VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0443
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Aleksa Paunovic, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. E1/2461/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen 1983 geborenen Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, gemäß § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Die belangte Behörde zog zur Begründung dieser Maßnahme die Urteile des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom und des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom heran, mit welchen der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen des schweren und gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2, 148 erster Fall StGB bzw. des gewerbsmäßig schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z 3 und Abs. 2, 148 zweiter Fall StGB zunächst zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten - davon neun Monate bedingt - und anschließend zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden sei. Den Urteilen seien vom Beschwerdeführer zwischen November 2007 und April 2008 begangene - im angefochtenen Bescheid näher dargestellte - Betrugsdelikte zugrunde gelegen.
Der Beschwerdeführer halte sich seit Mai 1993 "legal" im Bundesgebiet auf und sei mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Mit dieser, seinen zwei - 2007 und 2008 geborenen - minderjährigen Kindern, die ebenfalls österreichische Staatsbürger seien, und seinen im Bundesgebiet niedergelassenen Eltern lebe er im gemeinsamen Haushalt. Er habe zuletzt über eine bis gültige Niederlassungsbewilligung verfügt.
Rechtlich führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der maßgeblichen Bestimmungen des FPG aus, dass die Tathandlungen der vom Beschwerdeführer begangenen schweren Betrugsdelikte dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität massiv zuwider liefen. Sein Fehlverhalten sei daher als außerordentlich gravierend und als eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit einzustufen. Selbst seine Berufstätigkeit und seine Familie hätten ihn bisher nicht von der Begehung der Straftaten abgehalten; sein Wohlverhalten seit der Haftentlassung im April 2009 sei noch zu kurz, um bereits eine günstige Gefährdungsprognose für ihn erstellen zu können. Die Erlassung des Aufenthaltsverbots sei somit auch unter Zugrundelegung des § 86 Abs. 1 FPG gerechtfertigt und zur Erreichung der Ziele des Art. 8 Abs. 2 EMRK, vor allem zum Schutz der Rechte und des Vermögens anderer, dringend geboten.
Die belangte Behörde führte weiter aus, dass sie das vom Beschwerdeführer im November 2007 erstmalig begangene Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Betruges als den für die Verhängung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Sachverhalt einstufe, nicht jedoch seine beiden zuvor (in den Jahren 2001 und 2004) begangenen Diebstähle. Dabei habe es sich um vergleichsweise geringfügige Delikte gehandelt und es sei zwischen dem letzten Diebstahl und der ersten Betrugshandlung ein Zeitraum von knapp über drei Jahren gelegen. Dennoch stehe § 61 Z 3 FPG einem Aufenthaltsverbot nicht entgegen, weil dem Beschwerdeführer wegen der Verurteilung aus dem Jahr 2005 die Staatsbürgerschaft nicht hätte verliehen werden können. Wegen seiner Einreise in das Bundesgebiet erst im Alter von knapp zehn Jahren sei der Beschwerdeführer auch nicht von klein auf im Inland aufgewachsen, sodass auch § 61 Z 4 FPG nicht anzuwenden sei.
Des Weiteren stellte die belangte Behörde dar, weshalb die Erlassung des Aufenthaltsverbots ihrer Ansicht nach auch gemäß § 66 FPG zulässig sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (August 2009) geltende Fassung.
Gegen den Beschwerdeführer als Familienangehörigen einer Österreicherin, die ihr Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Hatte der Fremde vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts seinen Aufenthalt ununterbrochen seit über zehn Jahren im Bundesgebiet, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots (nur mehr) zulässig, wenn im Sinn des fünften Satzes dieser Bestimmung - auf Grund seines persönlichen Verhaltens - davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
Die Wortfolge "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" im fünften Satz der Bestimmung des § 86 Abs. 1 FPG - ob sie in der Freizügigkeits-Richtlinie Deckung fände, ist hier nicht zu prüfen - ist so zu verstehen, dass darunter der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbots herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, zu verstehen ist (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0418, mwN).
Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0215, festgestellt hat, legt § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG bezüglich der für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erforderlichen (negativen) Zukunftsprognose einen gegenüber den ersten Sätzen der genannten Bestimmung deutlich strengeren Maßstab an (vgl. grundlegend zum System der abgestuften Gefährdungsprognosen im FPG das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603).
Die belangte Behörde hat das gegenständliche Aufenthaltsverbot ausschließlich auf die (als nur eine Verurteilung geltenden - siehe das Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0153, mwN) Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen beginnend mit November 2007 begangener Betrugsdelikte gestützt und ausdrücklich nur die diesen Urteilen zugrunde liegenden Tathandlungen des Beschwerdeführers als den für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Sachverhalt angesehen. Sie hat in diesem Zusammenhang jedoch - wie die Beschwerde der Sache nach zutreffend aufzeigt - außer Acht gelassen, dass sich der Beschwerdeführer nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid bereits seit Mai 1993 rechtmäßig in Österreich aufgehalten hat. Die Zulässigkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbots wäre daher am Maßstab des § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG zu prüfen gewesen (vgl. auch das Erkenntnis vom , Zl. 2008/18/0519).
Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war somit schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-93858