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VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0435

VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0435

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2011/23/0436

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der 1. X und

2. I, beide in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/237.558/2009 (ad 1., hg. Zl. 2011/23/0435) und Zl. E1/237.535/2009 (ad 2., hg. Zl. 2011/23/0436), jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerinnen sind georgische Staatsangehörige; die 1999 geborene Erstbeschwerdeführerin ist die Tochter der Zweitbeschwerdeführerin.

Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am beantragte die Zweitbeschwerdeführerin am die Gewährung von Asyl; die Erstbeschwerdeführerin stellte einen Asylerstreckungsantrag. Die Anträge wurden im Instanzenzug mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom bzw. vom rechtskräftig abgewiesen. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom ab.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden vom wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerinnen gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Zur Begründung führte die belangte Behörde in diesen Bescheiden im Wesentlichen inhaltsgleich aus, dass die Beschwerdeführerinnen während ihrer Asylverfahren nach dem Asylgesetz vorläufig zum Aufenthalt berechtigt gewesen seien. Sie hätten jedoch zu keiner Zeit über Aufenthaltstitel verfügt und seien nach Abschluss der Asylverfahren unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Die Beschwerdeführerinnen hielten sich seit "mehr als siebeneinhalb" Jahren in Österreich auf. Die Erstbeschwerdeführerin habe im Bundesgebiet familiäre Bindungen zu ihren Eltern und einer Schwester; die Zweitbeschwerdeführerin zu ihrem Ehemann und den zwei gemeinsamen Kindern.

Die belangte Behörde ging daher - im Rahmen der gemäß § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung - von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerinnen aus. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - dringend geboten. Der aus dem mehrjährigen inländischen Aufenthalt ableitbaren Integration komme nämlich nur ein eingeschränktes Gewicht zu, weil die Beschwerdeführerinnen nur über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz im Hinblick auf ihre - letztlich unberechtigten - Asylanträge verfügt hätten. Seither hielten sie sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Ihre familiären Bindungen würden dadurch wesentlich geschmälert, dass sich auch ihre Angehörigen unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten. Vor diesem Hintergrund hätten die privaten und familiären Interessen gegenüber den - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens in den Hintergrund zu treten. So hätten die Beschwerdeführerinnen durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich nach rechtskräftiger Abweisung ihrer Asylanträge die Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) in gravierender Weise missachtet. Eine Legalisierung ihres Aufenthalts könne gemäß § 21 NAG jedoch nur vom Ausland aus erwirkt werden. Es falle deshalb auch nicht wesentlich ins Gewicht, dass sich die Familie während ihres Aufenthalts Deutschkenntnisse angeeignet und die Zweitbeschwerdeführerin eine Ausbildung zur Pflegehelferin absolviert habe, oder dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich die Schule besuche und - wie ihre Schwester - in die "Kirchengemeinschaft" integriert sei. Die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerinnen und ihrer Familie würden keinesfalls schwerer wiegen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen.

Die Gesundheitsprobleme der Zweitbeschwerdeführerin seien weder lebensbedrohlich noch benötige sie lebensnotwendig eine Heilbehandlung in Österreich. Wegen des Fehlens besonderer Umstände könne ein weiterer Aufenthalt der Beschwerdeführerinnen auch im Rahmen des der belangten Behörde eingeräumten Ermessens nicht in Kauf genommen werden.

Gegen diese Bescheide richtet sich die gegenständliche Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof die angefochtenen Bescheide auf Basis der Sach- und Rechtslage bei ihrer Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Juli 2009) geltende Fassung.

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerdeführerinnen gestehen zu, dass ihre Asylverfahren rechtskräftig negativ beendet sind und ihnen keine Aufenthaltstitel erteilt wurden. Die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei erfüllt, erweist sich daher nicht als rechtswidrig.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0458).

In diesem Zusammenhang kritisiert die Beschwerde zusammengefasst u.a., dass sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit den privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerinnen und ihrer Familienmitglieder befasst und diesen nicht das entsprechende Gewicht eingeräumt habe.

Zunächst wird releviert, dass nur die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin ausgewiesen worden seien, nicht aber auch ihr Vater bzw. Ehemann und die Schwester bzw. Tochter, was eine Trennung der Familie zur Folge haben werde.

