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VwGH vom 18.10.2012, 2011/23/0449

VwGH vom 18.10.2012, 2011/23/0449

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/330519/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am illegal nach Österreich ein. Sein Asylantrag vom selben Tag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen und der dagegen erhobenen Berufung vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom keine Folge gegeben. Mit Beschluss vom lehnte der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde - der zunächst aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war - ab.

Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen, am geborenen Sohn, beide österreichische Staatsbürger, im gemeinsamen Haushalt.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

In ihrer Begründung ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer seit Dezember 2005 mit seiner Lebensgefährtin - die aus einer früheren Ehe einen weiteren, am geborenen Sohn habe - an der gleichen Adresse in Wien gemeldet sei und im gemeinsamen Haushalt lebe. Der Beschwerdeführer weise drei Vormerkungen wegen "schwerwiegender" Verwaltungsübertretungen - im Zusammenhang mit einem gegen ihn verhängten Betretungsverbot - auf, wegen welcher jeweils Geldstrafen verhängt worden seien. Er habe in Österreich keine weiteren familiären Bindungen, während nach seinen Angaben im Asylverfahren in seinem Heimatstaat noch eine Schwester lebe.

Rechtlich beurteilte die belangte Behörde dies zusammengefasst dahin, dass der Beschwerdeführer wegen seines seit Oktober 2008 unrechtmäßigen Aufenthalts in Österreich gemäß § 53 Abs. 1 FPG ausgewiesen werden könne. Bei der Interessenabwägung nach § 66 FPG sei sein etwa fünfjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet maßgeblich, der zum Großteil jedoch nur auf einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz beruht habe und zuletzt elf Monate überhaupt unrechtmäßig gewesen sei. Es liege in Österreich ein "maßgebliches Familienleben" vor, das jedoch zu einem Zeitpunkt entstanden sei, in dem sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen. Der Beschwerdeführer sei strafrechtlich unbescholten, weise aber Vormerkungen wegen der erwähnten Verwaltungsübertretungen auf. Eine berufliche Integration sei zwar behauptet worden, könne aber legal nicht vorliegen. Sowohl eine selbständige wie auch eine unselbständige legale Tätigkeit bedürften nämlich nach den §§ 32, 33 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz einer Aufenthaltsberechtigung. Bindungen zum Heimatstaat würden - abgesehen von der dort lebenden Schwester - nicht mehr bestehen.

Die vorzunehmende Abwägung falle zum Nachteil des Beschwerdeführers aus. Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Die Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses sei unter Berücksichtigung aller Umstände von solchem Gewicht, dass die vorhandenen gegenläufigen privaten (vor allem familiären) Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (September 2009) geltende Fassung.

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass sein Asylverfahren rechtskräftig beendet ist. Er bringt jedoch vor, dass bereits eine rechtskräftige Entscheidung über das "Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Ausweisung" bestehe. Das für eine Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 idF der Asylgesetz-Novelle 2003 zuständige Bundesasylamt habe nämlich eine solche (mit näherer Begründung) unterlassen. Die Rechtskraft dieser Entscheidung stehe einer Ausweisung durch die Fremdenpolizeibehörden mangels maßgeblicher Sachverhaltsänderung zum Nachteil des Beschwerdeführers entgegen.

Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass dem FPG keine Einschränkung dahin zu entnehmen ist, dass die Ausweisungsbestimmung des § 53 Abs. 1 FPG nach Abschluss des Asylverfahrens nicht auf Fremde angewendet werden dürfte, gegen die mit der asylrechtlichen Entscheidung ein Abspruch betreffend die Ausweisung zu verbinden (gewesen) wäre, dies aber unterblieben ist. Demnach kann auch nicht davon ausgegangen werden, der Fremdenpolizeibehörde sei hier keine Zuständigkeit zur Erlassung einer Ausweisung zugekommen. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage einer rechtskräftig entschiedenen Sache im Sinn des § 68 AVG nicht, wurde doch unbestritten im Spruch der asylrechtlichen Entscheidung nicht in rechtskraftfähiger Form über eine Unzulässigkeit der Ausweisung auf Dauer abgesprochen (vgl. zum Ganzen das Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0187; der Sache nach ebenso das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0001).

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0326).

Die Beschwerde erweist sich in diesem Zusammenhang schon deshalb als berechtigt, weil die belangte Behörde die aus § 66 Abs. 3 letzter Satz FPG hervorgehende erkennbare besondere Wertung in Bezug auf Angehörige von österreichischen Staatsbürgern nicht gebührend beachtet hat (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0109). Vor diesem Hintergrund hat die belangte Behörde eine unzureichende Auseinandersetzung mit den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen an seinem Verbleib in Österreich durchgeführt und es in offensichtlicher Verkennung der rechtlichen Notwendigkeit unterlassen, nähere Feststellungen zu deren Lebensverhältnissen zu treffen und sich auf dieser Basis mit den konkreten Auswirkungen einer Ausweisung auf die Situation vor allem seines Sohnes, eines österreichischen Staatsbürgers, auseinanderzusetzen. Deren Unterbleiben kann nicht allein durch den Verweis auf die Unsicherheit des Aufenthalts sowie dadurch substituiert werden, dass die belangte Behörde den Umstand hervorhob, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden betreffenden Regelungen und deren Befolgung aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0183, mwN).

In ihrer Begründung überging die belangte Behörde im Übrigen, dass bereits vor Erlassung des erstinstanzlichen Asylbescheids nicht nur die Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers entstand, sondern auch sein Sohn geboren wurde. Weiters fehlt jede Auseinandersetzung mit der - wenn auch nur in der Begründung des Bescheids vom wiedergegebenen - Ansicht des Bundesasylamtes, eine Ausweisung würde einen (unzulässigen) Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben des Beschwerdeführers bedeuten (siehe auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0001, mwN).

Die belangte Behörde ging zudem auf Teile des Vorbringens des Beschwerdeführers wie das Absolvieren von Deutschkursen und sein Engagement in einem Verein überhaupt nicht ein und traf zu seiner (vormaligen) Berufstätigkeit keine näheren Feststellungen. Sie gewährte dem Beschwerdeführer schließlich zu den von ihr erstmals herangezogenen Verwaltungsübertretungen und deren Hintergründen kein rechtliches Gehör.

Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am