VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0473
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/264.824/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Bangladesch, reiste mit einem von bis gültigen Visum legal in das Bundesgebiet ein, wo sie sich seit durchgehend behördlich gemeldet aufhält.
Mit Bescheid vom wies die Bundespolizeidirektion Wien die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend führte sie zusammengefasst aus, dass die Beschwerdeführerin am ohne Aufenthaltsberechtigung im Inland betreten worden sei. Die ihr im Verwaltungsverfahren eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme habe sie nicht wahrgenommen. Insgesamt würden die öffentlichen Interessen an der Erlassung der Ausweisung unverhältnismäßig schwerer wiegen als deren Auswirkungen auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin, zumal sie sich bereits seit längerer Zeit unrechtmäßig im Inland aufhalte und keine familiären Bindungen in Österreich bekannt seien.
In ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, ihr sei mit Benachrichtigung des Amtes der Wiener Landesregierung vom mitgeteilt worden, dass ihr (Erst )Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bewilligt worden sei. Zur persönlichen Entgegennahme des Aufenthaltstitels sei ihr deshalb von der österreichischen Botschaft in New Dehli - jedoch erst sechs Tage nach Erreichen ihrer Volljährigkeit, nämlich am - ein Visum ausgestellt worden. Infolge ihrer deshalb "verspäteten" Einreise in das Bundesgebiet sei ihr die bereits bewilligte Niederlassungsbewilligung nicht (mehr) ausgestellt worden. Im fortgesetzten Aufenthaltstitelverfahren sei ihr Antrag - im Instanzenzug - abgewiesen worden. Ihre gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sei noch anhängig. Da es nicht ihrer Sphäre zuzurechnen sei, dass sie den bereits bewilligten Aufenthaltstitel nicht erhalten habe, sei eine Ermessensübung zu ihren Gunsten vorzunehmen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge.
Dies begründete sie nach Darstellung des Verwaltungsverfahrens im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin nach Ablauf ihres Visums unerlaubt in Österreich verblieben sei. Seither halte sie sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung seien daher gegeben. Daran ändere auch ihre im Titelverfahren an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde nichts.
Im Rahmen der nach § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin zwar weder familiäre oder andere Bindungen im Inland noch sonstige integrative Aspekte vorgebracht habe. Es sei jedoch schon im Hinblick auf den Zweck des von ihr beantragen Aufenthaltstitels davon auszugehen, dass Angehörige von ihr im Inland lebten und mit der Ausweisung daher ein Eingriff in ihr Privat- und Familienleben verbunden sei. Die Beschwerdeführerin sei zwar unbescholten, aber weder in den heimischen Arbeitsmarkt integriert noch selbsterhaltungsfähig. Auch eine Aus- oder Weiterbildung sei nicht behauptet worden, sodass der Grad ihrer Integration als nur gering zu bewerten sei. Der überwiegende Teil des Aufenthalts der Beschwerdeführerin in Österreich sei zudem illegal gewesen, was (nochmals) das Gewicht ihrer privaten Interessen erheblich mindere. Auf Grund des ihr erteilten Visums sei sie auch nie zur Niederlassung berechtigt gewesen. Die Beschwerdeführerin habe sich bis 2006 - und damit den überwiegenden Teil ihres Lebens - in Bangladesch aufgehalten und von dort auch das Aufenthaltstitelverfahren geführt. Es sei daher von nach wie vor bestehenden Bindungen in die Heimat auszugehen. Die Beschwerdeführerin habe auch keine Gründe vorgebracht, die ihr eine Rückkehr unmöglich machen würden.
Die belangte Behörde kam davon ausgehend zum Ergebnis, dass es der Beschwerdeführerin auch mit Blick auf Art. 8 EMRK zumutbar sei, "für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens" in ihr Heimatland zurückzukehren. Der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) nämlich ein sehr hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse verstoße die Beschwerdeführerin durch ihren seit Jahren unerlaubten Aufenthalt im Inland. Die Interessenabwägung ergebe daher kein Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an der Beendigung ihres Aufenthalts, weshalb die Ausweisung dringend geboten und daher auch im Sinn des § 66 FPG zulässig sei.
