VwGH vom 21.03.2013, 2011/23/0466
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Robl, Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Langeder, Rechtsanwalt in 1150 Wien, Stutterheimstraße 16-18, Stiege 2, Etage 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/489.124/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
Die belangte Behörde ging in ihrer Begründung - im Hinblick auf die von ihr auch für die Berufungsentscheidung als maßgebend erklärten Gründe des erstinstanzlichen Bescheids - zusammengefasst von folgendem Sachverhalt aus:
Der Beschwerdeführer habe zunächst seit 1989 in Österreich gelebt und von 1991 bis 1995 über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt. Nach Abweisung eines weiteren Verlängerungsantrags sei er mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom ausgewiesen und am in die Türkei abgeschoben worden. Über den in der Folge unrechtmäßig ins Bundesgebiet wieder eingereisten Beschwerdeführer sei mit Bescheid vom ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot wegen Mittellosigkeit erlassen worden. Sein Asylantrag sei im Instanzenzug am rechtskräftig abgewiesen worden. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom (Zl. 2002/20/0061) abgelehnt.
Der Beschwerdeführer habe - so führte die belangte Behörde weiter aus - geltend gemacht, dass er seit 2002 im Besitz einer Arbeitsgenehmigung sei und ununterbrochen gearbeitet habe. Bereits seit sei er als Arbeiter bei der Y KG tätig. Weiters sei er seit 2002 aufrecht in Wien gemeldet und wohnhaft. Er sei unbescholten und in Österreich, das er als seine Heimat ansehe, sozial integriert. Hier habe er einen großen Bekanntenkreis und würden auch viele Verwandte leben, wenn er auch keine familiären Bindungen im Bundesgebiet habe. Seine Eltern und ein Bruder seien mittlerweile verstorben, von seiner türkischen Ehefrau sei er seit geschieden. Zu den vier weiteren Geschwistern bestehe so gut wie kein Bezug mehr, sodass er in der Türkei keine Existenzgrundlage habe und praktisch neu anfangen müsste.
In einem Aktenvermerk der Erstbehörde vom sei die Ausweisung des Beschwerdeführers aus Gründen des § 66 FPG und des Art. 8 Abs. 2 EMRK als unzulässig erachtet worden, während die belangte Behörde in ihrer - im angefochtenen Bescheid näher dargestellten - begründeten im Aufenthaltstitelverfahren abgegebene Stellungnahme gemäß § 44b Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) vom von der Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausgegangen sei. So sei der Beschwerdeführer seit 14 Jahren nicht mehr in den Besitz einer Niederlassungsbewilligung gelangt und inzwischen lediglich auf Grund eines (unbegründeten) Asylantrages zum vorläufigen Aufenthalt berechtigt gewesen.
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel verfüge, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG - vorbehaltlich der Bestimmung des § 66 FPG - erfüllt seien.
Mit der Ausweisung sei zwar ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Dieser erweise sich zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, jedoch als dringend geboten. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Auch der nicht bloß kurzfristig unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Anschluss an sein Asylverfahren sei zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer habe somit massiv und fortgesetzt gegen fremdenrechtliche Bestimmungen verstoßen. Das von ihm ins Treffen geführte Privat- und Familienleben sei hingegen in wesentlichen Punkten zu einem Zeitpunkt entstanden, als er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen. Die aus seiner Aufenthaltsdauer ableitbare Integration sei in ihrem Gewicht dadurch erheblich gemindert, dass dieser Aufenthalt auf Grund des (in der Folge abgewiesenen) Asylantrags lediglich vorläufig berechtigt gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei unter den gegebenen Umständen auch nicht in der Lage, seinen Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren. Die Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei daher von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers. Die Erlassung der Ausweisung sei daher dringend geboten und damit im Sinn des § 66 FPG zulässig.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG oder des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Jänner 2010) geltende Fassung.
Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerde tritt der zutreffenden behördlichen Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei erfüllt, nicht entgegen.
Anders als die Beschwerde meint, hätte die belangte Behörde aber auch nicht das Verfahren über den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 43 Abs. 2 NAG abzuwarten gehabt (siehe dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0420, mwN).
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0677, mwN).
Die Beschwerde wendet sich vorwiegend gegen die von der belangten Behörde zum Nachteil des Beschwerdeführers vorgenommene Interessenabwägung. Sie betont in diesem Zusammenhang seinen langjährigen Aufenthalt und seine Erwerbstätigkeit in Österreich und ist damit im Ergebnis im Recht.
Zwar ist der belangten Behörde zuzustimmen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Demgegenüber wurde aber in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden wiederholt von einem Überwiegen des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ausgegangen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden ausnahmsweise Ausweisungen auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (siehe zum Ganzen das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0605, mwN).
Davon kann im vorliegenden Fall jedoch keine Rede sein. Zunächst ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer nach den von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Sachverhaltsannahmen seit seiner Wiedereinreise - die ausweislich der Verwaltungsakten am erfolgt war - zuletzt bereits mehr als zehn Jahre durchgehend im Bundesgebiet aufhielt. Bis zum Abschluss seines Asylverfahrens im April 2003 war der Beschwerdeführer zudem zum Aufenthalt in Österreich berechtigt und das im Jahr 1999 - trotz Stellung eines Asylantrags und des damit grundsätzlich verbundenen Anspruchs auf Grundversorgung - verhängte Aufenthaltsverbot bis dahin nicht durchsetzbar. Der vorliegende Fall zeichnet sich in Bezug auf die zu berücksichtigende Aufenthaltsdauer aber überdies dadurch aus, dass der - unbescholtene - Beschwerdeführer bereits zuvor seit 1989, davon etwa vier Jahre rechtmäßig auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung, im Inland lebte und somit insgesamt nahezu die Hälfte seines Lebens in Österreich verbracht hat.
Vor allem hat die belangte Behörde aber nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer nach seinem - mit der Aktenlage grundsätzlich in Einklang zu bringenden - Vorbringen bereits seit dem Jahr 2002 in Österreich über eine Arbeitsbewilligung verfügt und hier - seit überdies beim selben Arbeitgeber - beschäftigt ist, wo er - seiner Stellungnahme vom März 2008 zu Folge - monatlich brutto EUR 1.111,50 verdiente. Eine infolge Mittellosigkeit vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr bestand daher nicht mehr.
Gänzlich unbeachtet blieb schließlich noch das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers, dass er - wie er im Aufenthaltstitelverfahren bereits nachgewiesen habe - sehr gut Deutsch spreche und darüber ein Sprachzertifikat auf "Niveaustufe 2" erworben habe.
Zudem stellte die Bundespolizeidirektion Wien - nachdem der Beschwerdeführer eine von ihm abgeforderte Stellungnahme zu seiner beabsichtigten Ausweisung abgegeben hatte - das erst Ende 2007 eingeleitete Ausweisungsverfahren einem Amtsvermerk aus dem Jahr 2008 zufolge u.a. im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich, seine durchgehende aufrechte Meldung und seine lange Beschäftigungszeit "aus Gründen des § 66 FPG und Art. 8 Abs. 2 EMRK" ein. Sie teilte diese Einschätzung weiters der für die Erteilung eines Aufenthaltstitels zuständigen Magistratsabteilung 35 und dem im Rahmen einer Verlängerung der Beschäftigungsbewilligung anfragenden Arbeitsmarktservice mit. Dementsprechend unterließ sie auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen. Von einem unsicheren Aufenthalt kann in dieser Zeit - entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid - somit keine Rede sein.
Der angefochtene Bescheid war daher - wegen der vorrangig wahrzunehmenden - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am