VwGH vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0058

VwGH vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0058

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck in 6020 Innsbruck, Gilmstraße 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG-2014/17/2154-3, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei: F A in N), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird dahin abgeändert, dass die Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid der Revisionswerberin vom , Zl. IL-1e-23111/1/40, als unbegründet abgewiesen wird.

Begründung

Mit Spruchpunkt 1. des Bescheides der Revisionswerberin vom wurde der Mitbeteiligten gemäß §§ 5 und 9 Tiroler Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 99/2010 idF LGBl Nr. 130/2013 (TMSG), für den Zeitraum vom 1. bis eine einmalige Unterstützung für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von EUR 337,87 (Mindestsatz für "Volljährige im gemeinsamen Haushalt" gemäß § 5 Abs. 2 lit. b TMSG in Höhe von EUR 457,80 abzüglich eines "Wohnbeitrages" in Höhe von EUR 120,--) gewährt.

Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde statt und gewährte der mitbeteiligten Partei gemäß § 5 Abs. 2 lit. a TMSG eine einmalige Unterstützung für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Höhe von EUR 490,49 (1.); die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt (2.).

Begründend zu Spruchpunkt 1. führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligten sei der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden. Sie lebe mit ihrem Lebensgefährten, einem Asylwerber, in einer gemeinsamen Wohnung. Der Lebensgefährte beziehe im Rahmen der Grundversorgung eine monatliche Unterstützung zur Verpflegung in Höhe von EUR 200,-- sowie zusätzlich einen Wohnbeitrag in Höhe von EUR 120,--.

Die mitbeteiligte Partei und ihr Lebensgefährte wohnten in einer Lebensgemeinschaft, wobei allerdings der Lebensgefährte keinesfalls als Partner im Sinne des TMSG, von dem "Synergieeffekte" (im Sinne der Gesetzesmaterialien) aufgrund des Zusammenwohnens zu erwarten seien, angesehen werden könne. Die Lebensgemeinschaft stelle infolge des fehlenden ausreichenden Einkommens des Lebensgefährten keine Wirtschaftsgemeinschaft dar. Der Mitbeteiligten sei daher - entgegen der dem erstinstanzlichen Bescheid zu Grunde liegenden Auffassung - Mindestsicherung in Höhe des Mindestsatzes für Alleinstehende und Alleinerziehende gemäß § 5 Abs. 2 lit a TMSG zu gewähren. Dieser betrage (unter Berücksichtigung des Wohnbeitrages des Lebensgefährten in Höhe von EUR 120,--) EUR 490,49.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen einer "Wirtschaftsgemeinschaft" abgewichen sei.

Das Verwaltungsgericht legte die Revision unter Anschluss der Akten des Verfahrens vor. Die mitbeteiligte Partei und die Tiroler Landesregierung erstatteten eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die gegenständliche Amtsrevision gemäß Art. 133 Abs. 6 Z. 2 B-VG ist zulässig und berechtigt.

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des TMSG lauten (auszugsweise):

" § 2

Begriffsbestimmungen

...

(4) Alleinstehend ist, wer mit keinem unterhaltsberechtigten oder unterhaltsverpflichteten Angehörigen und mit keinem Lebensgefährten im gemeinsamen Haushalt lebt.

...

(6) Im gemeinsamen Haushalt mit anderen Personen lebt, wer mit diesen bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung teilt.

(7) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasst den regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körper- und Gesundheitspflege, Benützung von Verkehrsmitteln, Reinigung, Kleinhausrat und Strom sowie für andere persönliche Bedürfnisse, die eine angemessene soziale und kulturelle Teilhabe ermöglichen.

...

§ 5

Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes

(1) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes besteht in der Gewährung pauschalierter, monatlicher Geldleistungen (Mindestsätze)

(2) Der Mindestsatz beträgt für


Tabelle in neuem Fenster öffnen
a)
Alleinstehende und Alleinerzieher 75 v. H.
b)
Volljährige, die nicht unter lit. a fallen 56,25 v. H.
...
des Ausgangsbetrages nach § 9 Abs. 1.
...
§ 9
Ausgangsbetrag

(1) Der Ausgangsbetrag für die Bemessung der Mindestsätze nach § 5 beträgt für das Kalenderjahr 2010 744,01 Euro.

(2) Die Landesregierung hat für jedes folgende Kalenderjahr unter Bedachtnahme auf die Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 293 Abs. 1 ASVG durch Verordnung einen Anpassungsfaktor festzusetzen

(Anpassungsverordnung). ... Die sich aus dem Ausgangsbetrag

ergebenden Mindestsätze sind als Anlage zur Verordnung kundzumachen.

..."

Nach der Anlage zur Verordnung der Tiroler Landesregierung vom , mit der der Anpassungsfaktor für das Jahr 2014 festgesetzt wird, LGBl. Nr. 141, beträgt der Mindestsatz nach § 5 Abs. 2 lit. a TMSG EUR 610,49, jener nach lit. b leg. cit. EUR 457,87.

