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VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0505

VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0505

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/480.869/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, heiratete am in Wien die österreichische Staatsbürgerin B. und beantragte unter Berufung auf diese Ehe am die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft mit Österreicher". Diese wurde ihm erteilt und in der Folge mehrfach verlängert. Ab dem verfügte er über einen Niederlassungsnachweis. Die Ehe des Beschwerdeführers wurde mit rechtskräftig geschieden.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB sowie des Betruges nach § 146 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten rechtskräftig verurteilt. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer im Oktober 2006 eine dritte Person bzw. im Oktober 2007 zwei Mal seine vormalige Ehefrau mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, wobei sich die Androhung von Gewalt im Oktober 2007 auch auf die beiden gemeinsamen Kinder erstreckte. Weiters habe der Beschwerdeführer im Dezember 2005 einen Dritten durch Täuschung über seine Bereitschaft zur Herausgabe eines Kleinbusses zur Übergabe einer Anzahlung von EUR 1.000,-- verleitet. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer erneut wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt, wobei gemäß den §§ 31, 40 StGB von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, der versuchten Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs. 1 StGB und der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten rechtskräftig verurteilt. Unter einem wurde die bedingte Strafnachsicht betreffend die Verurteilung vom widerrufen. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer am seine vormalige Ehefrau zum Einsteigen in seinen Pkw genötigt, indem er sie von hinten würgte. Weiters habe er versucht, sie am Körper zu verletzen, indem er gegen ihren Kopf schlug und sie an den Haaren riss, und er habe ihr widerrechtlich die Freiheit entzogen, indem er sie zwang, in seinen Pkw zu steigen und mit ihm nach Ungarn zu fahren.

Im Hinblick auf diese Verurteilungen erließ die belangte Behörde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Zum einen sei auf Grund der Verurteilungen der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG (mehrfach) erfüllt. Zum anderen gefährde das dargestellte Gesamtfehlverhalten "die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maße, sodass sich (auch) die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme als gerechtfertigt" erweise. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers stelle eine "erhebliche, tatsächliche und gegenwärtige Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft" berühre.

In Ansehung des § 66 FPG verwies die belangte Behörde auf den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und auf seinen Niederlassungsnachweis. Weiters habe der Beschwerdeführer eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin behauptet, die er nach Haftende zu ehelichen beabsichtige und mit der eine gemeinsame Tochter habe. Auf Grund dieser Umstände sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier: zum Schutz der Rechte Dritter und zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen) dringend geboten. Das Verhalten des Beschwerdeführers dokumentiere, dass es sich bei ihm "um einen (latent) aggressiven Menschen" handle, der nicht davor zurückschrecke, seine eigenen Angehörigen (nämlich seine vormalige Ehefrau und die gemeinsamen Kinder) zu bedrohen bzw. seiner vormaligen Ehefrau die Freiheit zu entziehen. Der Beschwerdeführer habe mehrere, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Straftaten begangen. Der Zeitraum des vorgebrachten Wohlverhaltens seit der (letzten) Tatbegehung sei viel zu kurz, um auf einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefährdung schließen zu können.

Die belangte Behörde erachtete darüber hinaus die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das mehrfache strafbare Verhalten des Beschwerdeführers als erheblich beeinträchtigt. Daran würden auch die beabsichtigte Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin und die Bindungen zu seinen Kindern nichts ändern. Hinsichtlich seiner Kinder sei weder das Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes noch die Ausübung der Obsorge behauptet worden. Auch mit seiner "zukünftigen" Ehegattin habe der Beschwerdeführer laut Auskunft aus dem Zentralen Melderegister nie im selben Haushalt gelebt. Schließlich könne auch nicht von einer nachhaltigen Integration in den heimischen Arbeitsmarkt gesprochen werden, zumal der Beschwerdeführer laut einem Sozialversicherungsdatenauszug nur kurzzeitig beschäftigt gewesen sei und vorwiegend als Bezieher von Kinderbetreuungsgeld aufscheine. Den somit erheblich relativierten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet stehe das große öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen (insbesondere der Gewaltkriminalität) gegenüber. Bei Abwägung dieser gegenläufigen Interessenlagen kam die belangte Behörde zur Auffassung, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wiegen würden als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fern bleibe.

Im Hinblick auf das dargestellte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers und die Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten könne - so die belangte Behörde weiter - von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des zustehenden Ermessens Abstand genommen werden. Schließlich erachtete die belangte Behörde auch die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung als gerechtfertigt. Angesichts der mehrfachen, zum Teil einschlägigen Tatbegehung und der Aggressivität des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Februar 2009 geltende Fassung.

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache (u.a.) zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Angesichts des Umstandes, dass die - unbestrittenen - rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers vom Jänner 2008 und vom Juli 2008 wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen erfolgten und er im Juli 2008 zu einer neunmonatigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, erweist sich die Auffassung der belangten Behörde, die genannten Alternativen des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG seien erfüllt, nicht als rechtswidrig.