Weiters wird in der Beschwerde ausgeführt, dass die Familie sich bereits seit rund sieben Jahren - und im Hinblick auf die Asylverfahren auch rechtmäßig - im Bundesgebiet aufhalte. Die Familie sei in Österreich hervorragend integriert und verfüge über intensive private Bindungen, was sich auch an Hand der vorgelegten Empfehlungsschreiben unterschiedlichster Stellen und Personen zeige. Es sei ihnen nicht nur gelungen, sehr gute Deutschkenntnisse zu erwerben, sondern die Zweitbeschwerdeführerin verfüge - wie ihr Ehemann - auch über das zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung erforderliche "A2-Sprachdiplom". Die Zweitbeschwerdeführerin habe während ihres Aufenthalts in Österreich eine Ausbildung zur Pflegehelferin absolviert; ihr Ehemann verkaufe Zeitungen. Eine andere Beschäftigung sei - trotz potenzieller Arbeitgeber - mangels arbeitsmarktrechtlicher Bewilligung nicht möglich gewesen. Die bereits als Kleinkind nach Österreich eingereiste Erstbeschwerdeführerin könne hervorragende Schulnoten vorweisen. Sie spreche wie ihre 2003 in Wien geborene Schwester, worauf bereits in der Berufung hingewiesen worden sei, praktisch ausschließlich Deutsch. Sämtliche Familienmitglieder seien strafgerichtlich unbescholten. Eine Bindung zum Heimatstaat bestehe nicht mehr.

Die Beschwerdeführerinnen sind insofern im Recht, als den angefochtenen Bescheiden nicht zu entnehmen ist, dass die belangte Behörde auf die fallbezogenen Besonderheiten ausreichend Bedacht genommen hätte. Sie können zunächst bereits auf eine mittlerweile doch sehr lange Aufenthaltsdauer (von sechs Jahren und acht Monaten bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) und die in der Beschwerde geltend gemachten Integrationsschritte auf verschiedenen Gebieten verweisen. Weiters fallen ihre geordneten Wohn- und Lebensverhältnisse und ihre strafgerichtliche Unbescholtenheit ins Gewicht. Die belangte Behörde hat sich in diesem Zusammenhang im Übrigen in keiner Weise mit der - bereits im Verwaltungsverfahren näher dargelegten - beruflichen und sozialen Integration des Ehemanns der Zweitbeschwerdeführerin auseinandergesetzt.

Der belangten Behörde ist aber vor allem vorzuwerfen, dass sie nicht ausreichend auf die Gesichtspunkte, die aus dem Blickwinkel der Kinder für einen Verbleib im Bundesgebiet sprechen, Bedacht nahm. So verbrachte die Erstbeschwerdeführerin einen Großteil ihres Lebens in Österreich. Ein Schulbesuch erfolgte ausschließlich im Inland, was auf eine nicht unbeträchtliche Verankerung und gute Deutschkenntnisse schließen lässt (vgl. das Erkenntnis vom , Zlen. 2008/21/0619 bis 0622). Den aktenkundigen ausgezeichneten Schulerfolgen der Erstbeschwerdeführerin und ihren ebenfalls bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemachten weiteren Aktivitäten zur sozialen Integration (Engagement als Klassensprecherin, in Kirchenchor und Theatergruppe sowie erfolgreiche Teilnahme an Schachmeisterschaften) hat die belangte Behörde zu Unrecht keine Bedeutung beigemessen. Es ist schließlich auch nicht nachvollziehbar, inwiefern die belangte Behörde den Umstand, dass die zweite Tochter der Zweitbeschwerdeführerin in Wien geboren wurde, über einen Zeitraum von knapp sechs Jahren ausschließlich im Inland aufgewachsen ist und deshalb keinerlei Bindungen zum Herkunftsstaat der Eltern hat, in ihre Abwägung miteinbezogen hat. Auf dieses Kind und die in seiner Person gelegenen Interessen an einem Verbleib in Österreich wurde in den angefochtenen Bescheiden nämlich nicht erkennbar eingegangen.

Angesichts der aufgezeigten Begründungsmängel waren die angefochtenen Bescheide somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
XAAAE-93831