer erhielt zunächst eine bis zum gültige Niederlassungsbewilligung, die in der Folge als Aufenthaltstitel "Familienangehöriger", gültig bis zum , verlängert wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten rechtskräftig verurteilt. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer am seine Ehefrau einerseits gefährlich bedroht und andererseits zur Übergabe der Autoschlüssel zu nötigen versucht, indem er ein Küchenmesser drohend in der Hand gehalten und geäußert habe, "Gib mir die Autoschlüssel, sonst …!".

Am wurde die Ehe des Beschwerdeführers mit S. geschieden.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten rechtskräftig verurteilt. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht betreffend die Verurteilung vom wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer am einem verdeckten Ermittler eine Kugel Kokain (1,3 g brutto) verkauft.

Im Hinblick auf diese Verurteilungen erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005

(FPG).

Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass das Aufenthaltsverbot für eine Dauer von zehn Jahren erlassen werde.

Im Hinblick auf die Verurteilungen des Beschwerdeführers erachtete die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG als erfüllt. Das dargestellte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - "im Grunde des § 60 Abs. 1" FPG gegeben seien.

In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde auf den knapp acht Jahre andauernden Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und auf die familiären Bindungen zu seinen beiden minderjährigen Kindern, die jedoch bei deren Mutter leben würden. Zu seiner Erwerbstätigkeit stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer zwar seit immer wieder bei ständig wechselnden Arbeitgebern beschäftigt gewesen, allerdings nur vom bis zum einer konstanten Beschäftigung bei einem Arbeitgeber nachgegangen sei.

Mit dem Aufenthaltsverbot sei somit zwar ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden, dieser Eingriff sei aber zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, dringend geboten. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer, der durch die Aufhebung des ersten Aufenthaltsverbotes "eine zweite Chance" erhalten habe, wiederholt strafbar geworden sei und sich die bei Suchtgiftdelikten immanente Wiederholungsgefahr bei ihm deutlich gezeigt habe. Die für die Integration bedeutsame soziale Komponente werde durch sein mehrfaches strafbares Verhalten erheblich gemindert. Den geschmälerten privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Einhaltung der strafrechtlichen Normen gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers würden nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten könne sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet - so die belangte Behörde abschließend - auch unter Berücksichtigung seiner familiären Situation im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens nicht in Kauf genommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Jänner 2009 geltende Fassung.

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache (u.a.) zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die Annahme der belangten Behörde, dass im Hinblick auf seine Verurteilungen die genannten Alternativen des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sind. Angesichts des den dargestellten Verurteilungen zugrunde liegenden Fehlverhaltens ist auch die - in der Beschwerde ebenfalls nicht bekämpfte - Auffassung, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde bzw. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Interessen zuwiderlaufe und somit die Gefährdungsannahme nach § 60 Abs. 1 FPG gerechtfertigt sei, nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Nach § 60 Abs. 6 FPG gilt § 66 FPG auch für Aufenthaltsverbote. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, mit dem in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, ist daher nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Es darf jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden und seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Der Beschwerdeführer wendet sich insbesondere gegen die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung. Er verweist diesbezüglich auf die Bindungen zu seinen beiden - drei und vier Jahre alten - Kindern und auf seine langjährige Erwerbstätigkeit.

Diese Umstände wurden von der belangten Behörde aber ohnehin in ihre Interessenabwägung einbezogen. Die belangte Behörde durfte dabei aber berücksichtigen, dass die beiden Kinder bei ihrer Mutter leben. Soweit in der Beschwerde vorgebracht wird, dass der Beschwerdeführer versucht habe, die Obsorge für die Kinder zu erlangen, handelt es sich dabei um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG). Gleiches gilt für das Vorbringen im Zusammenhang mit den zahlreichen in Österreich lebenden Freunden und Bekannten sowie der Beherrschung der deutschen Sprache. Dass der Beschwerdeführer ab Februar 2007 nur mehr temporäre Beschäftigungsverhältnisse bei wechselnden Arbeitgebern vorzuweisen hat, wird auch in der Beschwerde eingeräumt. An diesem Umstand vermag auch der Hinweis, dass die kurzen Unterbrechungen auf die verbüßte Freiheitsstrafe bzw. auf Zeiten der Arbeitssuche zurückzuführen seien, nichts zu ändern.

Dem Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht jedoch das große öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten der vorliegenden Art gegenüber. Hinsichtlich der - eine hohe Sozialschädlichkeit aufweisenden - Suchtgiftdelinquenz hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, an dessen Verhinderung ein großes öffentliches Interesse bestehe (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0474). Der Beschwerde kann somit nicht beigetreten werden, wenn sie in den vom Beschwerdeführer verübten Straftaten nur eine Störung der öffentlichen Ordnung "in geringstem Maße" sieht. Die belangte Behörde war auch nicht daran gehindert, die im Jahr 2001 verübten Straftaten in ihre Beurteilung einzubeziehen und somit von einer wiederholten (insbesondere auch Heroin betreffenden) Suchtgiftdelinquenz des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser hat sich auch weder von den ersten, durch einen raschen Rückfall gekennzeichneten Verurteilungen im Jahr 2001 und der Verbüßung einer Haftstrafe noch von der Verhängung eines ersten Aufenthaltsverbotes im Jahr 2002 und von dem im Zuge der Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes erfolgten Hinweis auf mögliche Folgen eines weiteren Fehlverhaltens davon abhalten lassen, erneut als Suchtgifthändler straffällig zu werden. Vor diesem Hintergrund vermag auch der Umstand, dass den Suchtgiftdelikten jeweils nur geringfügige Suchtgiftmengen zugrunde lagen, das Ergebnis der Abwägung nicht entscheidungserheblich zugunsten des Beschwerdeführers zu beeinflussen. Darüber hinaus manifestiert sich in dem der Verurteilung vom zugrunde liegenden Fehlverhalten eine Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers, die auch durch den Hinweis in der Beschwerde, dass diese Straftat im Zusammenhang mit der bevorstehenden Scheidung und dem daraus resultierenden häuslichen Konflikt zu sehen sei, nicht maßgeblich verringert wird.

Es ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde im Ergebnis kein Überwiegen des persönlichen Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem großen öffentlichen Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes angenommen hat. Die mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Auswirkungen auf sein Privat- und Familienleben sind im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.

In der Beschwerde werden schließlich auch keine ausreichenden Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
UAAAE-94013