VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0433
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christof Dunst, 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, sowie Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/159.866/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.128,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein 1987 geborener Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, stellte am in Österreich einen Asyl-(Erstreckungs )Antrag, der im zweiten Rechtsgang mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen wurde. Über die dagegen erhobene Berufung war bei Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht entschieden.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot.
Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom gemeinsam mit zwei Mittätern wegen des zwischen April und Dezember 2006 verübten Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahls von Kupferrohren im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach den §§ 127, 128 Abs. 2, 130 erster Satz, erster und zweiter Fall StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt sowie zur ungeteilten Hand mit den beiden Mittätern zur Zahlung von EUR 65.000,-- an den Privatbeteiligten verpflichtet worden sei. Nach näherer Darstellung der dem Urteil zugrunde liegenden Tathandlungen führte die belangte Behörde aus, dass vom Strafgericht das Geständnis des Beschwerdeführers, seine untergeordnete Rolle bei der Tatbegehung, sein Alter von unter 21 Jahren und seine bisherige gerichtliche Unbescholtenheit als mildernd, die mehrfache Qualifikation und die Tatwiederholung hingegen als erschwerend gewertet worden seien.
Nach Darstellung des Berufungsvorbringens erwog die belangte Behörde rechtlich, dass gegen den Beschwerdeführer als Asylwerber unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 FPG ein Rückkehrverbot erlassen werden könne. Durch die dargestellte Verurteilung sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Das dem Urteil zugrunde liegende Verhalten rechtfertige die Annahme, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche "Ordnung, Ruhe und Sicherheit" gefährde und anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Ein Sachverhalt im Sinn des § 61 FPG sei nicht gegeben.
Der Beschwerdeführer befinde sich - so führte die belangte Behörde weiter aus - zumindest seit Jänner 2002 im Inland. Er habe im Oktober 2007 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Dieser Verbindung entstamme ein minderjähriges Kind, welches ebenfalls über die österreichische Staatsbürgerschaft verfüge. Die Gattin des Beschwerdeführers solle zudem wieder schwanger sein. Daran anknüpfend nahm die belangte Behörde eine Interessenabwägung im Sinne des § 66 FPG vor und kam dabei mit näherer Begründung zu dem Ergebnis, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei.
Die belangte Behörde erklärte abschließend, von der Erlassung des Rückkehrverbots auch nicht im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens Abstand nehmen zu können und begründete die Dauer der verhängten Maßnahme näher.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Juli 2009) geltende Fassung.
Die Beschwerde wendet sich u.a. gegen die Gefährlichkeitsprognose und ist damit im Ergebnis im Recht.
Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen iSd Abs. 1 (u.a.) jene des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG. Nach dieser Bestimmung hat als - die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende - Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht (u.a.) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist.
Die genannte Alternative dieses Tatbestands ist ausgehend von der vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellten strafgerichtlichen Verurteilung im gegenständlichen Fall verwirklicht, wie bereits die belangte Behörde zutreffend ausführte.
Die belangte Behörde hätte aber hinsichtlich der Gefährdungsprognose zu beachten gehabt, dass der Beschwerdeführer als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin ist. Für diese Personengruppe gelten jedenfalls - und zwar gemäß § 87 zweiter Satz FPG auch dann, wenn der österreichische Angehörige sein (unionsrechtlich begründetes) Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat - die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 86 FPG. Nach § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass die in dieser Bestimmung für ein Aufenthaltsverbot normierten Voraussetzungen auch bei der Erlassung eines Rückkehrverbots gegeben sein müssen (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0474, mwN).
Eine Prüfung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers an diesem Maßstab wurde von der belangten Behörde offenbar in Verkennung der Rechtslage überhaupt nicht vorgenommen (vgl. grundlegend zum abgestuften Gefährdungsmaßstab im FPG das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603). Die hier maßgebliche Bestimmung des § 86 Abs. 1 FPG wurde im angefochtenen Bescheid in keiner Weise angesprochen. Auch der Bescheid der Behörde erster Instanz, auf dessen Begründung die belangte Behörde verwiesen hat, befasst sich nicht mit dem hier gebotenen Gefährdungsmaßstab.
Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des ziffernmäßigen Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
WAAAE-93827