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VwGH vom 17.09.2012, 2011/23/0457

VwGH vom 17.09.2012, 2011/23/0457

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/29A, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/395168/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Republik Kosovo, reiste am illegal nach Österreich ein, wo er nach seinem fremdenpolizeilichen Aufgriff im Stande der Schubhaft am einen bei Erlassung des hier angefochtenen Bescheides noch nicht rechtskräftig erledigten Asylantrag stellte.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB, der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB, der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB sowie der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten rechtskräftig verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer zwischen dem 14. und dem eine auf einen Dritten lautende Bankomatkarte sowie eine solche E-Card von einem unbekannten Täter gekauft und für sich behalten hatte. Weiters hatte der Beschwerdeführer am versucht, sich seiner Festnahme zu entziehen, indem er zwei Polizeibeamten einen Stoß gegen den Oberarm versetzte, gegen die Brust schlug und schließlich mehrmals mit den Beinen auf sie eintrat. Die Polizisten erlitten dabei Abschürfungen und eine Schnittwunde.

Im Hinblick auf diese Verurteilung erließ die belangte Behörde mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot.

Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer durch sein gravierendes Fehlverhalten, das u. a. von großer Gewaltbereitschaft zeuge, massiv gegen das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Gewalt- und Urkundenkriminalität verstoßen habe. Auf Grund der hinter der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers stehenden strafbaren Handlungen und der damit verbundenen kriminellen Energie bedeute sein weiterer Aufenthalt im Inland eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Der Beschwerdeführer habe nach seinen Angaben in Deutschland die Realschule besucht und eine Ausbildung als Wärme- und Kälteisolierer gemacht. Er sei in Deutschland geboren und habe dort bis zum 28. Lebensjahr gewohnt. Mehrere Verwandte (Onkeln, Tanten, Cousins) würden in Deutschland leben, während er in Österreich keine Familienangehörigen habe. Vor seiner Einreise nach Österreich sei er im Kosovo gemeldet gewesen. Seine Existenzgrundlage sei im Heimatstaat gesichert gewesen. Dort lebten sein Vater und ein Cousin. Im Sinne der nach § 66 Abs. 2 FPG notwendigen Interessenabwägung müsse auf Grund des kurzen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und den mangelnden familiären sowie beruflichen Bindungen von "kaum einem" mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers ausgegangen werden, sodass die Zulässigkeit des Rückkehrverbots zu bejahen sei. Den geringen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Weiterverbleib in Österreich sei die große Gefährdung öffentlicher Interessen durch das geschilderte Fehlverhalten des Beschwerdeführers entgegenzuhalten, welche dadurch "die Oberhand gewinnen" würden. Immerhin habe der Beschwerdeführer seine Gefährlichkeit für die körperliche Integrität "von Repräsentanten der österreichischen Ordnungsmacht" und für die Urkundensicherheit verdeutlicht und sein Unvermögen oder seinen Unwillen, die Rechtsvorschriften des Gastlandes einzuhalten, unter Beweis gestellt. Eine positive Verhaltens- und Zukunftsprognose sei für ihn unter Bezugnahme auf die "mehreren Tathandlungen" und den Umstand, dass diese bereits zwei bis drei Tage nach der illegalen Einreise gesetzt worden seien, unter keinen Umständen - auch nicht bezogen auf den Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit des Rückkehrverbots - möglich. Gründe für eine günstige Ermessensentscheidung seien weder zu erkennen noch dargelegt worden. Wegen der überaus raschen Straffälligkeit des Beschwerdeführers nach seiner illegalen Einreise und "den mehreren Tathandlungen" sei nicht zu erwarten, dass der für die Erlassung des Rückkehrverbots maßgebliche Grund, nämlich die erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, vor dem Ablauf von zehn Jahren weggefallen sein werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Oktober 2009) geltende Fassung.

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen iSd Abs. 1 u. a. jene des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG. Danach liegen die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende Tatsachen dann vor, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht (u.a.) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

Ausgehend von der unbestrittenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ist die von der belangten Behörde daraus gezogene Schlussfolgerung, dass der Tatbestand des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei, nicht rechtswidrig.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der belangten Behörde nach § 62 Abs. 1 FPG erstellte Gefährdungsprognose und bringt dazu vor, dass "der Widerstand gegen die Staatsgewalt" in Verbindung mit der eingetretenen Körperverletzung der Polizisten zu sehen sei. Dies seien "nicht losgelöste Delikte" gewesen, sondern auf Grund einer Handlung entstanden. Sein Vergehen sei im "untersten Bereich der Kriminalität" anzuordnen. Er habe das Unrecht der Tat eingesehen, sich im Strafverfahren geständig verantwortet und den Vorfall zutiefst bereut.