Schließlich sah die belangte Behörde - auch im Hinblick auf eine allfällige Titelzusage durch die Aufenthaltsbehörde im Jahre 2006 - keine besonderen Umstände, die sie im Rahmen ihres Ermessens zu einer Abstandnahme von der Ausweisung hätten veranlassen müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Juli 2010 geltende Fassung.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine der in § 31 Abs. 1 FPG genannten Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet bei der Beschwerdeführerin vorläge. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang abermals auf die ihr in Aussicht gestellte Erteilung eines Aufenthaltstitels verweist, wobei ihr Antrag zwar im Instanzenzug abgewiesen worden sei, was sie jedoch beim Verwaltungsgerichtshof "bekämpft" habe, ist ihr zu erwidern, dass selbst ein - wie im vorliegenden Fall nach der rückwirkenden Aufhebung des angefochtenen Bescheides mit Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0117 - bei der Fremdenbehörde anhängiges Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die behördliche Ermächtigung zur Erlassung einer Ausweisung nicht einschränkt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0652, mwN).
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist in Form einer Gesamtbetrachtung unter Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen vorzunehmen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0541, mwN).
Die Beschwerdeführerin wendet sich auch gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung. Sie bringt dazu vor, dass sie während ihres Aufenthalts einen Deutschkurs besucht und eine Schulausbildung absolviert habe. Sie sei von ihren österreichischen Adoptiveltern, mit denen sie seit ihrer Einreise im gemeinsamen Haushalt lebe, finanziell unterstützt worden. Ihre Adoptiveltern hätten ihr auch den erforderlichen Versicherungsschutz gewährt.
Dem ist bereits vorweg entgegenzuhalten, dass es sich bei diesen erstmals in der Beschwerde dargelegten Umständen um im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerungen handelt (§ 41 Abs. 1 VwGG). Darauf konnte im angefochtenen Bescheid daher schon mangels dahingehenden Vorbringens im Verwaltungsverfahren nicht Bedacht genommen werden. Ein durchgehender gemeinsamer Haushalt mit dem - in der Beschwerde erstmals namentlich erwähnten - Adoptivvater lässt sich überdies mit den aus dem Verwaltungsakt hervorgehenden Meldedaten nicht in Einklang bringen.
Die belangte Behörde ist bei ihrer Interessenabwägung aber ohnedies von der Anwesenheit von Verwandten der Beschwerdeführerin im Inland ausgegangen, weshalb sie einen mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin angenommen hat. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin hätte die belangte Behörde aber auch aus den genannten Umständen - nicht zuletzt im Hinblick auf ihren noch nicht besonders langen Aufenthalt im Bundesgebiet von etwa drei Jahren und acht Monaten - nicht ableiten müssen, dass ihre Ausweisung aus Österreich unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig und daher unzulässig sei. Der Adoption durch österreichische Staatsbürger wäre zudem schon im Hinblick auf die bereits eingetretene Volljährigkeit und vor allem auch mangels eines vor der Einreise bestehenden Familienlebens mit den Adoptiveltern kein ausschlaggebendes Gewicht zugunsten der Beschwerdeführerin beizumessen gewesen (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0131, mwN).
Wenn die Beschwerde schließlich meint, dass die belangte Behörde Aspekte zu prüfen gehabt hätte, die für die Annahme eines aus humanitären Gründen besonders berücksichtigungswürdigen Falles sprechen würden, ist ihr zu entgegnen, dass solche Umstände in der Beschwerde nicht aufgezeigt werden. Gegenständlich ist es aber auch nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse der Beschwerdeführerin an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzte als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung ihres seit März 2007 unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts. Ein die Unzulässigkeit der Ausweisung bewirkendes, direkt aus Art. 8 EMRK abzuleitendes Aufenthaltsrecht musste der Beschwerdeführerin nicht zugestanden werden.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Auffassung der belangten Behörde, die Ausweisung der Beschwerdeführerin sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unverhältnismäßig anzusehen und auch die Ermessensübung sei nicht zu ihren Gunsten vorzunehmen, nicht als rechtswidrig zu erkennen ist.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
PAAAE-93958