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VwGH vom 18.10.2012, 2011/23/0441

VwGH vom 18.10.2012, 2011/23/0441

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/146963/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer über seinen Antrag vom eine Aufenthaltserlaubnis "Ausbildung, § 7 Abs. 4 Z 1 FrG" mit einer Gültigkeit vom bis zum erteilt worden sei. Seinem Antrag sei ein Bescheid der Universität Wien vom beigelegt gewesen, wonach er unter der Voraussetzung des Nachweises der Kenntnis der deutschen Sprache zum Wintersemester 2004 für die Studienrichtung Chemie zugelassen werde. Über seine Anträge vom und vom sei der Aufenthaltstitel verlängert worden. Der - nicht mehr als sechs Monate verspätet eingebrachte - Verlängerungsantrag vom sei vorläufig nicht erledigt und eine Verständigung nach § 25 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) an die Fremdenpolizei erstattet worden.

Die belangte Behörde führte weiter aus, dass der seit im Bundesgebiet behördlich gemeldete Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in seiner Berufung oder in dem ergänzenden Schriftsatz vom glaubhaft gemacht oder nachgewiesen habe, dass er die im Zulassungsbescheid der Universität Wien als Studienvoraussetzung genannte Ergänzungsprüfung aus Deutsch absolviert habe. Die vorgelegten Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen könnten die Abschlussprüfung des Universitätslehrgangs nicht ersetzen. Der Beschwerdeführer sei nach seinem Vorbringen ab dem Wintersemester 2008 an der Fachhochschule "Technikum Wien" inskribiert und habe im Jänner 2009 fünf Prüfungen des Studiengangs "Biomedical Engineering Sciences" bestanden. Im Rahmen seiner Ausbildung werde er vom 16. März bis zum ein Praktikum bei der IAEA absolvieren.

Nach Darstellung der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer den von ihm zu erwartenden Studienerfolg nicht erbracht habe. Er habe nicht nachgewiesen, dass er die bis zum zu absolvierende Ergänzungsprüfung "Deutsch" abgelegt habe. Offensichtlich habe er sein Vorhaben, an der Universität Wien Chemie zu studieren, mangels Erfüllung der Zulassungsvoraussetzung aufgeben müssen. Ab sei er an der Fachhochschule "Technikum Wien" inskribiert, wo - nach seinen Angaben - in englischer Sprache studiert werden könne. Der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Heimreise wegen eines "familiären Notfalls" am komme keine maßgebliche Bedeutung zu, weil er zu diesem Zeitpunkt die Ergänzungsprüfung aus Deutsch längst zu absolvieren gehabt habe. Der Beschwerdeführer habe schließlich für den maßgeblichen Zeitraum 2006 bis 2007 auch keine Gründe vorgebracht, die seiner Einflusssphäre entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar gewesen seien und trotz Fehlens des Studienerfolgs zu einer Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung hätten führen können.

Angesichts der strengen Zweckbindung der zu erteilenden Aufenthaltstitel bestehe kein Zweifel daran, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers, der nicht imstande gewesen sei, innerhalb von drei Semestern die für das von ihm inskribierte Studium erforderliche Deutschprüfung abzulegen, den im § 11 Abs. 2 Z 1 NAG genannten öffentlichen Interessen in Form der Gefährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere im Bereich des Fremdenpolizei- und Aufenthaltswesens, in erheblichem Ausmaß widerstreite.

Der Beschwerdeführer habe weder berufliche noch familiäre Bindungen im Bundesgebiet, jedoch weiterhin familiäre Bindungen in Nigeria. Aus der Dauer seines Aufenthalts sei im Zusammenhalt mit seinen mangelnden Deutschkenntnissen keine starke Integration abzuleiten. Die Ausweisung des Beschwerdeführers sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und daher zulässig; das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiege seine persönlichen Interessen am weiteren Aufenthalt in Österreich. An dieser Einschätzung könne auch die Tatsache nichts ändern, dass der Beschwerdeführer nunmehr seit einigen Monaten, bis jetzt erfolgreich, einem Masterstudium nachgehe, wofür die Kenntnis der deutschen Sprache (angeblich) kein Erfordernis sei, und er vom 16. März bis zum ein Praktikum bei der IAEA absolviere.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG und des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt maßgebliche Fassung der genannten Gesetze.

Die belangte Behörde wendet in ihrer Gegenschrift zunächst die Verspätung der Beschwerde ein, weil der angefochtene Bescheid bereits am an den (vormaligen) Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zugestellt worden sei. Die Erstbehörde, der am die Vollmachtsaufkündigung mitgeteilt worden sei, sei zu diesem Zeitpunkt für das - im Berufungsstadium befindliche -

Ausweisungsverfahren nicht mehr zuständig gewesen. Sie hätte die Vollmachtsauflösung daher iSd § 6 Abs. 1 AVG an die Berufungsbehörde weiterzuleiten gehabt. Dies sei erst am , somit nach der erwähnten Zustellung des angefochtenen Bescheids, erfolgt. Lediglich "vorsichtshalber" sei eine neuerliche Zustellung des angefochtenen Bescheids an den Beschwerdeführer veranlasst worden und am erfolgt.

Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass vor der Erlassung des Berufungsbescheides bei der Erstbehörde eingelangte Berufungsergänzungen von der Berufungsbehörde zu berücksichtigen sind (vgl. das Erkenntnis vom , VwSlg. 16465 A/2004), sodass auch auf die vor Erlassung der Berufungsentscheidung eingelangte Anzeige der Vollmachtsauflösung von der belangten Behörde Bedacht zu nehmen war (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2007/02/0376, mwN). Die erste Zustellung des angefochtenen Bescheids erfolgte daher nicht rechtswirksam; die vorliegende Beschwerde erweist sich somit als rechtzeitig.