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht ist der Straftatbestand des Widerstands gegen die Staatsgewalt keineswegs zwingend mit einer Körperverletzung der einschreitenden Beamten verbunden. Der Beschwerdeführer wurde demgemäß auch wegen beider Delikte rechtskräftig verurteilt. Im Übrigen ist es auch unerheblich, ob man die beiden Delikte als in Verbindung stehend ansieht. Zu Recht berücksichtigte die belangte Behörde in ihrer Gefährdungsprognose daher auch die besondere Aggressivität, mit der sich der Beschwerdeführer seiner Verhaftung widersetzte. Die belangte Behörde hat zutreffend auch hervorgehoben, dass der Beschwerdeführer bereits in den ersten drei Tagen nach seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet bei mehreren Gelegenheiten - nämlich bei der Entfremdung der Bankomatkarte und der Unterdrückung der E-Card eines Dritten sowie bei seinem Versuch, sich seiner Verhaftung zu widersetzen, wobei er zwei Beamte während der Vollziehung ihrer Aufgaben verletzte - straffällig wurde. Es kann in diesem Zusammenhang die Meinung des Beschwerdeführers, dass seine Vergehen "im untersten Bereich der Kriminalität anzuordnen" seien, nicht geteilt werden. Gerade mit seinem Widerstand gegen die Staatsgewalt richtete sich der Beschwerdeführer unmittelbar - in aggressiver Weise - gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Argumente, die das Verhalten des Beschwerdeführers in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten, enthält die Beschwerde nicht. Im Übrigen ist die Zeitspanne des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers nach den Straftaten bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheids von wenigen Monaten bei weitem zu kurz, um von einer relevanten Minderung oder gar einem Wegfall der vom Beschwerdeführer herrührenden Gefährdung ausgehen zu können.

Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang unter verschiedenen Blickwinkeln vorbringt, dass die belangte Behörde den Akt des Strafverfahrens beizuschaffen gehabt hätte, stellt sie nicht ausreichend konkret dar, welche weiteren Feststellungen die belangte Behörde aus dem Strafakt hätte treffen können und inwiefern dies zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis geführt hätte.

Es erweist sich somit nicht als rechtswidrig, dass die belangte Behörde die Gefährdungsprognose nach § 62 Abs. 1 FPG für gegeben erachtete.

Im Zusammenhang mit der von der belangten Behörde gemäß § 62 Abs. 3 iVm § 66 FPG durchgeführten Interessenabwägung bestreitet der Beschwerdeführer nicht, in Österreich keine verwandtschaftlichen Bindungen zu haben und er behauptete auch nicht, in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu sein. Er verweist in diesem Zusammenhang jedoch darauf, dass er bis zu seinem 28. Lebensjahr in Deutschland gelebt habe und dort zahlreiche Verwandte (Onkeln, Cousins, Tanten, aber auch ein Bruder) lebten. Die belangte Behörde hätte zu berücksichtigen gehabt, dass entsprechende familiäre Bindungen zu Deutschland bestehen und ein Rückkehrverbot die Unzulässigkeit der Einreise des Beschwerdeführers in das "gesamte Schengener Gebiet" nach sich ziehe.

Zunächst ist diesem Vorbringen entgegenzuhalten, dass die engsten familiären Bindungen nach wie vor im Heimatland des Beschwerdeführers bestehen, wo sich nach seinen Angaben sein Vater und ein Cousin befinden. Abgesehen davon, dass die vorgebrachten verwandtschaftlichen Beziehungen in Deutschland bereits auf Grund der Volljährigkeit der Beteiligten zu relativieren sind, hat der Beschwerdeführer die in diesem Zusammenhang geltend gemachten eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten im öffentlichen Interesse hinzunehmen.

Im Übrigen ist der Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht u.a. dahingehende Vorschriften enthält, wonach die Ausschreibung im Schengener Informationssystem nicht in jedem Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines Einreisetitels im Wege steht (vgl. dazu das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0428).

Angesichts der dem Beschwerdeführer vorzuwerfenden Straftaten ist es daher nicht rechtswidrig, wenn die Behörde in ihrer Interessenabwägung zum Schluss kam, dass § 66 FPG der Erlassung des Rückkehrverbots nicht entgegenstehe.

Es ist - anders als die Beschwerde meint - auch nicht zu sehen, dass im Hinblick auf die angeführten Umstände aus Ermessensgründen von der Erlassung des Rückkehrverbots hätte Abstand genommen werden müssen. Die über den Beschwerdeführer verhängte bedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten liegt doch erheblich über der im § 60 Abs. 2 Z 1 dritter Fall FPG normierten Untergrenze. Wenn der Beschwerdeführer schließlich auf seine "bis zu diesem Vorfall" in Österreich vorliegende strafrechtliche Unbescholtenheit hinweist, ist ihm zu entgegnen, dass er bereits in den ersten drei Tagen nach seiner Einreise die vorliegenden Straftaten beging.

Die Beschwerde wendet sich schließlich gegen die Dauer des Rückkehrverbots, zeigt jedoch keine Umstände auf, die den Schluss zugelassen hätten, dass bereits früher die für die Erlassung des Rückkehrverbots maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
VAAAE-93917