VwGH vom 11.05.2017, Ro 2015/21/0041
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des S D, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W137 2109330-1/5E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Fremder ungeklärter Staatsangehörigkeit, reiste (spätestens) im Dezember 2014 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Er wurde wegen am versuchter Einbruchsdiebstähle gerichtlich verurteilt und aus der deshalb verhängten Strafhaft am (bedingt) entlassen.
2 Am hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Revisionswerber die dann im Anschluss an die Strafhaft vollzogene Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Mit weiterem Bescheid des BFA vom wurde gegen den unrechtmäßig aufhältigen Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und im Hinblick auf seine Straftaten gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein mit acht Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt. Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den (angenommenen) Herkunftsstaat Marokko zulässig sei. Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.
3 In der Folge stellte der Revisionswerber während seiner Anhaltung in Schubhaft am einen Antrag auf internationalen Schutz. Hierauf wurden im Hinblick auf entsprechende "Eurodac-Treffer" sowohl mit Spanien als auch mit Frankreich Konsultationsverfahren nach der Dublin III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung)) geführt.
4 Aus Anlass der gegen die Verhängung der Schubhaft mit dem in Rz 2 eingangs genannten Bescheid und gegen die darauf gegründete Anhaltung erhobenen Beschwerde stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm Art. 28 Dublin III-VO, § 76 Abs. 2 Z 3 FPG und § 9 Abs. 4a (gemeint: § 9a Abs. 4) FPG-DV fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Dabei stützte das BVwG die Annahme von erheblicher Fluchtgefahr iSd Art. 28 Abs. 2 iVm Art. 2 lit. n Dublin III-VO insbesondere darauf, dass der Revisionswerber einen gefälschten belgischen Personalausweis verwendet, Angaben zu seiner tatsächlichen Identität verweigert und sich seit mehr als drei Jahren in Europa unter Verwendung verschiedener Personaldaten "bewegt" habe. Demzufolge seien die bei der Annahme von Fluchtgefahr zu berücksichtigenden Tatbestände der Z 1, 5 und 6 des § 9a Abs. 4 FPG-DV erfüllt. Des Weiteren sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (ordentliche) Revision, zu der keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden und über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage gemäß § 30a Abs. 6 VwGG erwogen hat:
6 Die Revision behauptet der Sache nach auch die Gesetzwidrigkeit des vom BVwG im bekämpften Fortsetzungsausspruch herangezogenen § 9a Abs. 4 FPG-DV (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. II Nr. 143/2015). Dazu genügt es auf das (mittlerweile ergangene) Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , V 152/2015 u.a., zu verweisen, mit dem (aus Anlass anderer Verfahren) vom BVwG gestellte Anträge auf Feststellung, dass § 9a Abs. 4 und § 21 Abs. 9 FPG-DV (in der genannten Fassung) gesetzwidrig waren, abgewiesen wurden. Der Verfassungsgerichtshof ging dabei mit näherer Begründung davon aus, dass § 76 FPG (idF vor dem FrÄG 2015) eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die erlassene Durchführungsverordnung dargestellt habe, wobei es für die Gesetzmäßigkeit der FPG-DV ohne Bedeutung sei, ob die BMI auch intendierte, damit Art. 2 lit. n der Dublin III-VO umzusetzen.
7 Eine andere Frage ist, ob die Umsetzung der Vorgaben des Art. 2 lit. n der Dublin III-VO mittels Verordnung der BMI unionsrechtskonform war. Das wird in der vorliegenden Revision auch in erster Linie bestritten und dazu vom Revisionswerber im Ergebnis der Standpunkt vertreten, hierfür wäre die Erlassung eines Gesetzes im formellen Sinn notwendig gewesen.
8 Dem ist beizupflichten, wobei insoweit des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom heutigen Tag, Ra 2015/21/0108, verwiesen werden kann. Dort vertrat der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf das , Rs Al Chodor, zusammengefasst die Meinung, dass § 9a Abs. 4 FPG-DV (in der genannten Fassung) am Maßstab des Art. 2 lit. n Dublin III-VO in seiner Auslegung durch den EuGH keine taugliche Rechtsgrundlage für die Festlegung der Kriterien von Fluchtgefahr dargestellt habe. Es hätte hierfür eines Gesetzes im formellen Sinn, wie es dann auch am in Kraft getreten ist (§ 76 Abs. 3 FPG idF des FrÄG 2015), bedurft.
9 Demnach erweist sich der vorliegend bekämpfte Ausspruch über die Zulässigkeit der Fortsetzung der gegen den Revisionswerber verhängten Schubhaft als inhaltlich rechtswidrig, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
10 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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