VwGH vom 15.10.2015, Ro 2015/21/0026
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des J T in W, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W186 2106212- 1/5E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Revisionswerber, ein polnischer Staatsangehöriger, war mit rechtskräftigem Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom gemäß § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden. Da er über keine Reisedokumente verfügte, erging am ein Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates, dem am (einlangend bei der Fremdenpolizeibehörde am ) entsprochen wurde. Am wurde der Revisionswerber aus Österreich nach Polen abgeschoben.
Nach seiner - neuerlich ohne Reisedokumente erfolgten - Wiedereinreise nach Österreich verhängte das Bezirksgericht Klosterneuburg über ihn mit rechtskräftigem Urteil vom wegen der Vergehen der sexuellen Belästigung, versuchten Körperverletzung und Sachbeschädigung eine (unbedingte) dreimonatige Freiheitsstrafe. Diese verbüßte der Revisionswerber zur Gänze - unter Anrechnung einer Vorhaft - bis zum .
Mit Bescheid vom verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG deshalb sowie unter Berücksichtigung davor in der Schweiz und in Liechtenstein begangener Straftaten, derentwegen über ihn eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verhängt worden war (laut eigener Aussage vom hatte der Revisionswerber Diebstähle, Einbrüche und Sachbeschädigungen begangen), ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde dem Revisionswerber kein Durchsetzungsaufschub erteilt. Einer allfälligen Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Mit Note vom ersuchte das BFA die Bundesministerin für Inneres, "via Vertretungsbehörde die Beantragung eines Heimreisezertifikates zu veranlassen", weil der Revisionswerber nicht im Besitz eines Reisepasses sei.
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom ordnete das BFA gegenüber dem Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft (insbesondere) zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung an.
Begründend verwies es auf den unangemeldeten Aufenthalt des arbeits-, mittel- und unterkunftslosen Revisionswerbers in Österreich, der sich zudem in seinen früheren fremdenpolizeilichen Verfahren unkooperativ verhalten habe. Er verfüge über keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Zudem vergrößere seine wiederholte erhebliche Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Durchsetzung seiner Abschiebung. Es sei daher die Schubhaft zu deren Sicherung geboten, wäre sonst doch davon auszugehen, dass sich der Revisionswerber dem Verfahren durch Untertauchen entziehen würde. Die bloße Anwendung gelinderer Mittel wäre aufgrund des Fehlens eines festen Wohnsitzes, beruflicher Bindungen sowie finanzieller Mittel nicht ausreichend.
Die gegen den Schubhaftbescheid, die Anordnung der Schubhaft sowie die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß § 76 Abs. 1 FPG iVm § 7 Abs. 1 Z 1 und 3 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A I). Unter einem stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 1 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin vorlägen (Spruchpunkt A II). Weiters wies das BVwG den Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGG ab (Spruchpunkt A III). Den Antrag auf unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers wies es als unzulässig zurück (Spruchpunkt A IV). Schließlich wurde die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt (Spruchpunkt B).
Begründend teilte das BVwG die Ansicht des BFA zum Vorliegen erheblicher Fluchtgefahr, die auch für den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses fortdauere. Aufgrund dieses Verfahrensergebnisses scheitere gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG das Kostenersatzbegehren des unterlegenen Revisionswerbers. Die von ihm - neben der bereits erfolgten Beistellung eines Rechtsberaters - beantragte unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers sei in Verfahren über Schubhaftbeschwerden vor dem BVwG nicht vorgesehen.
Die Revision wurde mit Spruchteil B im Hinblick auf die unklare Rechtsnatur der Schubhaftbeschwerde (Bescheid- oder Maßnahmenbeschwerde), damit im Zusammenhang stehenden Kostenfragen und die Frage der "Beigebung eines Verfahrenshelfers in Schubhaftverfahren" zugelassen.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision an den Verwaltungsgerichtshof (Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet), über die dieser nach Aktenvorlage erwogen hat:
In der Revision wird unter anderem ins Treffen geführt, es hätte sich schon während der Anhaltung des Revisionswerbers in Strafhaft (namentlich zwischen der Urteilsverkündung am und der Entlassung aus dem Vollzug am ) hinreichend Gelegenheit geboten, dessen Abschiebung durch Einholung eines Heimreisezertifikates vorzubereiten, wobei der dafür erforderliche Zeitaufwand aus den Vorgängen zwischen 24. Februar und bekannt gewesen sei. Die Schubhaft erweise sich daher jedenfalls als unverhältnismäßig.
Damit wird der Sache nach zutreffend ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes darf Schubhaft stets nur "ultima ratio" sein. Dem entspricht nicht nur die in § 80 Abs. 1 FPG ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauere, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass die Behörde (das BFA) schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so ist die Schubhaft unverhältnismäßig. Demzufolge erweist sich die Verhängung von Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung im Anschluss an eine Strafhaft regelmäßig als unverhältnismäßig, wenn die Fremdenpolizeibehörde (das BFA) auch zum absehbaren Ende einer Strafhaft hin mit der (versuchten) Beschaffung eines Heimreisezertifikates untätig bleibt. Das muss auch auf den Fortsetzungsausspruch durchschlagen. Eine sich aus (hier nicht naheliegenden) Umständen des Einzelfalles ergebende andere Sicht wäre jedenfalls nachvollziehbar zu begründen gewesen (vgl. zum Ganzen die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/21/0527, vom , Zl. 2013/21/0209, und vom , Ro 2015/21/0008).
Ungeachtet der vom Revisionswerber zwischen 9. Jänner und (unter Berücksichtigung der Vorhaft) verbüßten, mit Urteil vom über ihn verhängten dreimonatigen Freiheitsstrafe ging das BVwG in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht auf den in der Beschwerde erhobenen Einwand ein, das BFA hätte ausreichend Zeit gehabt, die Abschiebung nach Polen bis zur Beendigung der Strafhaft zu organisieren. Ebenso wie das BFA im Schubhaftbescheid hat es auch keine Umstände ins Treffen geführt, die es im vorliegenden Fall ausnahmsweise gestattet hätten, mit dem Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots und den weiteren Schritten zur Organisation der Abschiebung des Revisionswerbers erst nach dem Ende der Strafhaft zu beginnen.
Schon deshalb sind die mit Spruchpunkt A I bis III vorgenommenen Aussprüche über die Zulässigkeit der Verhängung und Fortsetzung der Schubhaft sowie die damit im Zusammenhang stehende Kostenentscheidung am Maßstab der dargestellten Judikatur inhaltlich rechtswidrig.
Aber auch Spruchpunkt A IV des angefochtenen Erkenntnisses ist mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Die Zurückweisung des vom Revisionswerber gestellten Antrages auf Beigebung eines Verfahrenshelfers erweist sich nämlich aus den im hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/21/0032, Punkte 3.1. bis 3.4. der Entscheidungsgründe, näher dargestellten Überlegungen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, als verfehlt.
Das angefochtene Erkenntnis war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren im Umfang eines ERV-Zuschlages von EUR 3,60 war abzuweisen, weil dieser im Pauschalbetrag der genannten Verordnung bereits enthalten ist.
Von der Durchführung der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
Wien, am