VwGH vom 30.03.2016, Ra 2015/09/0075

VwGH vom 30.03.2016, Ra 2015/09/0075

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Höhl, über die außerordentliche Revision des Disziplinaranwalts für den Bereich der Österreichischen Post AG in 4511 Allhaming, Poststraße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W136 2000221- 1/2E, betreffend Disziplinarstrafe des Verweises nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (vor dem Bundesverwaltungsgericht belangte

Behörde: Disziplinarkommission beim Bundesministerium für

Finanzen, mitbeteiligte Partei: GG in S, vertreten durch Dr. Katharina Sedlazeck-Gschaider, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Petersbrunnstraße 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Ausspruches über die Strafe wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

Mit Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen vom wurde der Mitbeteiligte wegen Verletzung seiner Dienstpflichten nach § 44 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979) sowie nach § 48 Abs. 1 iVm § 43a BDG 1979 gemäß § 91 BDG 1979 schuldig erkannt und über ihn eine Geldbuße in der Höhe von EUR 1.000,-- verhängt. Dagegen erhob der Mitbeteiligte Berufung. Die Berufung wurde vom Bundesverwaltungsgericht als Beschwerde gewertet und mit Erkenntnis vom das Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission insofern abgeändert, als über den Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG iVm § 92 Abs. 1 Z 1 BDG 1979 die Disziplinarstrafe des Verweises verhängt wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde hinsichtlich der Schuldsprüche als unbegründet abgewiesen und das Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission diesbezüglich bestätigt. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die erkennbar nur gegen den Ausspruch über die Strafe gerichtet ist, mit dem Begehren, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben, weil es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, was unter Hinweis auf inhaltliche und verfahrensmäßige Mängel näher ausgeführt wird.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Akten des Verwaltungsverfahrens und die Gerichtsakten vorgelegt und der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden; er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Im Zulassungsvorbringen ist konkret darzutun, warum die Revision von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt.

Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision insbesondere vor, dass das Bundesverwaltungsgericht zur Begründung der Herabsetzung der gegen den Mitbeteiligten von der Disziplinarkommission ausgesprochenen Geldstrafe von EUR 1.000,-- auf die bloße Disziplinarstrafe des Verweises "Gesamtumstände" des Falles herangezogen, ein Mobbing des Mitbeteiligten und eine Entschuldigung des Mitbeteiligten gegenüber seinem Vorgesetzten als mildernd herangezogen habe, ohne dass die faktischen Grundlagen für diese Milderungsgründe in einem ordnungsgemäßen Verfahren festgestellt worden wären.

Das Bundesverwaltungsgericht habe den Disziplinaranwalt über die Berufung des Mitbeteiligten nicht informiert und die Berufung des Mitbeteiligten dem Disziplinaranwalt nicht übermittelt und auch keine mündliche Verhandlung in der Angelegenheit durchgeführt. Dadurch habe das Bundesverwaltungsgericht das Recht auf Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme oder zur Berufung des Mitbeteiligten gemäß §§ 10, 24, 25 und 28 VwGVG verletzt.

Gemäß § 106 BDG 1979 ist der Disziplinaranwalt neben dem Beschuldigten Partei des Disziplinarverfahrens. Dies gilt im Grunde des § 17 VwGVG auch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in einer disziplinarrechtlichen Angelegenheit. Gemäß § 10 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn in einer Beschwerde neue Tatsachen oder Beweise, die dem Verwaltungsgericht erheblich erscheinen, vorgebracht werden, hievon unverzüglich den sonstigen Parteien Mitteilung zu machen und ihnen Gelegenheit zu geben, vom Inhalt der Beschwerde Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen der Vorschrift des § 65 AVG über die Berufungsmitteilung durch die Berufungsbehörde.

Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Disziplinaranwalt weder von der Berufung noch auch von der Tatsache der Erhebung der Beschwerde durch den Mitbeteiligten Kenntnis erlangte. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Begründung dafür gegeben, weshalb es von einer Mitteilung der Berufung, die nach Inkrafttreten des VwGVG als Beschwerde zu werten war, absah.

Mit seinem Hinweis, er sei entgegen § 10 VwGVG nicht von der Tatsache der Beschwerde und der Beschwerde selbst informiert worden und dass keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei, zeigt der Revisionswerber die Zulässigkeit der Revision und zugleich auf, dass diese begründet ist.

Gemäß § 103 Abs. 1 BDG 1979 ist der Disziplinaranwalt zur Vertretung der dienstlichen Interessen im Disziplinarverfahren berufen. Dem im vorliegenden Fall revisionswerbenden, gemäß § 17 Abs. 9 Z 7 des Poststrukturgesetzes BGBl. Nr. 201/1996, idF BGBl. I 86/2001, vom Vorstand der Österreichischen Post AG bestellten Disziplinaranwalt für den Bereich der Österreichischen Post kamen jedenfalls die prozessual-subjektiven Rechte einer Partei des Verfahrens zu (vgl. zu einer Formalpartei das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/09/0066, mwN).

