VwGH vom 21.03.2013, 2011/23/0444
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Robl, Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des V in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/48.063/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der seit 1987 im Bundesgebiet befindliche Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, verfügt seit über einen Niederlassungsnachweis. Seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin wurde vor Erlassung des angefochtenen Bescheides geschieden.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung des Aufenthaltsverbots stützte sich die belangte Behörde auf insgesamt acht - im angefochtenen Bescheid näher dargestellte - strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers vorwiegend wegen (teilweise: schwerer) Körperverletzung und zuletzt (im Dezember 2005) überdies wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt. Zudem sei der Beschwerdeführer - so führte die belangte Behörde weiter aus - wegen schwer wiegender Verwaltungsübertretungen nach der Straßenverkehrsordnung und dem Kraftfahrgesetz sowie wegen einer Übertretung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz rechtskräftig bestraft worden.
Rechtlich kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass auf Grund der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. Sein Gesamtfehlverhalten gefährde überdies die öffentliche Ordnung und Sicherheit in hohem Maße, weshalb auch die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme als gerechtfertigt erscheine. Der Erlassung eines Aufenthaltsverbots würden auch die "aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen" der §§ 56 und 61 FPG nicht entgegenstehen.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG stellte die belangte Behörde auf die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich und darauf ab, dass seine Ehe, der zwei Kinder entstammen würden, mittlerweile geschieden sei. Der Beschwerdeführer sei mit "doch eher längeren Unterbrechungen" einer Beschäftigung nachgegangen. Derzeit beziehe er Arbeitslosengeld. Im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt in Österreich, die familiären Bindungen und die von ihm ausgeübten Beschäftigungen ging die belangte Behörde davon aus, dass mit dem Aufenthaltsverbot ein "nicht unbeträchtlicher" Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei. Dessen ungeachtet erachtete sie diese Maßnahme im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG als zulässig, weil angesichts der den Verurteilungen zugrunde liegenden Straftaten und der darin zum Ausdruck kommenden Missachtung der körperlichen Integrität Dritter das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe durch sein strafbares Verhalten augenfällig dokumentiert, dass er nicht in der Lage oder gewillt sei, die zum Schutz maßgeblicher Rechtsgüter aufgestellten Normen einzuhalten. So sei er bereits im April 1988 unter anderem wegen Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden. Dies habe ihn nicht davon abhalten können, im Verlauf der weiteren Jahre erneut und noch dazu mehrfach einschlägig straffällig zu werden. Sein zur letzten Verurteilung führendes Fehlverhalten liege daher noch keineswegs so lange zurück, dass auf Grund des seither verstrichenen Zeitraums auf einen Wegfall oder eine entscheidende Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr für die im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen ausgegangen werden könne. Daran ändere auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer sich wegen seines Alkoholmissbrauchs in ärztlicher Behandlung befinde und nunmehr abstinent sei, nichts. Da selbst eine Verwarnung durch die Erstbehörde ihn nicht zum Einhalten der Rechtsvorschriften habe veranlassen können, sei für ihn derzeit eine "positive Gefährdungsprognose" nicht möglich. Seine Integration erfahre zudem in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die von ihm begangenen Straftaten eine Minderung.
Bei Abwägung dieser Interessenlagen kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wiegen würden als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von dieser Maßnahme. Angesichts des öffentlichen Interesses an der Beendigung seines Aufenthalts habe er die mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Auswirkungen auf seine Lebenssituation in Kauf zu nehmen.
Die belangte Behörde verneinte schließlich mangels besonderer, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände auch die Möglichkeit, im Rahmen des Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand nehmen zu können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (August 2009) geltende Fassung.
Der Beschwerdeführer, der unstrittig die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid näher festgestellten strafgerichtlichen Verurteilungen aufweist, wendet gegen die von der belangten Behörde verneinte Möglichkeit einer positiven Zukunftsprognose ein, dass die letzte Verurteilung bereits nahezu vier Jahre zurückliege und er sich seither wohlverhalten habe. "Nahezu sämtliche" gerichtliche Verurteilungen seien darauf zurückzuführen, dass er alkoholisiert gewesen sei. Er habe sich vor nunmehr vier Jahren in ärztliche, medikamentöse Behandlung begeben und trinke seither keinen Alkohol mehr.
