VwGH vom 03.09.2015, Ro 2015/21/0023
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des M T, zuletzt in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Berger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W140 2100327- 1/5E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom sowie gegen die Abweisung des Kostenersatzbegehrens des Revisionswerbers und seine Verpflichtung zu Aufwandersatz wendet, als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen (Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Eritreas, reiste am während eines anhängigen Asylverfahrens in Italien und nach Stellung eines weiteren Asylantrages in der Schweiz, von wo aus er nach Italien rücküberstellt worden war, aus Italien nach Österreich ein. Sein endgültiges Reiseziel war Deutschland, er verfügte über ein bis München ausgestelltes Zugticket. In Österreich stellte er keinen (weiteren) Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Am wurde er in Anwendung der Dublin III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist - (Neufassung)), nach Italien rücküberstellt.
Bereits mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Revisionswerber die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens betreffend Anordnung der Außerlandesbringung sowie zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Als maßgebliche Rechtsgrundlagen waren Art. 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG genannt worden. Begründend berief sich das BFA - der Aussage des Revisionswerbers folgend - auf dessen Reisebewegungen zwischen Italien, der Schweiz und Österreich sowie sein endgültiges in Deutschland liegendes Reiseziel. Hieraus sei zu folgern, dass er sich etwa einer möglichen Überstellung in die Schweiz widersetzen werde, woraus erhebliche Fluchtgefahr abzuleiten sei.
Gegen diesen Bescheid sowie die auf dessen Grundlage erfolgte Anhaltung in Schubhaft erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Dieses wies die Beschwerde mit Spruchteil A des nunmehr angefochtenen Erkenntnisses vom gemäß Art. 28 der Dublin III-VO iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab. Es verpflichtete den Revisionswerber, dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 426,20 zu ersetzen und wies demzufolge das Kostenersatzbegehren des Revisionswerbers gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG als unbegründet ab. Weiters stellte das BVwG im Spruchteil A gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm Art. 28 der Dublin III-VO fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Mit Spruchteil B wurde die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt.
Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber sowohl Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof als auch Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
Zu Spruchpunkt I:
Mit Erkenntnis vom , G 151/2014 u.a., hob der Verfassungsgerichtshof § 22a Abs. 1 und 2 BFA-VG als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden seien (siehe dazu die Kundmachung des Bundeskanzlers unter BGBl. I Nr. 41/2015). In der Folge stellte der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , E 330/2015-10, fest, dass der Revisionswerber durch Spruchteil A des angefochtenen Erkenntnisses insoweit wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden sei, als seine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom abgewiesen wurde. Unter einem hob er daher diesen Spruchteil sowie die damit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Kostenentscheidungen auf. Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchteil B des angefochtenen Erkenntnisses wandte, wies er sie zurück. Im Übrigen, also soweit im angefochtenen Erkenntnis in Spruchteil A festgestellt wurde, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach seiner Anhörung die Revision in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen. Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt (u.a.) dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde (vgl. etwa aus der letzten Zeit den hg. Beschluss vom , Ro 2014/21/0062, Punkt 1, mwN). Dem trat der Vertreter des Revisionswerbers auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegen.
Die Revision war daher, soweit sie sich gegen die oben angeführten, bereits vom Verfassungsgerichtshof behobenen Spruchteile des angefochtenen Erkenntnisses richtet, in Anwendung der genannten Bestimmung des VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
Zu Spruchpunkt II:
Hinsichtlich der Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, hat der Verwaltungsgerichtshof über die Revision nach Aktenvorlage durch das BVwG - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Revision erweist sich auf Grund eines Abweichens des BVwG von der (mittlerweile vorliegenden) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes als zulässig und berechtigt:
In seinem Erkenntnis vom , Ro 2014/21/0075, hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass Schubhaft zur Sicherung einer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nur auf Grundlage von Art. 28 der Dublin III-VO, der diesbezüglich autonome Vorschriften enthält, in Betracht kommt. Im Übrigen wurde in diesem Erkenntnis, auf dessen Begründung des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, aber auch festgehalten, dass es am Boden von Art. 2 lit. n der Dublin III-VO ergänzend innerstaatlich gesetzlich festgelegter Kriterien zur Konkretisierung der in Art. 28 Abs. 2 dieser Verordnung für die Verhängung von Schubhaft (u.a.) normierten Voraussetzung des Vorliegens von "Fluchtgefahr" bedarf. Gemäß dem genannten Erkenntnis vom werden die dort konkret behandelten Schubhafttatbestände (§ 76 Abs. 2 Z 2 und 4 FPG) diesem Erfordernis nicht gerecht. Dasselbe gilt für den Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 1 FPG (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/21/0080).
Auf diesen Schubhafttatbestand - iVm Art. 28 der Dublin III-VO - hat sich das BVwG jedoch gestützt. Die hierauf gegründete Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig, sodass das angefochtene Erkenntnis insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1, 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am
Fundstelle(n):
LAAAE-93955