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VwGH vom 21.03.2013, 2011/23/0482

VwGH vom 21.03.2013, 2011/23/0482

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Robl, Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Landhausgasse 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/269.552/2010, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen ägyptischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

In ihrer Begründung ging die belangte Behörde zusammengefasst davon aus, dass der Beschwerdeführer am nach Österreich gekommen sei, wo er sich seither - bis 1988 rechtmäßig -

aufhalte. Am sei er bei einer nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz unerlaubten Beschäftigung als Kellner betreten worden. Aus diesem Grund sei gegen ihn von der Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 7 und Z 8 Fremdengesetz ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot rechtskräftig erlassen worden. Eine Abschiebung sei jedoch (dreimal) daran gescheitert, dass er wegen (Haftunfähigkeit infolge) Hungerstreiks aus der Schubhaft habe entlassen werden müssen, bevor ein Heimreisezertifikat zu erlangen gewesen sei. Wegen seines unrechtmäßigen Aufenthalts sei der Beschwerdeführer dreimal (am , und zuletzt am ) rechtskräftig bestraft worden. Nach seiner amtlichen Abmeldung am sei er bis zu seiner neuerlichen Meldung am im Bundesgebiet auch nicht gemeldet gewesen.

Am habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 3 NAG gestellt. Nach seinen dort gemachten Angaben habe er bis 1989 als Kolporteur bei der "Kronen Zeitung" gearbeitet und anschließend seinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeiten bestritten. Wegen des Todes seiner an Krebs erkrankten Freundin im Jahr 1994 sei er in ein "tiefes Loch gefallen", habe seine Arbeit verloren, zu spielen begonnen und sein Geld verloren. Dies sei der Grund gewesen, weshalb er es verabsäumt habe, "alles nötige in die Wege zu leiten, um sein Visum" zu erneuern.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel (mehr) verfüge, sodass die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG erfüllt seien.

Der Beschwerdeführer sei ledig und ohne Sorgepflichten und verfüge im Bundesgebiet weder über familiäre noch über legale berufliche Bindungen. Wegen des bis 1988 rechtmäßigen Aufenthalts und des daran anschließenden besonders langen illegalen Aufenthalts sei - im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG - von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und des Arbeitsmarktes, dringend geboten. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse verstoße der besonders lang andauernde unrechtmäßige Aufenthalt gravierend. Hinzu komme, dass sich der Beschwerdeführer der Abschiebung mehrfach durch Hungerstreik entzogen habe, seiner Ausreiseverpflichtung trotz wiederholter Bestrafung wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts beharrlich nicht nachgekommen sei und sein Aufgreifen durch "Nichtmeldung im Bundesgebiet" verhindert habe. Er habe bereits im Jahr 1995 "Schwarzarbeit" ausgeübt und bestreite aktuell seinen Lebensunterhalt durch "Gelegenheitsarbeiten bzw. als Zeitungskolporteur". Diese Tätigkeiten seien mangels Aufenthaltstitels jedenfalls aus fremdenrechtlicher Sicht illegal. Der Beschwerdeführer verfüge über keinen Sozialversicherungsschutz und könne nicht als selbsterhaltungsfähig angesehen werden. Er sei mangels berücksichtigungswürdiger Gründe nicht in der Lage, seinen Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren und habe nach Ablauf seines rechtmäßigen Aufenthalts nicht darauf vertrauen dürfen, sich im Bundesgebiet etwa zu Erwerbszwecken niederlassen zu können. Er sei bis zu seinem 28. Lebensjahr in seinem Heimatland aufhältig gewesen und habe dort auch die Schulpflicht und den Militärdienst absolviert. Trotz des fortgeschrittenen Alters des Beschwerdeführers sei die Erlassung der Ausweisung daher dringend geboten und im Sinn des § 66 FPG zulässig.

Abschließend ließ es die belangte Behörde offen, ob auch die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots wegen nicht ausreichender Unterhaltsmittel verwirklicht wären und verneinte ein vom Beschwerdeführer aus dem Staatsbürgerschaftsgesetz abgeleitetes "Bleiberecht" wegen seines unrechtmäßigen Aufenthalts als "U-Boot" im Bundesgebiet. Auch im Rahmen des Ermessens sah sie keine Veranlassung, von der Erlassung der Ausweisung Abstand zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (August 2010) geltende Fassung.

Nach § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0605).

Die Beschwerdeausführungen richten sich vor allem gegen die behördliche Interessenabwägung und verweisen in diesem Zusammenhang in erster Linie auf die besonders lange Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich.

Dem ist im Ergebnis zu folgen:

Zwar ist der belangten Behörde zuzustimmen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Der vorliegende Fall zeichnet sich aber dadurch aus, dass sich der - unbescholtene - Beschwerdeführer bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits mehr als 33 Jahre, und damit mehr als die Hälfte seines Lebens, durchgehend in Österreich aufhielt. Dass nach dieser langen Zeit noch Beziehungen des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsland bestünden, stellte auch die belangte Behörde nicht fest. Überdies legte die belangte Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde, dass die ersten zehn Jahre des Aufenthalts im Inland rechtmäßig gewesen seien und der Beschwerdeführer in dieser Zeit einer erlaubten Beschäftigung als Zeitungskolporteur nachgegangen war. Auch danach suchte er durch solche Gelegenheitsarbeiten seinen Unterhalt zu erwirtschaften.

Gerade der ganz besonders lange Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich führt im konkreten Einzelfall trotz des - allerdings bereits seit mehr als neun Jahren abgelaufenen - Aufenthaltsverbots und der (nach einer amtlichen Abmeldung) zwischenzeitig fehlenden behördlichen Meldung dazu, dass das Privatleben von Umständen gekennzeichnet ist, die im Ergebnis eine Ausweisung unverhältnismäßig erscheinen lassen.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am