Der Beschwerde ist in diesem Zusammenhang zwar zuzugestehen, dass die letzte Verurteilung des Beschwerdeführers bei Erlassung des angefochtenen Bescheids bereits beinahe vier Jahre zurücklag. Im konkreten Einzelfall ist es jedoch nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde diesen Zeitraum als noch zu kurz ansah, um einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung anzunehmen. So setzte der Beschwerdeführer in einem Zeitraum von etwa 17 Jahren eine erhebliche Zahl von Straftaten. Auch wenn zwischen den Verurteilungen teilweise längere Zeiträume lagen, ließ sich der Beschwerdeführer letztlich weder durch die Androhung aufenthaltsbeendender Maßnahmen noch durch die strafgerichtlichen Verurteilungen selbst dauerhaft davon abhalten, sein - mehrfach einschlägiges - deliktisches Verhalten durch das Begehen (vor allem) weiterer Gewaltdelikte fortzusetzen. Sein strafbares Verhalten steigerte sich in seiner Intensität überdies merkbar, sodass die Beurteilung der belangten Behörde, die seit der letzten Verurteilung verstrichene Zeit des Wohlverhaltens sei fallbezogen als noch zu kurz zu beurteilen, nicht zu beanstanden ist. Im Hinblick auf das sehr lange und teilweise durch besondere Aggressivität gekennzeichnete Fehlverhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit musste aber auch trotz der von ihm begonnenen Therapie betreffend Alkoholmissbrauch und seiner nunmehr bestehenden Abstinenz - Umstände die im angefochtenen Bescheid im Übrigen ohnedies berücksichtigt wurden - noch nicht von einem dauerhaften Gesinnungswandel ausgegangen werden.
Im Übrigen wendet sich die Beschwerde unter Hinweis auf den langen und rechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers aufgrund eines unbefristeten Aufenthaltstitels sowie seine "erhebliche Integration" gegen die von der belangten Behörde nach § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung. Sie führt dazu auch aus, dass die beiden Kinder des Beschwerdeführers im Alter von 21 und 20 Jahren in Österreich lebten.
Diese Umstände wurden von der belangten Behörde im Rahmen ihrer Interessenabwägung jedoch ohnedies ausreichend berücksichtigt, weshalb sie auch davon ausging, dass mit dem Aufenthaltsverbot ein "nicht unbeträchtlicher Eingriff" in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei. Die familiäre Bindung zu den Kindern ist jedoch bereits auf Grund der Volljährigkeit der Beteiligten und der fehlenden Haushaltsgemeinschaft zu relativieren. Mit der belangten Behörde ist weiters festzuhalten, dass im Fall des Beschwerdeführers seine Integration infolge der Aufenthaltsdauer schon dadurch als gemindert anzusehen ist, dass er in dieser Zeit insgesamt achtmal, davon überwiegend wegen Gewaltdelikten, die sich gegen Leib und Leben bzw. die Freiheit anderer aber auch gegen die Staatsgewalt richteten, verurteilt wurde.
Mit dem - offenbar aus der Berufung übernommenen - Vorbringen, dass der Beschwerdeführer in Österreich berufstätig sei und ein Monatseinkommen von rund EUR 1.200,-- netto erziele, zeigt die Beschwerde eine Unrichtigkeit der gegenteiligen Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht auf. So kann sich die Feststellung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer zuletzt Arbeitslosenunterstützung bezogen habe, auf den im Akt erliegenden Sozialversicherungsdatenauszug stützen. Gründe, weshalb dieser unrichtig sein sollte, werden nicht dargelegt.
Die belangte Behörde hat daher auf die aktenkundigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers ausreichend Bedacht genommen. Diesen persönlichen Interessen stellte sie jedoch zu Recht die aus den strafbaren Handlungen resultierende Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Straftaten der vorliegenden Art gegenüber. Wenn die belangte Behörde daher zum Ergebnis gelangte, dass das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie zum Schutz der körperlichen Integrität Dritter - somit zur Erreichung im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Ziele - dringend geboten und daher auch zulässig im Sinn des § 66 FPG sei, erweist sich dies nicht als rechtswidrig.
Die Beschwerde zeigt schließlich auch keine Gründe auf, wonach das Ermessen durch die belangte Behörde nicht in gesetzmäßiger Weise ausgeübt worden wäre.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am