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VwGH vom 21.03.2013, 2011/23/0353

VwGH vom 21.03.2013, 2011/23/0353

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Robl, Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/551.723/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte nach seiner illegalen Einreise am einen Asylantrag, der im Instanzenzug vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom rechtskräftig (als offensichtlich unbegründet) abgewiesen wurde. Die an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0161, abgewiesen; der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom ab.

Am heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin. Im Hinblick auf diese Ehe wurde dem Beschwerdeführer eine Niederlassungsbewilligung und zuletzt am ein Niederlassungsnachweis erteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 vierter Fall, Abs. 3 erster Fall SMG und der Vergehen nach § 28 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG sowie nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten rechtskräftig verurteilt, weil er von Anfang März bis Kokain in großen Mengen (§ 28 Abs. 6 SMG) einerseits gewerbsmäßig im Ausmaß von zumindest 210 Gramm brutto an unbekannt gebliebene Abnehmer verkauft und andererseits um den zumindest 178 Gramm bei vier Gelegenheiten von einem unbekannt gebliebenen Suchtgifthändler mit dem Vorsatz erworben hatte, dass es in Verkehr gesetzt werde. Weiters hatte er von Anfang 2007 bis Cannabiskraut für den Eigenkonsum erworben und besessen.

Seit ist die Ehe des Beschwerdeführers rechtskräftig geschieden.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte sie nach Wiedergabe des eingangs dargestellten Sachverhalts aus, dass im Hinblick darauf unzweifelhaft der in § 60 Abs. 2 Z 1 FPG normierte Tatbestand verwirklicht sei. Das Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit, nämlich das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität, in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbots - vorbehaltlich der §§ 61 und 66 FPG - im Grunde des § 60 Abs. 1 iVm § 56 FPG gegeben seien. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers stelle angesichts des Zusammentreffens mehrerer strafbarer Handlungen und der Suchtgiftdelikten immanenten Wiederholungsgefahr eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

Der Beschwerdeführer verfüge im Inland über keine familiären Bindungen. Da er seit etwa neuneinhalb Jahren im Bundesgebiet lebe, sei jedoch von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen massiven Eingriff in sein Privatleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, dringend geboten und daher im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig. Das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche auffällig, dass er nicht gewillt sei, die für ihn maßgebenden Rechtsvorschriften seines Gastlandes einzuhalten. Eine Verhaltensprognose könne deshalb keinesfalls zu seinen Gunsten gestellt werden. Dies umso weniger, als er seine Straftaten gewerbsmäßig gesetzt habe. Trotz der Aufenthaltsdauer könne sich der Beschwerdeführer nicht mit Erfolg auf eine daraus ableitbare relevante Integration berufen, werde die dafür erforderliche soziale Komponente doch bereits durch sein strafbares Verhalten erheblich gemindert. Auch von einer beruflichen Integration des Beschwerdeführers könne nicht ausgegangen werden, weil dieser in den letzten Jahren über jeweils nur sehr kurze Zeiträume bei ständig wechselnden Arbeitgebern beschäftigt gewesen sei und seit (mit Unterbrechungen) nur noch Arbeitslosengeld beziehe. Diesen derart geschmälerten privaten und familiären Interessen stünden die hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen gegenüber. Bei Abwägung der Interessenlagen gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wiegen würden als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Auch die "aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen des § 61 FPG" würden der Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht entgegenstehen. Der Beschwerdeführer sei nicht von klein auf im Inland aufgewachsen und außerdem zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Vor diesem Hintergrund könne sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet auch nicht im Rahmen des Ermessens in Kauf genommen werden.

Abschließend begründete die belangte Behörde die Dauer des Aufenthaltsverbots näher damit, dass vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraums (von zehn Jahren) ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes nicht erwartet werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im April 2010 geltende Fassung.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider läuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht u.a. zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

Nach § 61 Z 2 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG wegen des maßgeblichen Sachverhalts unzulässig wäre. Im Wege dieser Bestimmung gelten die Bedingungen des § 56 Abs. 1 FPG nicht nur für Ausweisungen, sondern auch für Aufenthaltsverbote gegen langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0461, mwN).

