VwGH vom 03.09.2015, Ro 2015/21/0012

VwGH vom 03.09.2015, Ro 2015/21/0012

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision der X G, zuletzt in W, vertreten durch Mag. Stefan Benesch, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schwindgasse 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W226 2014938- 1/4E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

1. den Beschluss gefasst:

Soweit sich die Revision gegen die Spruchpunkte A.I. und A.III. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, wird sie als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen (Spruchpunkt A.II.) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Revisionswerberin ist chinesische Staatsangehörige. Sie reiste spätestens im September 2009 nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde letztlich vom Asylgerichtshof im April 2012 vollinhaltlich abgewiesen, außerdem wurde die Revisionswerberin nach China ausgewiesen.

Die Revisionswerberin verblieb in Österreich, zumal eine für den geplante Abschiebung daran scheiterte, dass sie für die Behörden nicht mehr greifbar war.

Am wurde die Revisionswerberin als Küchenarbeiterin in einem Restaurant betreten, wobei sie sich mit einem fremden Ausweis legitimierte.

Noch am selben Tag verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen die Revisionswerberin gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung.

In der Folge erhob die Revisionswerberin gegen diesen Schubhaftbescheid sowie "gegen die Anordnung der Schubhaft und die andauernde Anhaltung in Schubhaft" Beschwerde. In dieser wurde u. a. ausgeführt, dass die bei der ihr vorliegende psychische Erkrankung Schubhaft jedenfalls unverhältnismäßig mache. Dabei wurde darauf Bezug genommen, dass bei der Revisionswerberin eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden sei und dass sie bei ihrer der Schubhaftnahme vorangehenden Einvernahme ausgeführt hatte, "die Schubhaft wäre zum Nachteil wegen meiner Krankheit". (Bei dieser Einvernahme hatte die Revisionswerberin auch eine fachärztliche Bestätigung vom vorgelegt, die eine posttraumatische Belastungsstörung F 43.1 attestiert, deretwegen - wenngleich unter näher angeführter Medikation "seit längerem stabil" - die Revisionswerberin seit Oktober 2011 in regelmäßiger Behandlung und Betreuung stehe.) "Zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes" - insbesondere Sicherungsbedarf, Haftfähigkeit der Revisionswerberin - wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Beschwerde gemäß § 76 Abs. 1 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 1 FPG stellte es weiter fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Außerdem wies das BVwG das Kostenersatzbegehren der Revisionswerberin gemäß § 35 VwGVG ab (Spruchpunkt A.III.) und erklärte schließlich die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig (Spruchpunkt B).

Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin sowohl Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof als auch Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

1. Mit Erkenntnis vom , G 151/2014 u.a., hob der Verfassungsgerichtshof § 22a Abs. 1 und 2 BFA-VG als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden seien.

Infolge dessen stellt der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , E 2010/14-10, fest, dass die Revisionswerberin durch Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden sei. Unter einem hob er daher diesen Spruchpunkt - und ebenso Spruchpunkt A.III. - auf. Im Übrigen lehnte er die Behandlung der Beschwerde jedoch ab.

Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach seiner Anhörung die Revision in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt u. a. dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier die Spruchpunkte A.I. und A.III. - durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde. Dem trat der Vertreter der Revisionswerberin auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegen.

Die Revision war daher, soweit es sich gegen die Spruchpunkte A.I. und A.III. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, in Anwendung der genannten Bestimmung des VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

2. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof über die Revision - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

Die Revisionswerberin macht geltend, dass gemäß der "höchstgerichtlichen Rechtsprechung" die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zwingend geboten gewesen wäre. Das BVwG habe dem gegenüber von der in der zugrunde liegenden Beschwerde ausdrücklich beantragten Verhandlung - begründungslos - Abstand genommen. Andernfalls wäre es zum Schluss gekommen, dass insbesondere infolge des Gesundheitszustandes der Revisionswerberin Schubhaft nicht in Betracht komme.

Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Das BVwG unterließ die Durchführung der beantragten Verhandlung ohne jede Begründung und stellte fest, dass die Revisionswerberin haftfähig sei. Schon im seinerzeitigen Erkenntnis des Asylgerichtshofes seien umfangreiche Feststellungen zu ihrer gesundheitlichen Verfassung getroffen worden. So habe der Asylgerichtshof festgehalten, dass die physisch gesunde Revisionswerberin psychisch an einer Depression mit Panikattacken, möglicherweise im Rahmen einer posttraumatischen Störung, leide, weshalb sie in Österreich in Behandlung sei; die Therapie bestehe - so wird der Asylgerichtshof weiter wiedergegeben - in medikamentöser und/oder psychotherapeutischer Behandlung, deren Unterlassung zu einer zunehmenden Verschlechterung der Symptomatik führen würde; in China sei eine Versorgung von psychischen Erkrankungen grundsätzlich möglich, jedoch nicht einmal "für schwerwiegende Fälle" sichergestellt. Wie das BVwG darauf Bezug nehmend weiter ausführte, bestehe "somit" in China die Möglichkeit der Behandlung von psychischen Erkrankungen. Die Revisionswerberin habe nicht vorgetragen, dass sie sich in einer engmaschigen fachärztlichen Behandlung befinden würde. Ohne konkrete Hinweise auf eine aktuelle Behandlungsbedürftigkeit könne somit die Haftfähigkeit der Revisionswerberin - deren Beschwerdeausführungen "höchst spekulativ" gehalten seien - "nicht ohne weiteres angezweifelt werden". Sie habe auch in Schubhaft jederzeit die Möglichkeit, fachärztlichen Beistand zu fordern, und eine telefonische Nachfrage bei der Sanitätsstelle des Gefangenenhauses habe ergeben, dass im dortigen Krankenakt keinerlei Auffälligkeiten vermerkt seien.

In seiner Begründung zum Fortsetzungsauspruch (A.II.) resümierte das BVwG dann insgesamt dergestalt, dass sich der bekämpfte Schubhaftbescheid als zulässig und die darauf gestützte Anhaltung als unbedingt erforderlich erwiesen. "Unter Berücksichtigung der Verhältnisse des vorliegenden Einzelfalls" hätten sich keine maßgeblichen Umstände ergeben, die über die vom BFA dargelegten Erwägungen hinaus zum Ergebnis geführt hätten, dass zum Entscheidungszeitpunkt der konkrete Sicherungsbedarf weggefallen bzw. die Fortsetzung der Schubhaft nunmehr unverhältnismäßig geworden wäre.

Diesen Erwägungen des BVwG ist zunächst entgegen zu halten, dass es auf die Möglichkeit der Behandlung von psychischen Erkrankungen in China - die sich nach den Ausführungen des Asylgerichtshofes, auf die das BVwG Bezug genommen hat, im Übrigen als sehr zweifelhaft darstellt - im gegebenen Zusammenhang nicht ankommt. Im Übrigen ist das BVwG nur auf die Frage der Haftfähigkeit der Revisionswerberin ausdrücklich eingegangen, die es bejahte. Mit dem aktuellen Gesundheitszustand der Revisionswerberin im Einzelnen hat sich das BVwG dagegen nicht näher auseinandergesetzt, sondern diesbezüglich nur auf die seinerzeitigen, bei seiner Entscheidung schon mehr als zweieinhalb Jahre alten Ausführungen des Asylgerichtshofes verwiesen. Das stellt schon für sich betrachtet einen Begründungsmangel dar, zumal eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, selbst wenn daraus keine Haftunfähigkeit resultiert, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Unzulässigkeit von Schubhaft führen kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0123, mwN). Vor allem wäre das BVwG insbesondere unter diesem Aspekt aber auch verhalten gewesen, die ausdrücklich beantragte Verhandlung durchzuführen. Der im vorliegenden Fall einschlägige § 21 Abs. 7 BFA-VG ermöglicht zwar auch im Fall eines ausdrücklich darauf gerichteten Antrags das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Weder von der einen noch von der anderen Voraussetzung kann freilich im vorliegenden Fall die Rede sein, hätte es doch im Sinn des Vorgesagten zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Schubhaft einer Abklärung des genaueren psychischen Zustandes der Revisionswerberin, die auch nach den übernommenen Annahmen des Asylgerichtshofes insoweit Probleme aufweist, bedurft (siehe in diesem Sinn etwa das noch zu § 83 Abs. 2 Z 1 FPG idF vor dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz ergangene, auf die neue Rechtslage aber übertragbare hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0066).

Zusammenfassend ergibt sich damit, dass Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet ist und daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Von der Durchführung der vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragten Verhandlung konnte schon gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 3 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am