VwGH vom 31.08.2015, Ra 2015/11/0039
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision des G K in T, vertreten durch Heinzle - Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , Zl. LVwG- 4/1661/3-2015, betreffend Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG i. A. Entziehung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Tamsweg), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde die dem Revisionswerber am in Ungarn für näher bezeichnete Klassen erteilte Lenkberechtigung gemäß § 30 Abs. 2 FSG entzogen. Weiters wurde die aufschiebende Wirkung einer dagegen erhobenen Beschwerde gemäß § 64 Abs. 2 AVG ausgeschlossen.
In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, gemäß § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG sei die Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates oder eines Nicht-EWR-Staates auszusprechen, wenn eine Person eine Lenkberechtigung in diesem Staat zu einem Zeitpunkt erworben hat, zu dem die Person ihren Wohnsitz in Österreich und nicht im Ausstellungsstaat des Führerscheines hatte. Fallbezogen stellte die belangte Behörde fest, der Revisionswerber habe laut Ausdruck aus dem (österreichischen) Zentralen Melderegister den Hauptwohnsitz seit seiner Geburt ununterbrochen in Österreich. Außerdem habe eine Abfrage beim "österreichischen Sozialversicherungsverband - Versicherungsdatenauszug" ergeben, dass der Revisionswerber im Zeitpunkt der Ausstellung des ungarischen Führerscheines () als Arbeiter einer näher genannten Baugesellschaft zur Sozialversicherung gemeldet gewesen sei. Dies rechtfertige die Schlussfolgerung, dass der Revisionswerber im Zeitpunkt des Erwerbes der ungarischen Lenkberechtigung den Hauptwohnsitz offensichtlich nicht in Ungarn gehabt habe, sodass diese Lenkberechtigung gemäß § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG zu entziehen gewesen sei. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde begründete die belangte Behörde mit dem öffentlichen Interesse an der Verkehrssicherheit und dem Vorliegen von Gefahr in Verzug.
1.2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg (LVG) vom zunächst insofern Folge gegeben, als der Spruchteil betreffend Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde behoben wurde.
1.3. Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Beschluss vom wurde die mit dem genannten Bescheid vom ausgesprochene Entziehung der ungarischen Lenkberechtigung "behoben" und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 iVm Abs. 2 Z 2 VwGVG zur Erlassung eines allfälligen neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen. Weiters verneinte das LVG gemäß § 25a VwGG die Zulässigkeit einer ordentlichen Revision.
In der Begründung führte das LVG unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2014/11/0084, und das dort zitierte , "Akyüz", zusammengefasst aus, dass die gegenständlichen Ermittlungsergebnisse betreffend den Wohnsitz des Revisionswerbers ausschließlich von österreichischen Behörden stammten und daher vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur keine tragfähige Grundlage für die Entziehung der in Ungarn erteilten Lenkberechtigung bildeten. Vielmehr hätte die belangte Behörde aufgrund der gegebenen Zweifel, dass die Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes in Ungarn anlässlich der Erteilung der Lenkberechtigung beachtet worden sei, Informationen darüber bei ungarischen Behörden einholen und einer Beurteilung unterziehen müssen.
Da die belangte Behörde Informationen zum Wohnsitz des Revisionswerbers bei Ausstellung der Lenkberechtigung von ungarischen Behörden weder eingeholt noch sich darum bemüht habe, liege eine besonders gravierende Ermittlungslücke vor, welche gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde rechtfertige (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2014/03/0063).
2. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Zur Zulässigkeit derselben wird vorgebracht, das LVG weiche sowohl von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als auch vom Unionsrecht ab, wenn es trotz des Fehlens von Informationen, die vom Ausstellerstaat des Führerscheines (Ungarn) stammen, eine Fortführung des Entziehungsverfahrens durch weitere Ermittlungen der belangten Behörde beauftrage. Richtigerweise hätte das LVG mangels vom Ausstellerstaat herrührender Informationen über den im Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheines gegebenen Wohnsitz des Revisionswerbers den Entziehungsbescheid ersatzlos beheben müssen.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
3.1. Im hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2014/11/0084, hat der Verwaltungsgerichtshof unter ausführlicher Bezugnahme auf das , "Akyüz", dargelegt, dass die Entziehung der in einem EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung gemäß § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG infolge Vorrangs des Unionsrechts rechtswidrig ist, wenn nicht aufgrund von unbestreitbaren, von Behörden des Ausstellermitgliedstaates herrührenden Informationen (bzw. aufgrund von Angaben im Führerschein selbst) feststeht, dass die Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes anlässlich der Erteilung der Lenkberechtigung im Ausstellermitgliedstaat nicht beachtet wurde.