Die Beschwerde richtet sich vorwiegend gegen die behördliche Ansicht, dass kein ausreichender Studienerfolg vorgelegen sei. Der Beschwerdeführer habe bis zur Erlassung des bekämpften Bescheids einen Studienerfolg im Ausmaß von insgesamt 52 ECTS-Punkten (im Fachhochschulstudium) erzielt; 30 ECTS-Punkte davon im Jänner 2009. Es falle der belangten Behörde zur Last, dass sie - insbesondere in Anbetracht der "mehrmonatigen Zeitspanne zwischen Fassung und Erlassung" des bekämpften Bescheids - zum erzielten Studienerfolg keine ergänzenden Ermittlungen vorgenommen habe. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer sich im zunächst beabsichtigten Studium nicht zurechtgefunden und dort erfolglos geblieben sei und deshalb eine andere Studienrichtung eingeschlagen habe, lasse sich kein negativer Rückschluss im Sinn des Versagungsgrunds nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG ziehen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde im Ergebnis einen relevanten Verfahrensmangel auf:

Der Beschwerdeführer verfügte unstrittig über (zuletzt bis verlängerte) Aufenthaltstitel zum Zweck des Studiums. Sein am - und damit nicht mehr als sechs Monate nach dem Ende der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels - gestellter Antrag galt gemäß § 24 Abs. 2 NAG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 als Verlängerungsantrag. Während des Verlängerungsverfahrens konnte der Beschwerdeführer gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 FPG ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund im Sinn des Fehlens einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 1 oder 2 NAG entgegenstand (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0293, mwN).

Gemäß § 64 Abs. 3 NAG ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck eines ordentlichen oder außerordentlichen Studiums nur zulässig, wenn der Fremde nach den maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften einen Studienerfolgsnachweis der Universität, Fachhochschule oder akkreditierten Privatuniversität erbringt. Dazu ist gemäß § 8 Z 7 lit. b NAG-DV ein schriftlicher Nachweis - insbesondere ein Studienerfolgsnachweis gemäß § 75 Abs. 6 Universitätsgesetz 2002 - über den Studienerfolg im vorangegangenen Studienjahr vorzulegen.

Anders stellt sich die Sach- und Rechtslage nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch dar, wenn aufgrund der Dauer des Verlängerungsverfahrens bereits ein weiteres Studienjahr verstrichen ist. In einem solchen Fall ist es - im Sinn eines aktualitätsbezogenen Studienerfolgs - zum einen der Behörde nicht verwehrt, einen Erfolgsnachweis für das zuletzt abgelaufene Studienjahr zu fordern. Zum anderen ist es aber auch dem Fremden möglich, die Verlängerungsvoraussetzung dadurch nachzuweisen, dass er einen Erfolgsnachweis für das jüngst abgelaufene Studienjahr erbringt (siehe dazu das Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0036).

Der vorliegende Fall zeichnet sich nun dadurch aus, dass der Beschwerdeführer - auch nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid - mit Beginn des Studienjahrs 2008/2009 einen Studienwechsel vollzog. Der Beschwerdeführer wies in diesem Zusammenhang bereits im Verwaltungsverfahren einerseits darauf hin, dass für das nunmehr verfolgte Fachhochschulstudium die Ablegung einer Deutschprüfung keine Zulassungsvoraussetzung wäre, weil in englischer Sprache studiert werden könne. Andererseits brachte er schon in seiner Berufung vom vor, dass er in diesem Studiengang bis Jänner 2009 bereits fünf Prüfungen positiv absolviert habe.

Auch die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass der Beschwerdeführer nunmehr "erfolgreich" einem Masterstudium nachgehe. Sie meinte jedoch, dass es darauf entscheidungswesentlich nicht ankomme, weil der Beschwerdeführer die Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG, wonach der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen (iSd § 11 Abs. 4 Z 1 NAG) widerstreiten darf, deshalb nicht erfülle, weil er das Absolvieren der Ergänzungsprüfung aus Deutsch - eine Studienvoraussetzung für das ursprünglich angestrebte Studium der Chemie an der Universität Wien - nicht nachgewiesen habe.

Diese Auffassung der belangten Behörde greift jedoch im vorliegenden Fall - jedenfalls im Hinblick auf den erfolgten Studienwechsel - aus den oben dargestellten Gründen zu kurz. Die belangte Behörde hätte daher nicht allein darauf abstellen dürfen, dass der Beschwerdeführer die - im ursprünglich angestrebten Universitätsstudium eine Zulassungsvoraussetzung darstellende - Deutschergänzungsprüfung nicht abgelegt habe. Sie hätte vielmehr im Sinn des Nachweises eines aktualitätsbezogenen Studienerfolgs nähere Feststellungen zum Ausmaß der vom Beschwerdeführer im Fachhochschulstudium positiv absolvierten Prüfungen zu treffen gehabt, der nach dem Beschwerdevorbringen schon vor Beendigung des Studienjahres 2008/2009 im mehr als notwendigen Umfang erbracht worden sei.

Indem die belangte Behörde konkrete Feststellungen zu einem aktuell vorliegenden Studienerfolg des Beschwerdeführers im Fachhochschulstudium unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am