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VwGH vom 18.10.2012, 2011/23/0417

VwGH vom 18.10.2012, 2011/23/0417

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 1771/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein mazedonischer Staatsangehöriger, reiste erstmals im Jahr 1992, im Alter von sechs Jahren, zu seiner Mutter in das Bundesgebiet ein. Ihm wurden in der Folge entsprechende Aufenthaltstitel erteilt; zuletzt verfügte er seit über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung zum Zweck "Familiengemeinschaft - ausgenommen unselbständiger Erwerb".

Mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 15 StGB zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wovon ein Teil von sechs Monaten bedingt nachgesehen wurde, weil er im Juni 2001 und im Dezember 2001 anderen Jugendlichen deren Mobiltelefone geraubt bzw. zu rauben versucht habe.

Am wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt und die ihm mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen. Dem Schuldspruch lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer mit Mittätern im März 2004 einem anderen Jugendlichen eine Geldbörse und eine Armbanduhr sowie zwischen Jänner und März 2004 einem Suchtgifthändler in mehreren Angriffen Rauschgiftkugeln und Bargeld geraubt habe.

Unter Bezugnahme auf diese strafgerichtlichen Verurteilungen erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdengesetz 1997 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

In seiner dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer u.a. aus, dass seine Straftaten auf seine Suchtmittelerkrankung zurückzuführen seien. Ihm sei für die Absolvierung einer Therapie ein Strafaufschub gewährt worden. Nach deren erfolgreichem Abschluss werde ihm die Haftstrafe bedingt nachgesehen werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge; sie bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass das Aufenthaltsverbot gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) für die Dauer von zehn Jahren erlassen werde.

In der Begründung führte die belangte Behörde über den eingangs dargestellten unstrittigen Sachverhalt zusammengefasst weiters aus, dass der Beschwerdeführer von Februar bis Juli 2001 insgesamt viermal, davon zweimal nach § 27 Abs. 1 SMG, einmal nach § 127 StGB und einmal nach § 142 StGB angezeigt worden sei. Nach seiner ersten Verurteilung sei er von der Bundespolizeidirektion Wien am verwarnt worden, dass er bei einem neuerlichen Fehlverhalten mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu rechnen habe. Dennoch sei der Beschwerdeführer neuerlich straffällig geworden. Bei der zweiten Verurteilung des Beschwerdeführers habe das Gericht dabei neben seinem reumütigen Geständnis als mildernd auch den Umstand berücksichtigt, dass er zuletzt bereits von Suchtgift abhängig gewesen sei.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass auf Grund der beiden einschlägigen Verurteilungen des Beschwerdeführers der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. Sein Verhalten gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maße, weshalb sich auch die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme als gerechtfertigt erweise.

Der Beschwerdeführer sei ledig und für niemanden sorgepflichtig. Im Bundesgebiet lebten seine leiblichen Eltern sowie ein Bruder. Der Beschwerdeführer habe in Österreich die Volks- und die Hauptschule besucht, letztere jedoch nicht abgeschlossen. Er sei im Besitz eines bis Dezember 2013 gültigen Befreiungsscheins und habe seit dem Jahr 2004 - mit näher dargestellten Unterbrechungen - zuletzt bis gearbeitet. Wegen seiner familiären Bindungen, seiner beruflichen Situation und seines etwas mehr als 16-jährigen inländischen Aufenthalts sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein "Privat-, Berufs- und Familienleben" auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Aufenthaltsverbots im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig und wegen der besonderen Gefährlichkeit der Eigentumskriminalität zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche mehr als augenfällig, dass er offenbar nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine Verhaltensprognose für ihn könne schon in Ansehung der mehrfachen, zum Teil unter erheblicher Gewalteinwirkung gesetzten, zum Teil über einen längeren Zeitraum begangenen Taten, sowie der immanenten Wiederholungsgefahr nicht positiv ausfallen. Selbst wenn die Verbüßung der Gerichtshaft bzw. zumindest die letzte Verurteilung eine gewisse spezialpräventive Wirkung auf ihn gehabt habe, liege das vor allem der letzten Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten noch bei weitem nicht so lange zurück, dass wegen des seither verstrichenen Zeitraums eine entscheidungswesentliche Reduzierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr angenommen werden könne; dies vor allem deshalb, weil die Zeit seiner Gerichtshaft nicht als Zeit des Wohlverhaltens gewertet werden könne. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer sowohl die eigentliche Suchtgifttherapie als auch die Nachbetreuung entsprechend durchgeführt habe und er nun nicht mehr suchtmittelabhängig sei, biete dieser Umstand keine Gewähr dafür, dass er nicht neuerlich gegen die Bestimmungen des Strafgesetzbuches bzw. auch des Suchtmittelgesetzes verstoßen könne.