Entgegen den Ausführungen in der Revision lässt sich weder diesem Erkenntnis noch den daran anknüpfenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes eine Aussage dahingehend entnehmen, dass im Falle des Fehlens von vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen betreffend den ordentlichen Wohnsitz des Betreffenden jegliche Versuche, solche Informationen vom Ausstellermitgliedstaat zu erlangen, unzulässig wären und das Entziehungsverfahren einzustellen sei. Vielmehr fehlt eine Auseinandersetzung mit dieser Frage in der bisherigen hg. Judikatur, sodass die Revision zulässig ist.
3.2. In der Revision wird nicht konkret behauptet, dass österreichische Rechtsvorschriften im gegebenen Zusammenhang Ermittlungen zur Erlangung von unbestreitbaren Informationen des Ausstellermitgliedstaat betreffend den ordentlichen Wohnsitz des Betreffenden entgegenstünden. Vielmehr ist gemäß § 39 Abs. 2 AVG von der amtswegigen Ermittlungspflicht auszugehen.
3.3. Ohne Zweifel steht aber auch das Unionsrecht, wie die nachstehend auszugsweise wiedergegebenen Aussagen des EuGH im zitierten Urteil C-467/10, "Akyüz" zeigen, solchen Ermittlungsschritten nicht entgegen:
"68 Für das Ausgangsverfahren ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen, dass die deutschen Behörden - sollten sie über unbestreitbare, von den tschechischen Behörden herrührende Informationen verfügen, dass Herr Akyüz seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik hatte, als ihm von diesem Mitgliedstaat ein Führerschein ausgestellt wurde - berechtigt wären, die Anerkennung dieses Führerscheins zu verweigern. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung steht einer auf irgendeine andere Information gestützten Weigerung entgegen (vgl. in diesem Sinne Beschluss Wierer, Randnr. 59).
69 Insoweit ist nicht ausgeschlossen, dass die von den Einwohnermeldebehörden des Ausstellermitgliedstaats erlangten Informationen als solche Informationen angesehen werden können (Beschluss Wierer, Randnr. 61).
(...)
71 Der Umstand, dass Informationen den zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats vom Ausstellermitgliedstaat nicht direkt, sondern nur indirekt in Form einer Mitteilung Dritter übermittelt wurden, erscheint als solcher nicht geeignet, die Einstufung dieser Informationen als vom Ausstellermitgliedstaat herrührend auszuschließen, sofern sie von einer Behörde dieses Staates stammen.
72 Demzufolge schließt, wie die deutsche Regierung und im Wesentlichen die Kommission geltend machen, die bloße Tatsache, dass die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ihre Vertretung im Ausstellermitgliedstaat einschalten, um sich derartige Informationen von den zuständigen Behörden des Ausstellermitgliedstaats zu verschaffen, nicht aus, dass die Informationen als von diesem Staat herrührend eingestuft werden.
73 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob Informationen, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens erlangt wurden, als vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen eingestuft werden können.
74 Das vorlegende Gericht muss die genannten Informationen gegebenenfalls auch bewerten und beurteilen, ob es sich um unbestreitbare Informationen handelt, die belegen, dass der Inhaber des Führerscheins zu dem Zeitpunkt, als er diesen erhielt, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte.
75 Das vorlegende Gericht kann im Rahmen seiner Beurteilung der ihm vorliegenden, vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen alle Umstände des bei ihm anhängigen Verfahrens berücksichtigen. Es kann insbesondere den etwaigen Umstand berücksichtigen, dass die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen darauf hinweisen, dass sich der Inhaber des Führerscheins im Gebiet dieses Staates nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen."
