VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0364
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/35.577/2010, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
In der Begründung führte sie dazu aus, dass der Beschwerdeführer eigenen Angaben zufolge im Jahr 2002 nach Österreich eingereist sei. Hier sei er seit - mit zwei Unterbrechungen - behördlich gemeldet. Seit Ende 2007 sei seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschieden.
Bereits seit dem Jahr 2006 verfüge der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel mehr. Ein am gestellter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei von der Aufenthaltsbehörde am abgelehnt worden. Das Verfahren über seinen am gestellten Antrag auf Erteilung einer quotenfreien Erstniederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sei noch anhängig.
Der Beschwerdeführer weise seit Beschäftigungszeiten von lediglich etwas mehr als 28 Monate als (teilweise geringfügig beschäftigter) Arbeiter auf. Die übrige Zeit habe er Arbeitslosen- und Krankengeld sowie Notstands- und Überbrückungshilfe bezogen. Seit sei er ohne Beschäftigung. Nach seinem Berufungsvorbringen lebe er seit mehreren Jahren mit seiner Freundin, die EWR-Bürgerin sei, zusammen.
Rechtlich beurteilte die belangte Behörde den Sachverhalt dahingehend, dass die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG - vorbehaltlich des § 66 FPG - erfüllt seien, weil der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel verfüge. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Anhängigkeit seines Niederlassungsverfahrens führe zu keiner Einschränkung der behördlichen Ermächtigung zur Erlassung einer Ausweisung.
Die belangte Behörde nahm anschließend einen mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers an, hielt jedoch fest, dass die aus der Dauer des inländischen Aufenthalts ableitbare Integration in ihrem Gewicht dadurch entscheidend gemindert werde, dass der Aufenthalt seit 2006 unrechtmäßig sei. Der Beschwerdeführer habe sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus auch bewusst sein müssen. Auch die privaten und beruflichen Bindungen des Beschwerdeführers seien nicht besonders stark ausgeprägt. Zwar lebe er angeblich mit einer EWR-Bürgerin in Lebensgemeinschaft; er habe aber keine näheren Angaben gemacht, wer diese Person konkret sei. Die berufliche Bindung des Beschwerdeführers werde durch seine mittlerweile mehr als ein Jahr dauernde Beschäftigungslosigkeit "nicht gestärkt".
Den relativierten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet stehe die durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt bewirkte erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften gegenüber, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme. Der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers erweise sich zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - daher als dringend geboten und sei somit zulässig im Sinn des § 66 FPG.
Die vom Beschwerdeführer angeführten persönlichen Bindungen in Österreich stellten auch nach den in der Judikatur des EGMR dargestellten Kriterien keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK dar, die es ihm unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Österreich auszureisen. Anträge nach § 43 Abs. 2 NAG und § 44 Abs. 3 und 4 NAG würden zudem gemäß § 44b Abs. 3 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründen. Unter diesen Umständen sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet vom Inland aus zu legalisieren.
Die belangte Behörde befand abschließend, dass auch keine sonstigen, besonders zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände vorliegen würden, weshalb von der Erlassung der Ausweisung auch nicht im Rahmen des Ermessens Abstand zu nehmen sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG und des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (April 2010) geltende Fassung.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Unstrittig verfügt der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel mehr, sodass sich die behördliche Annahme, der genannte Ausweisungstatbestand sei erfüllt, als zutreffend erweist.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0326).
Der Beschwerdeführer, der sich nicht auf das Bestehen einer Berechtigung nach dem ARB 1/80 beruft, wendet sich ausschließlich gegen die Interessensabwägung und die Ermessensübung durch die belangte Behörde.
Der Beschwerdeführer macht in diesem Zusammenhang geltend, dass die belangte Behörde in ihre Entscheidung bloß seinen illegalen Aufenthalt habe einfließen lassen. Sie habe die Dauer seines (teilweise legalen) Aufenthalts nach seiner rechtmäßigen Einreise nicht berücksichtigt. Er verfüge über intensive private und familiäre Bindungen im Bundesgebiet, wo seine Lebensgefährtin und mehrere Verwandte, die zum großen Teil bereits österreichische Staatsbürger seien, wohnen würden. Er habe sich stets wohlverhalten, gegen keine Strafbestimmung verstoßen und sich stets bemüht, seinen Aufenthalt wieder zu legalisieren. Sein illegaler Aufenthalt allein sei angesichts seiner vormaligen Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und seines achtjährigen Aufenthalts nicht geeignet, die öffentliche "Ruhe, Ordnung und Sicherheit" in einem Umfang zu stören, dass eine Ausweisung gerechtfertigt sei.
