VwGH vom 21.09.2009, 2009/16/0083
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Bayer LL.M., über die Beschwerde der Mag. K K in M, vertreten durch Mag. Michaela Speer, Rechtsanwältin in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , GZ. FSRV/0134-W/03, betreffend Abgabenhinterziehung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Schuldspruch, im Strafausspruch und im Kostenspruch wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Dem angefochtenen Bescheid zu Folge habe das Finanzamt "in Würdigung der Feststellungen" von Umsatzsteuernachschauen (für Jänner bis März 1993, Februar bis Dezember 1995, Jänner, Februar 1996, März bis Dezember 1996 und Jänner bis August 1997) wegen des Verdachtes der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a und b FinStrG gemäß § 82 Abs. 2 FinStrG Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet. Das "angelastete Delikt nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG" habe sich u.a. auf Umsatzsteuervorauszahlungen mit im angefochtenen Bescheid näher angeführten Beträgen für im Einzelnen aufgegliederte Zeiträume bezogen, wobei sich eine Summe der darauf entfallenden strafbestimmenden Wertbeträge von rund 1,240.000 S ergeben habe.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom , 12e Vr 6330/00 Hv 3730/00, wurde die Beschwerdeführerin von dem wider sie erhobenen Vorwurf gemäß § 214 Abs. 1 FinStrG wegen Unzuständigkeit des Gerichtes freigesprochen, weil das Landesgericht nur mehr von einem strafbestimmenden Wertbetrag von rund 900.000 S ausging.
Der Spruchsenat beim Finanzamt erkannte die Beschwerdeführerin sodann mit Erkenntnis vom der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 iVm § 13 FinStrG schuldig, weil sie durch nicht termingerechte Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 1993 bis 1996 Umsatzsteuer in der Gesamthöhe von 802.983 S zu verkürzen versucht habe, und verhängte über sie eine Geldstrafe von 20.000 EUR.
Über die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin entschied die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid. Sie erkannte die Beschwerdeführerin schuldig, unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch Unterlassung der Einreichung einer Umsatzsteuerjahreserklärung für das Kalenderjahr 1993 eine Verkürzung einer Umsatzsteuer in Höhe von 53.431 S zu bewirken versucht und dadurch Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 iVm § 13 FinStrG begangen zu haben. Weiters erkannte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG schuldig, weil sie unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des UStG entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung von Vorauszahlungen an Umsatzsteuer, nämlich für Jänner bis Dezember 1994 in Höhe von
147.493 S, für Jänner bis Dezember 1995 in Höhe von 83.942 S und für Jänner bis Dezember 1996 in Höhe von 257.954 S, bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten habe. Dafür wurde die Beschwerdeführerin zu einer Geldstrafe in Höhe von 12.000 EUR (Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall deren Uneinbringlichkeit 30 Tage) "verurteilt". Die Kosten des Verfahrens wurden mit 363 EUR bemessen. Auf die ausgesprochene Strafe wurde eine im vorangegangenen gerichtlichen Finanzstrafverfahren verhängte Untersuchungshaft vom , 16:07 Uhr, bis , 13:00 Uhr, angerechnet. Das gegen die Beschwerdeführerin eingeleitete Finanzstrafverfahren mit "der übersteigenden Anschuldigung betreffend das Jahr 1993 in der Höhe von S 165.000,00" und "bezüglich eines Betrages in Höhe von S 87.275,00" wurde eingestellt.
Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen diesen Bescheid vor ihm erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom , B 511/04-14, abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom , B 511/04-19, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Der Verwaltungsgerichtshof leitete nach Ergänzung der Beschwerde durch die Beschwerdeführerin mit Verfügung vom das Vorverfahren ein und trug der belangten Behörde auf, binnen einer Frist von acht Wochen die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen, wobei er ausdrücklich auf die Säumnisfolgen des § 38 Abs. 2 VwGG hinwies.
Die belangte Behörde legte Verwaltungsakten vor und brachte eine Gegenschrift ein, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin bekämpft den angefochtenen Bescheid in seinem Schuldspruch, im Strafausspruch und im Ausspruch über die Kostenersatzpflicht und erachtet sich in ihrem Recht verletzt, nicht schuldig erkannt zu werden, eine Abgabenhinterziehung nach § 33 FinStrG begangen zu haben.
Gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG macht sich der Abgabenhinterziehung schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt.
Nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG macht sich der Abgabenhinterziehung weiters schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes 1972 entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung von Umsatzsteuer (Vorauszahlungen oder Gutschriften) bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss hält.
