VwGH vom 15.10.2015, Ro 2015/21/0029
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des L I, zuletzt in W, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, Zl. W163 2010626-1/16E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, als verspätet zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Im übrigen Umfang der Anfechtung (Spruchpunkt A.II.) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte in Österreich am einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, sprach aus, dass für die Prüfung des Antrages gemäß der Dublin III-VO Italien zuständig sei und ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an; demzufolge sei seine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig.
Mit rechtskräftigem Urteil vom verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über den Revisionswerber, der zwischen 5. und anderen Personen in Wien gewerbsmäßig Kokain teils überlassen, teils zu überlassen versucht hatte, gemäß den §§ 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG sowie § 15 StGB eine neunmonatige Freiheitsstrafe (davon sechs Monate bedingt nachgesehen). Unter Anrechnung der Vorhaft verbüßte der Revisionswerber den unbedingt verhängten Strafteil zwischen 6. Mai und .
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Mandatsbescheid vom verhängte das BFA gegen den Revisionswerber insbesondere zur Sicherung seiner Abschiebung gemäß Art. 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft.
Gegen die Verhängung der Schubhaft und die darauf gegründete Anhaltung erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
Dieses gab mit dem (von der vorliegenden Revision nicht bekämpften) Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses der Beschwerde "gemäß § 76 FPG iVm § 22a BFA-VG idgF" statt und erklärte den Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft vom , 12:10 Uhr, bis zum , 12:00 Uhr, für rechtswidrig.
Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm Art. 28 Dublin III-VO sowie § 76 Abs. 1 FPG stellte das BVwG weiter fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Die Anträge der Parteien auf Kostenersatz wies es gemäß § 35 VwGVG zurück (Spruchpunkt A.III.). Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig (Spruchpunkt B.).
Begründend führte das BVwG aus, das BFA habe es unterlassen, während der Anhaltung des Revisionswerbers in Strafhaft die Vorkehrungen für seine Überstellung nach Italien zu treffen, obwohl es das voraussichtliche Ende der Haft habe kennen müssen. Erst am , also dem Tag vor der Beendigung der Freiheitsstrafe, sei das BFA erstmalig intern tätig geworden, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass von Seiten Italiens zwischen 8. und keine Überstellungen nach der Dublin III-VO akzeptiert würden und darüber hinaus geplante Überstellungen den italienischen Behörden zumindest sieben Tage im voraus bekanntzugeben seien. Die Verhängung der Schubhaft erweise sich somit im Hinblick auf diese Untätigkeit der Behörde als unrechtmäßig.
Was den Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG (Spruchpunkt A.II.) anlange, sei - so argumentierte das BVwG fortgesetzt - ein die Schubhaft nach § 76 Abs. 1 FPG rechtfertigender Sicherungsbedarf zu bejahen. Auf Grund wiederholter Ausreisen des Revisionswerbers aus Italien (etwa auch in die Schweiz), seines Untertauchens im Bundesgebiet sowie seiner Straffälligkeit und der Verbüßung einer Haftstrafe könne nicht davon ausgegangen werden, dass er sich freiwillig nach Italien zur Durchführung des Asylverfahrens begeben werde. Dazu komme, dass er mittellos und nicht erwerbstätig sei, keine Unterkunft habe sowie auch sonst privat, familiär, sozial oder beruflich über keinerlei Anknüpfungspunkte in Österreich verfüge.
Die Zurückweisung des Antrags (auch) des Revisionswerbers auf Kostenersatz mit Spruchpunkt A.III. begründete das BVwG erkennbar damit, dass die Bestimmung des § 35 Abs. 1 VwGVG, wonach im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iSd Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG die obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei habe, im Verfahren über Schubhaftbeschwerden jedenfalls nicht anwendbar sei, weil in § 22a BFA-VG kein ausdrücklicher Verweis auf diese Kostenersatzregelung aufgenommen worden sei. Für den begehrten Kostenersatz fehle insgesamt jede gesetzliche Grundlage.