Zu § 10 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24. Feber 2016, Ra 2015/09/0125, Folgendes ausgeführt:

"Die Verpflichtung zur Beschwerdemitteilung nach § 10 VwGVG ist sowohl der Behörde als auch dem Verwaltungsgericht auferlegt (‚... so hat sie bzw. hat es ...'). Bei verständiger Würdigung dieser gesetzlichen Anordnung hat zunächst die belangte Behörde, bei welcher die Beschwerde gemäß § 12 VwGVG einzubringen ist, für die Mitteilung der Beschwerde zu sorgen und hat sodann nach Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht auch dieses zu prüfen, ob den sonstigen Parteien Mitteilung von der Beschwerde gemäß § 10 VwGVG gemacht wurde und erforderlichenfalls diese Mitteilung der Beschwerde nachzuholen (vgl. Fister/Fuchs/Sachs , Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, Anm. 6 zu § 10 VwGVG).

Der Zweck der Mitteilung der Beschwerde gemäß § 10 liegt in der Wahrung des rechtlichen Gehörs sämtlicher Parteien ( Fister/Fuchs/Sachs , Anm. 1 zu § 10) und ist als Mittel zur Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit zwischen den Parteien (Art. 6 Abs. 1 EMRK) zu sehen ( Eder/Martschin/Schmid , Anm. 5 zu § 10 VwGVG, vgl. zur Waffengleichheit auch das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/04/0046). Jede Partei muss eine vernünftige Möglichkeit erhalten, ihren Standpunkt unter Bedingungen darzustellen, die sie nicht gegenüber ihrem Prozessgegner in einen wesentlichen Nachteil versetzen und jeder Partei muss die Möglichkeit gegeben werden, von den eingebrachten Ausführungen und Beweisen der anderen Partei Kenntnis zu erlangen und diese zu kommentieren (‚Each party must be given the opportunity to have knowledge of and comment on the observations filed or evidence adduced by the other party ...' Urteil des EGMR vom , Beer gegen Österreich, Nr. 30428/96, par. 17, mwN).

Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht dient nicht bloß der Klärung des Sachverhaltes und der Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch der Klärung von Rechtsfragen. Unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Waffengleichheit hat daher die Mitteilung der Beschwerde auch im Hinblick auf darin enthaltene rechtliche Ausführungen zu erfolgen und müssen die übrigen Parteien in die Lage versetzt werden, dazu ihre Ausführungen zu erstatten um das Gericht von ihrem Standpunkt zu überzeugen (vgl. zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zur Erörterung der Rechtsfrage das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/09/0007).

Aus § 10 VwGVG ist auch ein Überraschungsverbot in dem Sinne abzuleiten, als ein Vorbringen von neuen Tatsachen und Beweisen zu einem späteren Zeitpunkt als mit der Beschwerde ebenfalls den übrigen Parteien vom Verwaltungsgericht mitzuteilen ist (vgl. Eder/Martschin/Schmid , Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2013, Anm. 4 zu § 10; Götzl in:

Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2015, Rz 3 zu § 10 VwGVG). Dies gilt auch, wenn das Verwaltungsgericht ohne ein Parteienvorbringen zur Annahme von neuen Tatsachen - wie hier der Ablegung eines Geständnisses - gelangt. Angesichts der im Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten grundsätzlich geltenden Befugnis aller Parteien des Verfahrens, sowohl ein neues Tatsachenvorbringen als auch ergänzende Beweisanbote zu erstatten als auch neue rechtliche Argumente vorzutragen, folgt auch, dass die Möglichkeit zur Ausübung dieser Befugnis allen Parteien des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht gleichermaßen eingeräumt werden muss. Daraus ergibt sich, dass die Parteien von der Beschwerde und von dem aus dieser hervorgehenden rechtlichen Rahmen für ein weiteres Vorbringen in Kenntnis gesetzt werden müssen. Dabei ist nach dem Gesagten nicht von entscheidender Bedeutung, ob in der Beschwerde neue Tatsachen oder Beweise geltend gemacht wurden. Im Verwaltungsstrafverfahren kommt hinzu, dass gemäß § 44 Abs. 3 dritter Satz VwGVG den sonstigen Parteien - also allen Parteien außer dem Beschwerdeführer - ‚Gelegenheit zu geben (ist), einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen' und eine Beschwerdemitteilung schon im Hinblick auf diese Befugnis zu erfolgen hat."

Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt und der Revisionswerber rügt zu Recht, dass es gemäß § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchführen hätte müssen, ein Grund für die Abstandnahme von der Durchführung einer solchen wurde vom Verwaltungsgericht nicht angeführt und ist nicht zu ersehen.

Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden; dieser Verpflichtung wird nunmehr das Bundesverwaltungsgericht Genüge tun müssen.

Ein Anspruch auf Aufwandersatz besteht nicht (§ 47 Abs. 4 VwGG iVm Art. 133 Abs. 8 B-VG und § 103 Abs. 4 Z 2 BDG 1979).

Wien, am