Nach § 33 Abs. 3 lit. a FinStrG in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 375/1989 ist eine Abgabenverkürzung nach Abs. 1 oder 2 bewirkt, wenn Abgaben, die bescheidmäßig festzusetzen sind, zu niedrig festgesetzt wurden oder infolge Unkenntnis der Abgabenbehörde von der Entstehung des Abgabenanspruches mit dem Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist (Anmeldefrist, Anzeigefrist) nicht festgesetzt werden konnten.
Gemäß § 33 Abs. 3 lit. b FinStrG ist eine Abgabenverkürzung bewirkt, wenn Abgaben, die selbst zu berechnen sind, ganz oder teilweise nicht entrichtet (abgeführt) wurden.
Die Finanzstrafbehörde erster Instanz hat nach § 82 Abs. 1 FinStrG die ihr gemäß §§ 80 oder 81 zukommenden Verständigungen und Mitteilungen darauf zu prüfen, ob genügende Verdachtsgründe für die Einleitung eines Finanzstrafverfahrens gegeben sind. Das gleiche gilt, wenn sie in anderer Weise, insbesondere aus eigener Wahrnehmung vom Verdacht eines Finanzvergehens Kenntnis erlangt. Die Prüfung ist nach den für die Feststellung des maßgebenden Sachverhalts im Untersuchungsverfahren geltenden Bestimmungen vorzunehmen.
Wenn diese Prüfung ergab, dass für die Durchführung des Strafverfahrens das Gericht zuständig war, hatte die Finanzstrafbehörde nach § 82 Abs. 2 FinStrG in der im Beschwerdefall (vor der Änderung durch die Finanzstrafgesetznovelle 2007, BGBl. I Nr. 44) noch maßgebenden Stammfassung das Finanzvergehen ungesäumt der Staatsanwaltschaft anzuzeigen und eine weitere Tätigkeit nur soweit zu entfalten, als dies § 197 FinStrG vorsah.
Ergab diese Prüfung, dass die Durchführung des Strafverfahrens nicht in die Zuständigkeit des Gerichtes fiel, hatte die Finanzstrafbehörde erster Instanz nach § 82 Abs. 3 FinStrG das Finanzstrafverfahren einzuleiten.
Gemäß § 161 Abs. 1 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde zweiter Instanz, sofern das Rechtmittel nicht gemäß § 156 leg. cit. zurückzuweisen ist, grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung der Rechtsmittelentscheidung ihre Anschauung an die Stelle jener der Finanzstrafbehörde erster Instanz zu setzen und das angefochtene Erkenntnis (den Bescheid) abzuändern oder aufzuheben, den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären oder das Rechtsmittel als unbegründet abzuweisen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Strafbarkeit einer Abgabenhinterziehung im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG dann ausgeschlossen, wenn eine Strafbarkeit infolge der nachfolgenden Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 leg. cit. wegen des gleichen Umsatzsteuerbetrages für den selben Zeitraum kein Hindernis entgegensteht, weil in einem solchen Fall die Tathandlung im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. a als eine - durch die Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 - nachbestrafte Vortat zu betrachten ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2007/15/0142, vom , 2008/13/0076, und vom , 2000/14/0109, VwSlg 7.580/F).
Unbeschadet des Umstandes, dass es sich bei der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG hinsichtlich der Umsatzsteuer bestimmter Voranmeldungszeiträume um eine mit der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG hinsichtlich der Umsatzsteuer eines diese Voranmeldungszeiträume (mit)umfassenden Veranlagungszeitraumes nachbestrafte Vortat handelt, werden die beiden Taten durch zu unterschiedlichen Zeitpunkten verwirklichte unterschiedliche Sachverhalte begangen, wodurch die in § 33 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a FinStrG umschriebenen Tatbestände erfüllt werden. Dabei entsprechen nicht nur zu verschiedenen Zeitpunkten verwirklichte Sachverhalte den verschiedenen Tatbildern, sondern auch in der Qualifikation unterschiedlichen subjektiven Tatbeständen, weil für die Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG der qualifizierte Vorsatz der Wissentlichkeit (dolus principalis) erforderlich ist, während zur Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG der bedingte Vorsatz (dolus eventualis) ausreicht.
Solcherart kommt der Finanzstrafbehörde zweiter Instanz in Ansehung dieser beiden Finanzvergehen keine Befugnis zur Auswechslung der "Sache" iSd § 161 Abs. 1 FinStrG zu (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , 2003/14/0086).
