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VwGH vom 15.10.2015, Ro 2015/21/0005

VwGH vom 15.10.2015, Ro 2015/21/0005

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des E M, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, Zl. W147 2014310-1/21E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das genannte Erkenntnis wird in den Spruchpunkten A. II. und A. IV. sowie im Spruchpunkt A. III. insoweit, als der Antrag des Revisionswerbers auf Ersatz der Verfahrenskosten abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Marokkos, reiste am von Italien kommend, wo er (nach eigener Aussage vom ) bereits einen Asylantrag gestellt hatte, unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und beantragte die Gewährung von internationalem Schutz.

Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück. Es erklärte für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom (Dublin III-VO) Italien für zuständig. Weiters ordnete es gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte fest, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Italien zulässig sei.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom ordnete das BFA über den Revisionswerber gemäß Art. 28 der Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung an.

Begründend verwies das BFA darauf, dass der Revisionswerber keinen Wohnsitz im Bundesgebiet habe, hier über keine sozialen Anknüpfungspunkte verfüge und er keiner legalen Beschäftigung nachgehe. Er verfüge weder über Barmittel noch ein Einkommen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Auf Grund seines bisherigen Verhaltens und des Fehlens jeder Bereitschaft, sich an gesetzliche Vorgaben zu halten sowie nach Italien zurückzukehren, sei die Annahme berechtigt, er werde sich dem Verfahren durch Flucht iSd Art. 2 lit. n der Dublin III-VO entziehen.

Mit dem verfahrensgegenständlichen, am nach mündlicher Verhandlung verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG der gegen diesen Bescheid vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde statt und erklärte den Schubhaftbescheid des BFA vom sowie die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft vom 13. bis zum , 14.45 Uhr, für rechtswidrig (so der von der Revision unbekämpft gebliebene Spruchpunkt A. I.).

Weiters stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm Art. 28 der Dublin III-VO und § 76 Abs. 2a Z 6 iVm Abs. 2 Z 2 und 4 FPG fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A. II.). Es wies überdies die - von beiden Parteien gestellten - Anträge auf Ersatz von Verfahrenskosten ab (Spruchpunkt A. III.) und legte dem Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 Z 2 BFA-VG den Ersatz der Barauslagen (Dolmetscherkosten für die Sprache Arabisch) in der Verhandlung vom dem Grunde nach auf (Spruchpunkt A. IV.). Schließlich erklärte es die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig (Spruchpunkt B.)

Begründend führte das BVwG - auf das im vorliegenden Zusammenhang Wesentliche zusammengefasst - aus, das BFA habe die Zustellung seines im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz ergangenen Bescheides vom zu Unrecht durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorgenommen. Dies hätte zur Voraussetzung gehabt, dass eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden könne. Fallbezogen wäre es der Asylbehörde jedoch ohne besonderen Aufwand möglich gewesen, zu versuchen, mit dem Revisionswerber über eine im Akt aufscheinende und leicht auffindbare Telefonnummer in Kontakt zu treten und auf diesem Weg seine neue Abgabestelle zu ermitteln. Da das BFA die telefonische Kontaktaufnahme - vor der Hinterlegung ohne Zustellversuch - verabsäumt habe, erweise sich die auf § 8 Abs. 2 Zustellgesetz gestützte Zustellung durch Hinterlegung als unwirksam. Der Revisionswerber sei daher nach wie vor Asylwerber iSd § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005. Die über ihn verhängte Schubhaft habe sich somit zu Unrecht auf den Tatbestand des § 76 Abs. 1 FPG gestützt. Sie erweise sich daher im Zeitraum vom 13. bis zum , 14.45 Uhr, als rechtswidrig.

Sodann ging das BVwG vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 28 der Dublin III-VO und des § 76 Abs. 2a Z 6 iVm Abs. 2 Z 2 und 4 FPG aus und stellte iSd § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Der Revisionswerber sei, so argumentierte das BVwG, am illegal in das Bundesgebiet eingereist und bereits am "wegen eines Suchtmitteldelikts zur Anzeige gebracht" worden. Er verfüge in Österreich über keine Unterkunft, ebenso wenig über private, familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte, er sei mittellos und nicht erwerbstätig. In sämtlichen Befragungen habe er hervorgehoben, keinesfalls nach Italien zurückkehren zu wollen. Am habe er während des Zulassungsverfahrens bewusst die Erstaufnahmestelle verlassen, um seiner Abschiebung zu entgehen. Danach habe er keine Meldeadresse bekanntgegeben. Überdies habe er bewusst Falschangaben hinsichtlich seiner Identität (Alias-Namen) und Staatsangehörigkeit (Marokko bzw. Libyen) gemacht. Sein Gesamtverhalten zeige daher unmissverständlich, dass er nicht gewillt sei, Anordnungen der österreichischen Behörden freiwillig Folge zu leisten, sodass - zusammengefasst - Fluchtgefahr bestehe. "Frühere Delinquenz" könne das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung der Abschiebung maßgeblich vergrößern. Im Hinblick auf die genannten Umstände erweise sich die Entziehung der persönlichen Freiheit als nicht unverhältnismäßig, weil sich der Revisionswerber sonst dem behördlichen Zugriff entziehen oder diesen zumindest wesentlich erschweren würde.