Die Beschwerde bringt allerdings vor, dass die "Verurteilungen ihre Ursache in den Eheproblemen des Beschwerdeführers" gehabt hätten und er zwischenzeitlich geschieden sei. Darüber hinaus habe durch die Haft ein Gesinnungswandel stattgefunden. Damit zeigt die Beschwerde aber keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Vorweg ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer wegen des ihm erteilten Niederlassungsnachweises die Rechtsstellung eines "langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen" zukommt, gegen den eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur bei Vorliegen der in § 56 FPG genannten Voraussetzungen zulässig ist (vgl. dazu das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0311; grundlegend zum System der abgestuften Gefährdungsprognosen im FPG siehe das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603). Die belangte Behörde stützte den angefochtenen Bescheid im Spruch zwar lediglich auf § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 FPG. Der Beschwerdeführer wurde dadurch aber nicht in Rechten verletzt. Angesichts seiner Verurteilung vom wegen einer auf derselben schädlichen Neigung (wie die der Verurteilung vom zugrunde liegende strafbare Handlung) beruhenden Vorsatztat zu einer unbedingten neunmonatigen Freiheitsstrafe ist nämlich die Voraussetzung des § 56 Abs. 2 Z 2 FPG erfüllt und damit das Vorliegen einer schweren Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 56 Abs. 1 FPG indiziert.

Dem Beschwerdevorbringen, durch die Haft sei eine Läuterung eingetreten, ist entgegenzuhalten, dass ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters in erster Linie daran zu messen ist, innerhalb welchen Zeitraumes er sich nach der Entlassung aus der Strafhaft in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das bereits erwähnte Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0311, mwN). Der Beschwerdeführer befand sich zum (maßgeblichen) Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aber noch in Haft.

Soweit der Beschwerdeführer auf seine Eheprobleme als "Ursache" für die Verurteilungen und auf die zwischenzeitliche Scheidung verweist, ist ihm Folgendes zu erwidern: Zunächst ist festzuhalten, dass der ersten Verurteilung (vom Jänner 2008) auch eine gefährliche Drohung gegenüber einer dritten Person zugrunde lag. Weiters wurden alle gegen seine vormalige Ehefrau gerichteten strafbaren Handlungen erst nach der schon im Dezember 2006 erfolgten Scheidung begangen. Vor allem aber durfte die belangte Behörde darauf verweisen, dass sich der Beschwerdeführer auch von der ersten Verurteilung nicht davon hat abhalten lassen, erneut - in gesteigerter Intensität - einschlägig straffällig zu werden, und dass sein Verhalten eine (latente) Aggressivität offenbare. Diese Gewaltbereitschaft wird auch durch den Hinweis, die Straftaten würden in Zusammenhang mit den Eheproblemen des Beschwerdeführers stehen, nicht maßgeblich verringert.

Im Ergebnis ist es somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde nicht von einer positiven Zukunftsprognose ausging.

Nach § 60 Abs. 6 FPG gilt § 66 FPG auch für Aufenthaltsverbote. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, mit dem in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, ist daher nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Es darf jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden und seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang auf seine nunmehrige österreichische Lebensgefährtin (die Mutter seiner ersten Tochter), die er zu heiraten beabsichtige. Auch mit diesem Vorbringen gelingt es der Beschwerde nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen:

Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest (und dies blieb in der Beschwerde unbekämpft), dass der Beschwerdeführer mit seiner "zukünftigen Gattin" und deren volljähriger Tochter (deren Vater er zu sein behaupte) zu keiner Zeit im selben Haushalt gelebt habe. Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang noch auf seine beiden anderen Kinder Bezug nimmt, ist dazu - mit der belangten Behörde - anzumerken, dass er hinsichtlich dieser (aus der Ehe mit B.) stammenden Kinder nicht behauptet hat, mit ihnen im gemeinsamen Haushalt zu leben bzw. die Obsorge auszuüben. Darüber hinaus verwies schon die belangte Behörde zutreffend darauf, dass sich die der Verurteilung vom Jänner 2008 zugrunde liegende gefährliche Drohung auch auf diese beiden Kinder erstreckte. Den somit relativierten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet stellte die belangte Behörde zu Recht das große öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen der vorliegenden Art (insbesondere der Gewaltkriminalität) gegenüber. Es ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde im Ergebnis kein Überwiegen des persönlichen Interesses des Beschwerdeführers gegenüber dem großen öffentlichen Interesse an der Erlassung der gegenständlichen Maßnahme annahm. Die mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Auswirkungen auf sein Privat- und Familienleben sind im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.

Die Beschwerde wendet sich auch gegen die Ermessensübung durch die belangte Behörde, sie legt aber keine Gründe dar, wonach diese nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre. Schließlich bringt der Beschwerdeführer noch vor, die belangte Behörde hätte mit einem zeitlich kürzer befristeten Aufenthaltsverbot das Auslangen finden können. Auch damit zeigt er aber keine Umstände auf, die den Schluss zugelassen hätten, dass ein Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung bereits nach einem kürzeren als dem festgesetzten Zeitraum vorhergesehen hätte werden können.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am