Dadurch dass die belangte Behörde die Beschwerdeführerin der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG hinsichtlich der Voranmeldungszeiträume der Jahre 1994 bis 1996 schuldig erkannte, während die Beschwerdeführerin mit dem vor der belangten Behörde bekämpften erstinstanzlichen Erkenntnis des Spruchsenates der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG hinsichtlich der Umsatzsteuer für die Verlangungszeiträume der Jahre 1994 bis 1996 schuldig erkannt worden war, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid somit insoweit mit Rechtswidrigkeit belastet.
Von im Beschwerdefall nicht bedeutsamen Ausnahmen (etwa § 143 Abs. 1 letzter Satz oder § 146 FinStrG) abgesehen, erfordert der Schuldspruch eines Finanzvergehens ein gegen einen Beschwerdeführer eingeleitetes Finanzstrafverfahren (vgl. zum Erfordernis der Einleitung des Strafverfahrens für die Erlassung einer Strafverfügung nach § 143 Abs. 1 FinStrG das erwähnte hg. Erkenntnis vom ).
Das diesem Erfordernis entsprechende Finanzstrafverfahren muss wegen der selben Sache im Sinn des § 161 Abs. 1 FinStrG eingeleitet gewesen sein, die Gegenstand des Schuldspruches ist.
Ist ein Finanzstrafverfahren lediglich wegen § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG eingeleitet worden, ohne dass das Strafverfahren auf den Verdacht nach § 33 Abs. 1 FinStrG ausgedehnt wurde oder wegen des letztgenannten Finanzvergehens ein eigenes Finanzstrafverfahren eingeleitet wurde (vgl. abermals das erwähnte hg. Erkenntnis vom ), ist ein Schuldspruch nach § 33 Abs. 1 FinStrG nicht rechtens.
Die Beschwerdeführerin trägt vor, im Einleitungsbescheid sei ihr lediglich die Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von Voranmeldungen und die Verkürzung von Vorauszahlungen an Umsatzsteuer angelastet worden. Im angefochtenen Bescheid werde ihr jedoch eine Abgabenhinterziehung wegen der nicht termingerechten Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen zur Last gelegt. Dabei handle es sich um ein völlig anderes Delikt.
Unterlässt die mit der Einleitung des Vorverfahrens vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 1 VwGG aufgeforderte Behörde, die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen, so kann der Verwaltungsgerichtshof, wenn er die Behörde auf diese Säumnisfolge vorher ausdrücklich hingewiesen hat, nach § 38 Abs. 2 VwGG auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers erkennen. Dies gilt insoweit auch bei nur teilweiser Aktenvorlage (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2002/15/0134, VwSlg 7.985/F)
Die belangte Behörde hat entgegen der unter ausdrücklichem Hindernis auf die Säumnisfolge des § 38 Abs. 2 VwGG ergangenen Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof die Akten des erstinstanzlichen Verfahrens nicht vorgelegt. Den vorgelegten Akten ist zwar das erwähnte Unzuständigkeitsurteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom , aber weder ein Bescheid über die Einleitung eines Finanzstrafverfahrens gegen die Beschwerdeführerin noch eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft enthalten.
Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass gegen die Beschwerdeführerin entsprechend ihrer Behauptung lediglich ein Finanzstrafverfahren wegen § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG eingeleitet wurde und dass das gerichtliche Finanzstrafverfahren lediglich wegen § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG geführt wurde.
Das nach dem erwähnten Unzuständigkeitsurteil (§ 214 FinStrG) des Landesgerichtes für Strafsachen Wien von der Finanzstrafbehörde geführte Finanzstrafverfahren wurde hinsichtlich des Jahres 1993 durch das einen Schuldspruch nach § 33 Abs. 1 FinStrG enthaltende Erkenntnis des Spruchsenates und nach Berufung gegen dieses Erkenntnis durch den ebenfalls einen Schuldspruch nach § 33 Abs. 1 FinStrG enthaltenden angefochtenen Bescheid beendet. Lag aber hinsichtlich des Streitjahres 1993 eine Einleitung eines Finanzstrafverfahrens wegen § 33 Abs. 1 FinStrG nicht vor, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auch insoweit mit Rechtswidrigkeit belastet.
Aus der Rechtswidrigkeit des Schuldspruches folgt auch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, soweit damit über die Beschwerdeführerin eine Strafe verhängt und die Kosten des Strafverfahrens bemessen wurden.
Der angefochtene Bescheid war daher im bekämpften Umfang, nämlich soweit er den Schuldspruch, den Strafausspruch und den Kostenausspruch betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes nach § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung der Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Im fortzusetzenden Verfahren wird hinsichtlich der Verfahrensdauer auch Art. 6 Abs. 1 EMRK zu beachten sein.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am