VwGH vom 15.10.2015, Ro 2015/21/0034

VwGH vom 15.10.2015, Ro 2015/21/0034

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des L M, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W117 2010416-1/6E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das bekämpfte Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt III.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, stellte nach seiner Einreise in Österreich am einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den genannten Antrag wegen der Zuständigkeit Ungarns gemäß § 5 Asylgesetz 2005 zurück; unter einem erging eine Ausweisung nach Ungarn. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.

Mit Bescheid vom verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Revisionswerber zur Sicherung seiner Abschiebung Schubhaft, die sogleich vollzogen wurde. Als maßgebliche Rechtsgrundlagen waren § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) und Art. 28 der Dublin III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung)) genannt. Am wurde der Revisionswerber dann nach Ungarn abgeschoben.

Der Revisionswerber hatte gegen die Anordnung der Schubhaft und gegen seine Anhaltung mit Schriftsatz vom eine Beschwerde erhoben. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) dieser Beschwerde gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) iVm § 76 Abs. 1 FPG und Art. 28 Dublin III-VO statt und erklärte den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft vom bis zum für rechtswidrig (Spruchpunkt I.). Weiters wies das BVwG den Antrag des BFA auf Ersatz der Verfahrenskosten gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG zurück (Spruchpunkt II.). Ebenso wies es den Antrag des Revisionswerbers auf Ersatz der Verfahrenskosten gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG zurück (Spruchpunkt III.). In Bezug auf die ersten beiden Spruchpunkte sprach das BVwG dann aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt IV.); gegen Spruchpunkt III. sei sie hingegen zulässig (Spruchpunkt V.). Letzteres begründete das BVwG damit, dass sich in Bezug auf das Kostenersatzbegehren des (obsiegenden) Revisionswerbers "die Frage der Anwendbarkeit des § 35 VwGVG in Schubhaft(bescheid)beschwerdeverfahren" stelle, zumal diese Bestimmung "prinzipiell" nur für Verfahren über Maßnahmenbeschwerden zu gelten scheine. Dazu fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Gegen Spruchpunkt III. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:

In der Begründung zur Hauptsache (Spruchpunkt I.) bezog sich das BVwG zunächst auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 151/2014 ua., mit dem (vor allem) § 22a Abs. 1 BFA-VG, der die Rechtsgrundlage für eine einheitliche Beschwerde gegen Festnahme, Schubhaftbescheid und Anhaltung bildete, als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen wurde, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei. Daran anschließend findet sich eine wörtliche Wiedergabe der Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes unter Rz 18 in dem zum Anlassfall der genannten Entscheidung ergangenen Erkenntnis vom , E 4/2014, die wie folgt lauten:

"Nach der Aufhebung des § 22a Abs. 1 und 2 BFA-VG durch den Verfassungsgerichtshof aus Anlass der vorliegenden Beschwerde sind im Anlassfall, soweit sich die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die 'Verhängung der Schubhaft' mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom richtet, die allgemein für Beschwerden gegen Bescheide geltenden Bestimmungen anzuwenden. Demnach bildet die Grundlage für die Erhebung einer Beschwerde gegen den vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erlassenen Schubhaftbescheid an das Bundesverwaltungsgericht nunmehr § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG. Soweit sich die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die 'Anhaltung seit ' wendet, liegt hingegen eine Beschwerde gegen die behauptete Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor (vgl. § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG). Die Beurteilung, ob die Anhaltung des Beschwerdeführers im Zeitraum zwischen dem und der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes einen (etwa vom zugrunde liegenden Bescheid nicht mehr gedeckten) Akt unmittelbarer Zwangsgewalt oder eine bloße Vollstreckungsmaßnahme darstellt (vgl. VfSlg. 10.978/1986 mwH, 12.340/1988; ua., Rz 39), obliegt - nach Aufhebung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, soweit die Beschwerde abgewiesen wurde - dem Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren."

Daraus folgerte das BVwG unter Bezugnahme auf weitere Judikate des Verfassungsgerichtshofes für den vorliegenden Fall, im "Vollstreckungszeitpunkt" sei ein rechtswirksam erlassener, durchsetzbarer Schubhaftbescheid vorgelegen, sodass sich die daran anschließende Anhaltung in Schubhaft als "Maßnahme der Vollstreckung eben dieses Bescheides" darstelle. Mangels nachträglicher Sachverhaltsänderung finde die Anhaltung des Revisionswerbers vom Zeitpunkt der Schubhaftverhängung bis zu seiner Abschiebung ihre Deckung im Schubhaftbescheid und sei daher als bloße Vollstreckungsmaßnahme anzusehen. Die Beschwerde sei daher - so ist das BVwG offenbar zu verstehen - nicht (auch) als Beschwerde gegen Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, sondern (nur) als Bescheidbeschwerde anzusehen, die ihre rechtliche Grundlage in § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG habe.

In der weiteren Begründung ging das BVwG vor dem Hintergrund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2014/21/0075, davon aus, dass die Verhängung von Schubhaft und die nachfolgende Anhaltung des Revisionswerbers rechtswidrig gewesen seien, weil die Kriterien zur näheren Bestimmung erheblicher Fluchtgefahr nicht entsprechend der Dublin III-VO gesetzlich determiniert gewesen seien.