Einer allfälligen, aus seinem bisherigen Aufenthalt ableitbaren Integration komme insofern kein entscheidendes Gewicht zu, als die für jede Integration erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Die privaten, beruflichen bzw. familiären Interessen des Beschwerdeführers hätten deshalb gegenüber den hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten. Seine berufliche Integration sei dabei auch durch seinen fehlenden Schulabschluss und die immer wieder unterbrochenen Arbeitszeiten als nicht besonders ausgeprägt anzusehen.

Im Hinblick auf die Art und das Strafausmaß der Verurteilungen, den Zeitpunkt des maßgeblichen Sachverhalts (Juni 2001) und den Umstand, dass der Beschwerdeführer erst mit über sechseinhalb Jahren nach Österreich gelangt - und daher nicht "von klein auf" im Inland aufgewachsen - sei, würden die "aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen" des FPG dieser Maßnahme nicht entgegenstehen. Auch aus Ermessensgründen könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht Abstand genommen werden.

Im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls, nämlich vor allem weil der Beschwerdeführer bei seiner zweiten Verurteilung an Suchtmittel bereits gewöhnt gewesen sei, die Beziehung zu seiner im Bundesgebiet aufhältigen Familie, die ihn jedoch auch im Ausland besuchen könne, die mittlerweile erlangte, wenngleich nicht besonders stark ausgeprägte berufliche Integration sowie wegen der Dauer seines bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet könne trotz seines massiven Gesamt(fehl)verhaltens mit einer Aufenthaltsverbotsdauer von zehn Jahren gerade noch das Auslangen gefunden werden. Vor Verstreichen dieses Zeitraums könne jedoch nicht erwartet werden, dass der für die Erlassung dieser Maßnahme maßgebliche Grund weggefallen sein werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (April 2009) geltende Fassung.

Ausgehend von den im angefochtenen Bescheid dargestellten und vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen ist der von der belangten Behörde herangezogene Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG unzweifelhaft erfüllt. Dies indiziert die von der belangten Behörde bejahte Gefährdungsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG.

Der Beschwerdeführer wendet in diesem Zusammenhang zunächst ein, dass auf ihn die Bestimmung des § 86 FPG Anwendung zu finden habe, weil seine Eltern, sein Bruder und seine außereheliche Tochter österreichische Staatsbürger seien. Wegen der Dauer des Berufungsverfahrens und der deshalb seit der Begehung der Straftaten verstrichenen Zeit von fast fünf Jahren könne zudem keine Rede davon sein, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbots dringend geboten wäre. Überdies sei ihm im Hinblick auf seine Suchtmitteltherapie die gesamte unbedingt verhängte Freiheitsstrafe, sofern er sie nicht in Untersuchungshaft verbracht habe, zunächst bedingt - und nach erfolgreicher Absolvierung der Therapie inzwischen bereits endgültig - nachgesehen worden.

Diesem Vorbringen ist vorweg Folgendes zu erwidern:

Dem Beschwerdeführer kam im Hinblick auf den ihm zuletzt erteilten Aufenthaltstitel zwar die Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zu, gegen den eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des - hier im Wege des § 61 Z 2 FPG anzuwendenden -

§ 56 Abs. 1 FPG hätte erlassen werden dürfen (vgl. dazu grundlegend das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603). Hingegen gilt gemäß § 87 FPG die Privilegierung des § 86 FPG für Kinder als Familienangehörige (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) von Österreichern, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit nicht Gebrauch gemacht haben, nur bis zum Erreichen ihrer Volljährigkeit (siehe das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0458), weshalb die belangte Behörde im gegenständlichen Fall die Zulässigkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbots zu Recht nicht an diesem Maßstab geprüft hat.

Bei der gebotenen Prognosebeurteilung in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen kommt es letztlich immer auf das zugrunde liegende Verhalten an. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0263, mwN).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass es sich bei den Straftaten, die den Verurteilungen zugrunde lagen, um so genannte Beschaffungskriminalität gehandelt habe. Dies lässt sich auch aus den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen erschließen. Wie die belangte Behörde daher auch ausführte, waren die Straftaten des Beschwerdeführers somit auf seine Suchtmittelergebenheit zurückzuführen.

Waren aber die dem Beschwerdeführer zur Last liegenden strafbaren Handlungen als Ausfluss seiner Drogenabhängigkeit anzusehen, kommt dem auch schon im Berufungsverfahren behaupteten Therapieerfolg maßgebliche Bedeutung im Hinblick auf die Prüfung der Gefährlichkeitsprognose zu (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom ; siehe ebenso das noch zum Fremdengesetz 1997 ergangene Erkenntnis vom , Zl. 2001/21/0196). Eine nähere Auseinandersetzung mit dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Therapieerfolg wäre im konkreten Fall schon zur Beurteilung der Dauer seines Wohlverhaltens in Freiheit maßgeblich gewesen.

Da sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Therapiebestätigungen und seinem Vorbringen über einen Therapieerfolg auseinandersetzte, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Begründungsmangel belastet.

Der angefochtene Bescheid war somit schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am