Den Ausspruch über die Verfahrenskosten gründete das BVwG auf § 35 VwGVG und auf das nur teilweise Obsiegen des Revisionswerbers mit seiner Beschwerde. Die Pflicht zum Barauslagenersatz (im Umfang der Dolmetscherkosten) ergebe sich aus § 53 Abs. 1 und 4 BFA-VG iVm § 113 Abs. 1 Z 4 FPG.

Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG begründete das BVwG mit dem Fehlen von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsnatur der Schubhaftbeschwerde sowie zu damit im Zusammenhang stehenden Kostenfragen.

Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese mit Beschluss vom , E 11/2015, soweit sie sich (in diesem Verfahren auch) gegen die Spruchpunkte A. I. und B. wandte, zurückwies und die Behandlung der Beschwerde im Übrigen ablehnte.

Über die vorliegende, parallel dazu erhobene Revision gegen die Spruchpunkte A. II. bis A. IV. des genannten Erkenntnisses, hinsichtlich Spruchpunkt A. III. nach ihrem Gesamtinhalt erkennbar nur insoweit, als der Antrag des Revisionswerbers auf Ersatz der Verfahrenskosten abgewiesen wurde, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das BVwG (Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet) erwogen:

Im vorliegenden Fall wurde als innerstaatliche Rechtsgrundlage für die Aufrechterhaltung der Schubhaft § 76 Abs. 2a Z 6 FPG herangezogen. Nach dieser (durch das FrÄG 2011 eingefügten) Bestimmung konnte über einen Asylwerber Schubhaft verhängt werden, wenn er sich gemäß § 24 Abs. 4 AsylG 2005 ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hatte, soweit eine der Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 bis 4 des § 76 FPG vorlag, und die Schubhaft für die Sicherung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig war, es sei denn, dass besondere Umstände in der Person des Asylwerbers der Schubhaft entgegenstanden.

Der eben zitierte § 24 Abs. 4 AsylG 2005 (idF des FNG) lautete:

"(4) Ein Asylwerber entfernt sich ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle, wenn er

1. der Mitwirkungspflicht gemäß § 15 Abs. 3a unterliegt und nicht in der Erstaufnahmestelle angetroffen werden kann oder

2. trotz Aufforderung zu den ihm vom Bundesamt im Zulassungsverfahren gesetzten Terminen nicht kommt oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, er werde einen solchen Termin nicht einhalten, und er in der Erstaufnahmestelle nicht angetroffen werden kann.

Die Abwesenheit aus den in § 12 Abs. 2 Z 1 bis 3 genannten Gründen stellt kein ungerechtfertigtes Entfernen aus der Erstaufnahmestelle dar."

§ 76 Abs. 2a Z 6 FPG stellt unter anderem als zweite kumulativ geforderte Voraussetzung auf ein (Fehl )Verhalten des Asylwerbers (der sich ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat) ab. Allerdings hat das BVwG - in erkennbarer Verkennung der Rechtslage - nicht näher dargelegt, inwiefern die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 AsylG 2005 im konkreten Fall erfüllt sind. Die Annahme, es sei der Schubhafttatbestand nach § 76 Abs. 2a Z 6 FPG gegeben gewesen, ist daher nicht nachvollziehbar.

Schon aus diesem Grund ist in der vorliegenden Konstellation Spruchpunkt A. II. des angefochtenen Erkenntnisses mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Im Hinblick darauf kann auch die daran anknüpfende Kostenentscheidung laut Spruchpunkt A. III. insoweit, als der Antrag des Revisionswerbers auf Ersatz der Verfahrenskosten abgewiesen wurde (also im revisionsgegenständlichen Teil), keinen Bestand haben.

Im Umfang der Auferlegung von Dolmetscherkosten entspricht die vorliegende Konstellation derjenigen, die dem hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/21/0071, zu Grunde lag. In diesem Erkenntnis wurde näher dargelegt, dass sich die vom BVwG (auch hier im Spruch) herangezogenen Bestimmungen als nicht geeignet erweisen, die gegenüber dem Revisionswerber dem Grunde nach vorgenommene Auferlegung der Kosten des in der Beschwerdeverhandlung vom BVwG beigezogenen Dolmetschers zu rechtfertigen. Des Näheren wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das genannte Erkenntnis vom , Punkt 2. der Entscheidungsgründe, verwiesen.

Aus den dort angestellten Überlegungen war auch Spruchpunkt A. IV. des hier angefochtenen Erkenntnisses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Von der Durchführung der vom Revisionswerber beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

Wien, am