3. Dem angefochtenen Erkenntnis liegt die Auffassung zu Grunde, die mitbeteiligte Partei sei "Alleinstehende", weil ihr Lebensgefährte kein Einkommen beziehe, weshalb ein Zusammenleben mit "gemeinsamer Wirtschaftsführung" nicht gegeben sei und sohin kein gemeinsamer Haushalt im Sinne des § 2 Abs. 4 und 6 TMSG vorliege.

Dagegen bringt die Revision u.a. vor, dass die mitbeteiligte Partei eine Lebensgemeinschaft mit ihrem Lebensgefährten bilde; sie habe diesen im Antrag auf Gewährung der Mindestsicherung auch als "Haushaltsangehörigen" bezeichnet. Zu einer Lebensgemeinschaft gehöre im Allgemeinen auch eine Wirtschaftsgemeinschaft.

4. Dieses Vorbringen führt die Revision im Ergebnis zum Erfolg.

4.1. Nach Maßgabe des § 2 Abs. 4 TMSG wäre die mitbeteiligte Partei nur dann "Alleinstehende" (und käme für sie sohin der Mindestsatz nach § 5 Abs. 2 lit. a leg. cit. zur Anwendung), wenn sie mit ihrem Lebensgefährten nicht im "gemeinsamen Haushalt" lebte. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 6 TMSG setzt das Leben im gemeinsamen Haushalt mit einer anderen Person das Teilen einer Wohnung "bei einheitlicher Wirtschaftsführung" voraus.

Die Gesetzesmaterialien (RV 498/10, 15. GP TirLT) zum TMSG führen dazu aus:

"... Aufgrund der Definition des 'gemeinsamen Haushaltes' … ist nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass auch ein Mitglied einer Wohngemeinschaft als alleinstehend anzusehen ist, und zwar dann, wenn das für einen gemeinsamen Haushalt wesentliche Element der einheitlichen Wirtschaftsführung ungeachtet der Teilung des Wohnraumes nicht gegeben ist ...

Dieser Mindestsatz (Anm: nach § 5 Abs. 2 lit. b) kommt daher für Volljährige zur Anwendung, die zusammen im gemeinsamen Haushalt leben und somit bei gemeinsamer Wirtschaftsführung eine

Wohnung teilen. ... Die Ungleichbehandlung im Vergleich zum

Alleinstehenden oder Alleinerzieher in diesen Fällen ist deswegen gerechtfertigt, weil bei einer gemeinsamen Wirtschaftsführung regelmäßig von einem geringeren Aufwand zur Deckung des Lebensunterhaltes auszugehen ist und sich dadurch erzielende Synergieeffekte jeweils bedarfsmindernd auswirken, was im Mindestsatz des Abs. 2 lit. b seinen Niederschlag findet ..."

4.2. Im Revisionsfall ist unstrittig, dass die mitbeteiligte Partei mit ihrem Lebensgefährten in einer gemeinsamen Wohnung in Lebensgemeinschaft lebt (vgl. zum Wesen der Lebensgemeinschaft etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2010/08/0118, und vom , Zl. 2013/08/0152). Die mitbeteiligte Partei bildet daher mit ihrem Lebensgefährten, dessen Unterhalt durch Leistungen der Grundversorgung gesichert wird, eine "Wohngemeinschaft" im Sinne der zitierten Gesetzesmaterialien; für die Annahme, dass das - für einen gemeinsamen Haushalt wesentliche - Element der "einheitlichen" Wirtschaftsführung nicht gegeben wäre, gibt es im Revisionsfall keine Anhaltspunkte.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das Vorliegen einer einheitlichen Wirtschaftsführung bereits dann zu verneinen sei, wenn die Lebensgefährtin/der Lebensgefährte des Mindestsicherungsbeziehers/der Mindestsicherungsbezieherin mangels hinreichenden Einkommens keinen (adäquaten) finanziellen Beitrag zur Lebensgemeinschaft leistet, findet im Gesetz keine Stütze.

4.3. Die Annahme der Revisionswerberin, dass das Tatbestandsmerkmal der "einheitlichen Wirtschaftsführung" im Sinne des § 2 Abs. 6 TMSG im vorliegenden Fall erfüllt ist, ist sohin nicht zu beanstanden. Die mitbeteiligte Partei lebte demnach mit ihrem Lebensgefährten im maßgeblichen Zeitraum (Juli 2014) im gemeinsamen Haushalt und war somit nicht alleinstehend im Sinne des § 2 Abs. 4 iVm § 5 Abs. 2 lit. a leg. cit. Indem das Verwaltungsgericht den Mindestsatz nach der letztgenannten Bestimmung herangezogen hat, hat es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

5. Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie - wie im vorliegenden Fall -

entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt.

Dieser Fall liegt hier vor. Die Revisionswerberin hat aus den genannten Gründen bei der Gewährung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum Juli 2014 zu Recht den Mindestsatz nach § 5 Abs. 2 lit. b TMSG herangezogen.

Die Beschwerde der Mitbeteiligten gegen den erwähnten Bescheid der Revisionswerberin vom war daher - in Abänderung des angefochtenen Erkenntnisses - abzuweisen.

Wien, am