Ausschließlich gegen Spruchpunkt A.II. des genannten Erkenntnisses, dessen schriftliche Ausfertigung den Rechtsvertretern des Revisionswerbers am zugestellt wurde, hatte der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der deren Behandlung mit Beschluss vom , E 1281/2014-11, ablehnte und sie (insoweit, also im Umfang des Spruchpunktes A.II.) dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Am erhob der Revisionswerber (nach der am erfolgten Zustellung des eben genannten Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes) Revision gegen Spruchpunkte A.II. und A.III. des gegenständlichen Erkenntnisses des BVwG. Hierüber hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das BVwG (Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet) erwogen:
Zu Punkt I.:
Der Revisionswerber hat beim Verfassungsgerichtshof (fristgerecht) ausschließlich Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses bekämpft. Demgegenüber wendet er sich im Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auch gegen Spruchpunkt A.III. des genannten Erkenntnisses.
Für den Fall der nur teilweisen Bekämpfung eines Erkenntnisses mit zwei oder mehreren - wie hier - trennbaren Absprüchen mit Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist damit auch der Umfang des allfälligen Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof festgelegt. Eine Ausdehnung des Streitgegenstandes vor dem Verwaltungsgerichtshof nach Beschwerdeabtretung ist unzulässig (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/17/0063, mwN).
Die in der Revision an den Verwaltungsgerichtshof vorgenommene Ausdehnung des Streitgegenstandes auf Spruchpunkt A.III. erweist sich, weil außerhalb der Revisionsfrist erfolgt, als verspätet, sodass die Revision in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen war.
Zu Punkt II.:
Der revisionsgegenständliche Fortsetzungsausspruch diente zur Sicherung der - am effektuierten - Überstellung des Revisionswerbers nach Italien gemäß der Dublin III-VO und stütze sich nach dem Inhalt des angefochtenen Erkenntnisses auf Art. 28 dieser unionsrechtlichen Verordnung iVm der innerstaatlichen Norm des § 76 Abs. 1 FPG.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ro 2014/21/0075, zum Ausdruck gebracht, dass Schubhaft zur Sicherung einer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nur auf Grundlage von Art. 28 Dublin III-VO, der diesbezüglich autonome Vorschriften enthält, in Betracht kommt. Ebenso wurde im genannten Erkenntnis festgehalten, dass es am Boden von Art. 2 lit. n Dublin III-VO ergänzend innerstaatlich gesetzlich festgelegter Kriterien zur Konkretisierung der in Art. 28 Abs. 2 der genannten Verordnung für die Verhängung von Schubhaft (u.a.) normierten Voraussetzung des Vorliegens von "Fluchtgefahr" bedürfe. Die in diesem Erkenntnis konkret behandelten Schubhafttatbestände (§ 76 Abs. 2 Z 2 und 4 FPG) würden diesem Erfordernis nicht gerecht werden. Daran anknüpfend vertrat der Verwaltungsgerichtshof dann in seinem Erkenntnis vom , Ro 2014/21/0080, die Auffassung, diese Überlegungen hätten auch für den - hier herangezogenen - Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 1 FPG Gültigkeit. Auch bei dieser Bestimmung ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass ein Rückgriff auf Kriterien, die der Gerichtshof in seiner bisherigen Judikatur für die Annahme von Fluchtgefahr (Gefahr des Untertauchens) als maßgeblich angesehen hat, nicht ausreiche, um den Vorgaben der Dublin III-VO zu entsprechen. Dazu kann des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe der genannten Erkenntnisse verwiesen werden (vgl. zuletzt etwa auch das hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/21/0028, mwN).
Schon aus diesen Erwägungen, die im Ergebnis auch in der Revision geltend gemacht werden, konnte der vom BVwG getroffene Fortsetzungsausspruch keinen Bestand haben.
Demgemäß war Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG (insbesondere auch § 50 VwGG) iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Ein Zuspruch von "ERV-Zuschlag" ist demnach nicht vorgesehen; das insoweit erhobene Mehrbegehren war daher abzuweisen.
Wien, am