Der Beschwerdeführer weist unstrittig die eingangs dargestellte strafgerichtliche Verurteilung auf. Im Hinblick darauf hat er die genannte Alternative des allgemeinen Aufenthaltsverbotstatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht. Es sind in seinem Fall - wie die belangte Behörde im Ergebnis auch zutreffend bejahte - aber überdies die Bedingungen des § 56 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt, weil der Beschwerdeführer sowohl wegen eines Verbrechens als auch wegen eines mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Vergehens nach dem SMG rechtskräftig verurteilt worden ist. Dies indiziert jedenfalls, dass vom Beschwerdeführer eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 56 Abs. 1 FPG ausgeht.

Soweit der Beschwerdeführer einen Wegfall der Gefährdung im Hinblick auf die Dauer des Berufungsverfahrens von etwa zwei Jahren geltend macht, ist diesem Vorbringen entgegenzuhalten, dass ein allfälliger Gesinnungswandel des Straftäters in erster Linie daran zu messen ist, innerhalb welchen Zeitraums er sich in Freiheit nach der Entlassung aus der Strafhaft wohlverhalten hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0414, mwN). In Anbetracht der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten und seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft am ist der bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides im April 2010 verstrichene Zeitraum im Ergebnis zu kurz, um verlässlich einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr annehmen zu können.

Wenn die Beschwerde auch in diesem Zusammenhang auf die wiederaufgenommene Arbeitstätigkeit des Beschwerdeführers verweist, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer seinem Vorbringen zufolge bereits während der Begehung der Straftaten - die er nach seiner Verantwortung ausschließlich aus finanziellen Gründen beging - erwerbstätig war und auch diese Beschäftigung ihn nicht vom gewerbsmäßigen Suchtgifthandel abhalten konnte.

Nach § 61 Z 3 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 - StbG (idF BGBl. Nr. 311/1985) verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der in § 60 Abs. 2 Z 12 bis 14 FPG bezeichneten Tatbestände verwirklichen.

Der Beschwerdeführer wendet in diesem Zusammenhang ein, dass in seinem Fall im Hinblick auf § 61 Z 3 FPG ein Aufenthaltsverbot nicht hätte erlassen werden dürfen, weil ihm schon vor Begehung der Straftat die österreichische Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können.

Die genannte Bestimmung ist im vorliegenden Fall aber schon deshalb nicht anzuwenden, weil der Beschwerdeführer - wie er selbst eingesteht - zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurde. An diesem Umstand änderte auch die bedingte vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft nichts.

Im Übrigen wendet sich die Beschwerde gegen die Beurteilung der belangten Behörde nach § 66 FPG. Der Beschwerdeführer macht in diesem Zusammenhang als Verfahrensmangel geltend, dass die belangte Behörde Erhebungen zu seiner Integration hätte pflegen müssen. In diesem Falle wäre hervorgekommen, dass er nicht (bloßes) Arbeitslosengeld, sondern "Schulungsarbeitslosengeld" bezogen habe. Nach Abschluss der vom AMS finanzierten Schulung sei er seit wieder beschäftigt.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine relevante Mangelhaftigkeit nicht auf. So ist weder aus der vom Arbeitsmarktservice finanzierten Schulung noch aus der vom Beschwerdeführer unmittelbar vor Erlassung des angefochtenen Bescheides wiederaufgenommenen Berufstätigkeit eine wesentliche Verstärkung seiner Interessen abzuleiten. Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht nämlich - wie die belangte Behörde richtig erkannt hat - die massive Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber, die aus den von ihm über einen mehrmonatigen Zeitraum gesetzten Straftaten im Bereich der gewerbsmäßigen Suchtgiftdelinquenz resultiert.

Im Ergebnis erweist sich die Ansicht der belangten Behörde, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei, somit nicht als rechtswidrig.

Der Beschwerdeführer legt auch nicht dar, was er im Fall eines ihm nochmal eingeräumten rechtlichen Gehörs zu seinen "geänderten Verhältnissen" vorgebracht hätte. Diesem Beschwerdevorbringen mangelt es daher an der erforderlichen Relevanzdarstellung. Wenn der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Dauer des Berufungsverfahrens und des in Folge der zwischenzeitigen Scheidung seiner Ehe mit einer Österreicherin geänderten Gefährdungsmaßstabs schließlich aus Gründen der "Fairness" eine andere Beurteilung einfordert, fehlt es dafür an einer gesetzlichen Grundlage.

Die Beschwerde zeigt schließlich auch keine Gründe auf, wonach das Ermessen durch die belangte Behörde nicht in gesetzmäßiger Weise ausgeübt worden wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am