Diesem Vorbringen ist zu erwidern, dass die belangte Behörde in ihrer Entscheidung ohnedies auf die Dauer des (zunächst rechtmäßigen) Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich und seine deshalb bestehenden Bindungen Bedacht genommen hat. Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang aber zu Recht auch berücksichtigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits etwa vier Jahre unrechtmäßig war. Seine berufliche Integration ist durch lange Zeiten ohne Beschäftigung - zuletzt über einen Zeitraum von etwa fünfzehn Monaten - als geschmälert zu betrachten. Die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die dem Beschwerdeführer den Zuzug nach Österreich ermöglichte, ist aber bereits seit Ende 2007 geschieden. Zutreffend hielt die belangte Behörde auch fest, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer aktuell bestehenden Lebensgemeinschaft vage blieb. Diesbezüglich erfolgt auch in der Beschwerde keine Konkretisierung. Das erstmals in der Beschwerde erstattete Vorbringen, dass auch nicht näher bezeichnete Verwandte in Österreich leben würden, verstößt überdies gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu beachtende Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG).
Es trifft weiters zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0282, mwN). Die belangte Behörde ist daher im Recht, wenn sie den unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers, der seit dem Jahr 2006 über keinen Aufenthaltstitel mehr verfügt, als eine maßgebliche Beeinträchtigung des hoch zu bewertenden öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen gesehen hat.
Die Beschwerde führt unter dem Gesichtspunkt einer Unzulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 66 FPG ferner aus, dass der Beschwerdeführer legitimer Weise aus dem Inland versuche, seinen Aufenthalt wieder zu legalisieren, weil er nach einer Ausreise im Hinblick auf die Bestimmungen des NAG keine Aussicht mehr auf eine Wiedereinreise nach Österreich habe.
Zwar trifft es - entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid - nicht zu, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt vom Inland aus nicht legalisieren kann; dies insbesondere im Hinblick auf humanitäre Aufenthaltstitel, die im Inland zu beantragen sind. Im Übrigen ist eine Inlandantragstellung jedenfalls zuzulassen, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0162). Daraus ist für den Beschwerdeführer im vorliegenden Fall jedoch nichts zu gewinnen, weil auch ein noch offener Antrag nach § 44 Abs. 3 NAG der Erlassung einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG nicht entgegensteht, und zwar auch nicht aus Ermessenserwägungen (siehe dazu grundlegend das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0293, sowie das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0214, mwN).
Wenn der Beschwerdeführer ferner das Unterbleiben weiterer Erhebungen zu seiner Aufenthaltsdauer und seinen Familienverhältnissen rügt und meint, dass auch der Inhalt der "Aufenthaltsakten" zu berücksichtigen gewesen wäre, mangelt es der Beschwerde insoweit an der erforderlichen Darstellung der Relevanz eines darin allenfalls zu erblickenden Verfahrensmangels (siehe hiezu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0424, mwN). Entgegen der Beschwerdeansicht ist der angefochtene Bescheid auch ausreichend und nachvollziehbar begründet.
Im vorliegenden Fall erweist es sich somit nicht als rechtswidrig, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher einschätzte als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung seines seit dem Jahr 2006 unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet. An dieser Beurteilung vermag auch die in der Beschwerde hervorgehobene strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers nichts zu ändern. Dass es dem - erst in einem Alter von 33 Jahren nach Österreich eingereisten - Beschwerdeführer, trotz der in der Beschwerde vorgebrachten fehlenden Anknüpfungspunkte in seinem Heimatstaat nicht möglich wäre, dort wieder Fuß zu fassen, ist nicht zu erkennen. Allfällige wirtschaftliche Schwierigkeiten beim (Wieder )Aufbau einer Existenz im Heimatland sind aber im öffentlichen Interesse hinzunehmen (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0411, mwN).
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
NAAAE-93655