VwGH vom 19.05.2015, Ro 2015/21/0008

VwGH vom 19.05.2015, Ro 2015/21/0008

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Revision des M K in L, vertreten durch Dr. Karl Hatak, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hofgasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W191 2012003-1/7E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

2. zu Recht erkannt:

Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses und Spruchpunkt A.III., soweit der Antrag des Revisionswerbers auf Kostenersatz zurückgewiesen wurde, werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom wurde gegen den Revisionswerber, einen algerischen Staatsangehörigen, nach seiner Festnahme die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG angeordnet und sogleich (im Anschluss an eine Strafhaft) vollzogen.

Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß § 76 Abs. 1 FPG iVm § 22a Abs. 1 und § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Unter einem stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Weiters hat das BVwG die Anträge "der Parteien" (des Revisionswerbers und des BFA) auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG zurückgewiesen (Spruchpunkt A.III.). Abschließend wurde die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt (Spruchpunkt B.)

Gegen dieses Erkenntnis (gegen Spruchpunkt A. III. erkennbar nur insoweit, als sein Kostenersatzantrag zurückgewiesen wurde) erhob der Revisionswerber sowohl Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof als auch Revision an den Verwaltungsgerichtshof; Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Zu Punkt 1.

Mit Erkenntnis vom , G 151/2014 u.a., hob der Verfassungsgerichtshof § 22a Abs. 1 und 2 BFA-VG als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden seien (siehe dazu die Kundmachung des Bundeskanzlers unter BGBl. I Nr. 41/2015).

Infolge dessen stellte der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom selben Tag, E 1620/2014-15, fest, dass der Revisionswerber durch Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen in seinen Rechten verletzt worden sei. Unter einem hob er daher diesen Spruchpunkt auf. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach seiner Anhörung die Revision in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt (u.a.) dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde (vgl. etwa aus der letzten Zeit den hg. Beschluss vom , Ro 2014/21/0051, Punkt 1.). Dem trat der Vertreter des Revisionswerbers auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegen.

Die Revision war daher, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, in Anwendung der genannten Bestimmung des VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Zu Punkt 2.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

In der Revision wird unter anderem ins Treffen geführt, es hätte sich schon während der Anhaltung des Revisionswerbers in Strafhaft hinreichend Gelegenheit geboten, dessen Abschiebung vorzubereiten bzw. zu organisieren, weshalb die Schubhaft jedenfalls unverhältnismäßig gewesen sei. Damit wird der Sache nach zutreffend ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Sinne der genannten Verfassungsbestimmung geltend gemacht.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes darf Schubhaft stets nur "ultima ratio" sein. Dem entspricht nicht nur die in § 80 Abs. 1 FPG ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauere, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass die Behörde (das BFA) schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so wäre die Schubhaft unverhältnismäßig. Demzufolge erweist sich die Verhängung von Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung im Anschluss an eine Strafhaft regelmäßig als unverhältnismäßig, wenn die Fremdenpolizeibehörde (das BFA) auch zum absehbaren Ende einer Strafhaft hin mit der (versuchten) Beschaffung eines Heimreisezertifikats untätig bleibt. Das muss auch auf den Fortsetzungsausspruch durchschlagen. Eine sich aus den Umständen des Einzelfalles ergebende andere Sicht wäre nachvollziehbar zu begründen (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom , Zl. 2013/21/0209, mwN).

Der Revisionswerber, gegen den im März 2011 eine rechtskräftige asylrechtliche Ausweisung und im Juli 2013 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung samt zehnjährigem Einreiseverbot erlassen worden waren, befand sich nach den Feststellungen des BVwG "über eineinhalb Jahre bis zum in der Justizanstalt Garsten in Strafhaft". Ungeachtet dessen ging das BVwG in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht auf den in der Beschwerde erhobenen Einwand ein, das BFA habe ausreichend Zeit gehabt, die Abschiebung des Revisionswerbers "am Tag seiner Haftentlassung" zu organisieren. Auch das BFA hatte im Schubhaftbescheid, der entgegen § 76 Abs. 3 FPG als Mandatsbescheid erlassen wurde (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0009), keine besonderen Umstände ins Treffen geführt, die es im vorliegenden Fall ausnahmsweise gestattet hätten, mit den Schritten zur Organisation der Abschiebung des Revisionswerbers erst nach dem Ende der Strafhaft zu beginnen. Schon deshalb erweist sich der mit Spruchpunkt A.II. vorgenommene Ausspruch über die Zulässigkeit/Verhältnismäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft am Maßstab der dargestellten Rechtsprechung als inhaltlich rechtswidrig.

Im Übrigen ist aber noch anzumerken, dass die vom BVwG zu Lasten des Revisionswerbers vorgenommene Beweiswürdigung in Bezug auf - nicht als irrelevant angesehenes - Vorbringen in der Beschwerde nicht mit der weiteren Annahme des BVwG in Einklang zu bringen ist, der Sachverhalt wäre iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt und es könne deshalb die ausdrücklich beantragte mündliche Verhandlung unterbleiben.

Die Zurückweisung des Antrags (auch) des Revisionswerbers auf Kostenersatz mit Spruchpunkt A.III. begründete das BVwG erkennbar damit, dass die Bestimmung des § 35 Abs. 1 VwGVG, wonach im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iSd Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG die obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei hat, im Verfahren über Schubhaftbeschwerden jedenfalls nicht anwendbar sei, weil in den § 22a BFA-VG kein ausdrücklicher Verweis auf diese Kostenersatzregelung aufgenommen worden sei.

Diese Ansicht erweist sich vor dem Hintergrund der durch das schon angesprochene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 151/2014 u.a., (vgl. v.a. Rz 39; siehe ergänzend auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom selben Tag, E 4/2014-17, Rz 18) bereinigten Rechtslage in dieser Allgemeinheit nicht (mehr) als zutreffend. Auch im vorliegenden Fall ist nämlich nunmehr davon auszugehen, dass die zu Grunde liegende Beschwerde an das BVwG, soweit damit die dem Schubhaftbescheid nachfolgende Anhaltung bekämpft wird, eine Beschwerde gegen die behauptete Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellt. Diesbezüglich kommt daher § 35 VwGVG zur Anwendung, jedenfalls soweit er einem Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht im Falle seines Obsiegens in einem Beschwerdeverfahren wegen behaupteter Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kostenersatz einräumt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/21/0077).

Das BVwG hat die Kostenentscheidung aber auch noch damit begründet, dass für den Revisionswerber ein Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG jedenfalls nicht bestanden habe, weil die vorliegende Beschwerde abgewiesen worden und der Revisionswerber daher unterlegene Partei sei. Diese Auffassung ist aber schon angesichts der - rückwirkenden (vgl. etwa den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , E 873/2014) - Aufhebung des Spruchpunktes A.I. durch den Verfassungsgerichtshof und der nunmehr vorgenommenen, ebenfalls rückwirkenden (vgl. § 42 Abs. 3 VwGG) Aufhebung des Spruchpunktes A.II. nicht mehr tragfähig.

Es waren daher Spruchpunkt A.II. und Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses, soweit Letzterer den Kostenersatzantrag des Revisionswerbers betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 55 erster Satz VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren auf Ersatz der Eingabengebühr war allerdings abzuweisen, weil dem Revisionswerber die Verfahrenshilfe (im vollen Umfang) bewilligt worden war.

Von der Durchführung der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 bzw. Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

Wien, am