Den bekämpften Spruchpunkt III. begründete das BVwG schließlich damit, dass sich die gegenständliche Beschwerde einerseits gegen den Schubhaftbescheid und andererseits gegen die als Maßnahme der Vollstreckung dieses Bescheides zu qualifizierende Anhaltung in Schubhaft gerichtet habe. Es liege daher keine Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor, die von § 35 VwGVG, wonach die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei habe, erfasst werde. Da aber auch sonst im Verfahren gegen Bescheide des Bundesamtes weder nach dem VwGVG noch nach dem BFA-VG ein Kostenersatz für die Parteien vorgesehen sei, habe das Kostenersatzbegehren zurückgewiesen werden müssen.

Dem hält die Revision das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2014/21/0077, entgegen und releviert damit im Ergebnis ein Abweichen des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Das trifft zu, weshalb sich die Revision nicht nur als gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, sondern auch als berechtigt erweist.

In dem genannten Erkenntnis führte der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf die (auch vom BVwG in der angefochtenen Entscheidung zitierte und oben wiedergegebe) Rz 18 des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , E 4/2014, aus, dass gleich wie im Anlassfall nach Aufhebung des § 22a Abs. 1 und 2 BFA-VG als verfassungswidrig nunmehr davon auszugehen sei, dass die zugrunde liegende Beschwerde an das BVwG, soweit damit die dem Schubhaftbescheid nachfolgende Anhaltung bekämpft werde, eine Beschwerde gegen die behauptete Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstelle. Es komme daher § 35 VwGVG zur Anwendung, und zwar zumindest insoweit, als er einem Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht im Falle seines Obsiegens in einem Beschwerdeverfahren wegen behaupteter Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kostenersatz einräume.

In diesem Sinne stellte der Verwaltungsgerichtshof auch zuletzt in dem Erkenntnis vom , Ro 2015/21/0032, ebenfalls unter Hinweis auf die Begründung des Verfassungsgerichtshofes in der Rz 18 im Erkenntnis vom , E 4/2014, klar, dass "nunmehr (gegen die bescheidmäßige Verhängung der Schubhaft) die Bescheidbeschwerde nach § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG sowie (gegen die Anhaltung in Schubhaft) die Maßnahmenbeschwerde nach § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG zur Verfügung steht." Ergänzend hielt der Verwaltungsgerichtshof dann in Beantwortung entsprechender Einwände des Revisionswerbers noch fest:

"Richtig ist zwar, dass die genannte Maßnahmenbeschwerde nicht zulässig ist, wenn die Anhaltung in Schubhaft durch den Schubhaftbescheid gedeckt ist. Eine maßgebliche Rechtsschutzlücke kann, anders als der Revisionswerber meint, hierin allerdings deshalb nicht erblickt werden, weil im Fall eines rechtswidrigen Schubhaftbescheides von vornherein feststeht, dass auch die darauf gegründete Anhaltung rechtswidrig ist, ohne dass es eines entsprechenden behördlichen Ausspruches bedarf. Liegt hingegen ein nicht zu beanstandender Schubhaftbescheid vor, so haben relevante Sachverhaltsänderungen nach Erlassung dieses Schubhaftbescheides ohnehin zur Folge, dass eine derartige Deckung nicht mehr vorliegt."

Entgegen der Meinung des BVwG führt der in der Revision nicht in Frage gestellte Umstand, dass die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft durch den Schubhaftbescheid gedeckt war und die Anhaltung daher - wie der Verfassungsgerichtshof formulierte - eine "bloße Vollstreckungsmaßnahme" darstellte, nicht dazu, dass die dagegen erhobene Beschwerde als Bescheidbeschwerde zu qualifizieren ist. Die Beschwerde gegen die Anhaltung ist - nach Aufhebung des § 22a Abs. 1 BFA-VG - immer als Beschwerde gegen die behauptete Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen, für die bei Schubhaft § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG die Rechtsgrundlage bildet. Die Frage, ob die Anhaltung einen vom zugrunde liegenden Schubhaftbescheid nicht mehr gedeckten Akt unmittelbarer Zwangsgewalt oder eine bloße Vollstreckungsmaßnahme darstellt, betrifft lediglich die Zulässigkeit dieser Beschwerde.

Im vorliegenden Fall ist das BVwG (mangels Erhebung einer Amtsrevision) unbekämpft davon ausgegangen, dass die Beschwerde, auch soweit sie gegen die Anhaltung in Schubhaft gerichtet war, zulässig und berechtigt ist. Demzufolge hat es der Beschwerde auch in diesem Umfang stattgegeben und die Anhaltung des Revisionswerbers im Zeitraum vom bis für rechtswidrig erklärt. Der Revisionswerber ist daher in einem Verfahren über eine Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei und er hat somit gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Daran ändert die insoweit unrichtige Qualifizierung der Beschwerde als Bescheidbeschwerde durch das BVwG nichts.

Demzufolge erweist sich die Zurückweisung des Aufwandersatzbegehrens des Revisionswerbers mit Spruchpunkt III. des angefochtenen Erkenntnisses als inhaltlich rechtswidrig. Dieser Spruchpunkt war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am