3.4. Vielmehr geht der EuGH in Rn 69 des zitierten Urteils "Akyüz" - ausdrücklich - davon aus, dass von den "Einwohnermeldebehörden des Ausstellerstaates erlangte Informationen" unbestreitbare, vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen sein können, die dazu berechtigen, die Anerkennung des Führerscheines zu verweigern. Gleiches gilt für vom Ausstellerstaat (sogar indirekt) "übermittelte" Informationen über den ordentlichen Wohnsitz (Rn 71 des zitierten Urteils). Schließlich weist der EuGH in Rn 72 des Urteils - explizit - darauf hin, dass auch Informationen, die sich Vertretungsbehörden im Ausstellermitgliedstaat " verschaffen ", als vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen anzusehen seien.
Vor diesem Hintergrund kann somit kein Zweifel daran bestehen, dass Informationen des Ausstellermitgliedstaates über den ordentlichen Wohnsitz des Betreffenden auch dann, wenn diese Informationen erst über Ersuchen der Führerscheinbehörde erteilt werden, zur Beurteilung herangezogen werden können, ob es sich (im Sinne der Rn 74 des zitierten Urteils) um unbestreitbare Informationen handelt, die belegen, dass der Inhaber des Führerscheins zu dem Zeitpunkt, als er diesen erhielt, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte. Dem steht der in der Revision erwähnte Art. 15 der Richtlinie 2006/126/EG über den Führerschein, der die Amtshilfe der Mitgliedstaaten normiert, in keiner Weise entgegen. Angesichts der eindeutigen Rechtslage besteht somit kein Anlass, die Anregung des Revisionswerbers auf Einholung einer Vorabentscheidung aufzugreifen.
3.5. Insbesondere verstößt die gegenständliche Zurückverweisung der Sache an die belangte Behörde nicht gegen den (dem zitierten Urteil des EuGH zugrunde liegenden) Grundsatz, dass Führerscheine von den Mitgliedstaaten gegenseitig anzuerkennen sind, wenn bzw. solange nicht aufgrund vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden und unbestreitbaren Informationen feststeht, dass die Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes vom Ausstellerstaat nicht beachtet wurde (vgl. Rn 62 des zitierten Urteils):
Im gegenständlichen Fall wurde nämlich zuerst durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde durch das zitierte Erkenntnis des LVG vom und danach durch die Aufhebung des Entziehungsbescheides mittels des nunmehr angefochtenen Beschlusses sichergestellt, dass die ungarische Lenkberechtigung des Revisionswerbers (trotz gegebener Bedenken in Bezug auf das Wohnsitzerfordernis) anerkannt bleibt, solange vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen über den ordentlichen Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat fehlen.
3.6. Da unstrittig ist, dass die belangte Behörde trotz der genannten Bedenken keinerlei Ermittlungsschritte gesetzt hat, um vom Ausstellermitgliedstaat (Ungarn) Informationen über den ordentlichen Wohnsitz des Revisionswerbers im Zeitpunkt der Erteilung der gegenständlichen Lenkberechtigung (bzw. Ausstellung des ungarischen Führerscheines) zu erlangen und die von der belangten Behörde gesetzten Ermittlungsschritte (Einholung einer Auskunft vom österreichischen Zentralen Melderegister und Abfrage im "österreichischen Sozialversicherungsverband - Versicherungsdatenauszug") nach der dargestellten Judikatur als völlig ungeeignete Ermittlungsschritte zur Entziehung der Lenkberechtigung gemäß § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG anzusehen sind (vgl. nochmals das zitierte hg. Erkenntnis Zl. Ra 2014/11/0084), ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn das LVG diesbezügliche Ermittlungsschritte nicht selbst (erstmals) in die Wege leitete, sondern die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an die belangte Behörde zurückverwies (und zwar zutreffend mit Verweis auf das hg. Erkenntnis Zl. Ro 2014/03/0063).
3.7. Erst bei Vorliegen von unbestreitbaren, von Behörden des Ausstellermitgliedstaates herrührenden Informationen (bzw. aufgrund von Angaben im Führerschein selbst) betreffend den ordentlichen Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat ist anhand der fallbezogenen Umstände zu beurteilen, ob sich der Inhaber des Führerscheines im Ausstellermitgliedstaat etwa "nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen" (vgl. Rn 75 des zitierten EuGH-Urteils "Akyüz" und darauf Bezug nehmend den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2015/11/0028).
4.1. Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil gegenständlich ausschließlich über eine Rechtsfrage (Zulässigkeit weiterer Ermittlungen zum Wohnsitz) zu entscheiden war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/04/0005, mit Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).
4.2. Nach dem Gesagten war die Revision gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am