VwGH vom 24.11.2011, 2011/23/0348
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des J, geboren am , vertreten durch Dr. Maximilian Schaffgotsch, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Postgasse 6/1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 318/06, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist in einer Angelegenheit nach dem Fremdengesetz 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom verhängte die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer, einen liberianischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdengesetz 1997 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Der Bescheid wurde dem in Haft befindlichen Beschwerdeführer in der Justizanstalt Korneuburg am durch persönliche Ausfolgung zugestellt.
Mit dem am per Fax eingebrachten Schriftsatz beantragte der Beschwerdeführer die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid und holte unter einem die Berufung nach. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass er während der Strafhaft keinerlei Möglichkeit gehabt habe, eine Berufung gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid einzubringen. Erst als er am Montag, dem aus der Haft entlassen worden sei, sei dieses Hindernis, die Berufungsfrist einhalten zu können, weggefallen, und es habe die Wiedereinsetzungsfrist zu laufen begonnen.
Mit Bescheid vom wies die Bundespolizeidirektion Wien den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Strafhaft kein unvorhersehbares und unabwendbares Hindernis darstelle. Dem Beschwerdeführer sei es innerhalb der Berufungsfrist möglich und zumutbar gewesen, sich mit einem vor Ort befindlichen rechtskundigen Berater (Sozialarbeiter) oder einem rechtsfreundlichen Vertreter in Verbindung zu setzen und fristgerecht Berufung zu erheben.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, dass er der deutschen Sprache nicht im ausreichenden Maße mächtig sei, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, den Inhalt des Bescheides zu verstehen. Er habe auch nicht über das nötige Behörden- und Rechtswissen verfügt, um seine Berufung selbst zu verfassen. Er sei unverschuldet auf Unterstützung und Rechtsbeistand angewiesen gewesen, die ihm im Zuge der Strafhaft nicht ausreichend gewährt worden seien. So sei es für ihn nur möglich gewesen, seine Haftentlassung abzuwarten, und die Berufungsfrist damit verstreichen zu lassen.
Die belangte Behörde holte im Berufungsverfahren eine Stellungnahme des Anstaltsleiters der Justizanstalt Korneuburg ein, wonach "alle Insassen beim Lesen und Übersetzen von behördlichen Schriftstücken bzw. beim Einbringen von Rechtsmitteln unterstützt werden, sofern sich diese bei der zuständigen Sozialarbeiterin melden und es eine Möglichkeit gibt, sprachlich entweder persönlich oder mit Unterstützung eines Mitinsassen mit dem Betroffenen zu kommunizieren." Die Inhalte der Rechtsmittel würden nicht vorgeschrieben, sondern müssten vom Insassen selbst formuliert werden, um spätere Beschwerden im Fall eines negativen Ausgangs zu vermeiden. Dies sei auch im Jahr 2004 bereits so praktiziert worden.
Der Beschwerdeführer nahm dazu dahingehend Stellung, dass bei Zustellung des Bescheides an ihn, die ihn sonst betreuende Sozialarbeiterin nicht anwesend gewesen sei. Ein Beamter habe ihm den Brief übergeben, jedoch überhaupt nicht erklären können, worum es sich bei diesem Schreiben handle. Ein Übersetzer sei nicht beigezogen worden. Aus diesem Grund habe der Beschwerdeführer auch seine Unterschrift verweigert. Kurze Zeit später sei er aus der Strafhaft entlassen worden. Die Sozialarbeiterin habe er in der Zwischenzeit nicht mehr gesehen. Es sei ihm nicht möglich gewesen, die Sozialarbeiterin zu erreichen. Dies sei auch von der Justizanstalt Korneuburg nicht konkret bestritten worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages. Begründend verwies sie zunächst auf die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides und führte ergänzend aus, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Strafhaft (ebenso wie die Schubhaft) für sich alleine keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darstelle. Auch wenn die den Beschwerdeführer sonst betreuende Sozialarbeiterin bei der Zustellung des Bescheides nicht anwesend gewesen sei, bedeute dies nicht, dass der Beschwerdeführer nicht in den folgenden Tagen nach der Zustellung diese oder eine andere Sozialarbeiterin um Hilfe hätte bitten können. Dem Beschwerdeführer seien immerhin zwei Wochen zur Verfügung gestanden, um rechtliche Schritte einzuleiten. Auch wenn bei der Justizanstalt Korneuburg nicht konkret in Bezug auf den Beschwerdeführer angefragt worden sei, gelte der Standard für alle Insassen gleicher Maßen und daher auch für den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer sei daher nicht durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen das Aufenthaltsverbot gehindert gewesen. Jedenfalls treffe ihn vor dem dargestellten Hintergrund an der Versäumung der Frist nicht nur ein minderer Grad des Versehens.
Dagegen richtet sich die gegenständliche Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist unter anderem gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und dass sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der Aufenthalt einer - auch unvertretenen - Person in Haft ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein Grund, der es zuließe, die Unterlassung einer rechtzeitigen Berufungseinbringung als unverschuldet oder als ein über den minderen Grad des Versehens nicht hinausgehendes Verschulden zu werten. Auch das Zusammentreffen des Umstands der Freiheitsentziehung mit einer mangelnden Sprachkenntnis des Betroffenen vermag ohne das Hinzutreten eines ihn konkret treffenden Hinderungsgrundes, der über die allgemeine Situation eines in Haft befindlichen, der deutschen Sprache nicht mächtigen Fremden hinausgeht, die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu rechtfertigen (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2004/21/0139, mwN). Ein Verhinderungsgrund im Sinn des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG läge bei einem in Haft befindlichen Fremden dann vor, wenn nicht sichergestellt wäre, dass er während der Einengung seiner Freiheit den von ihm gewünschten Rechts- oder sonstigen Beistand rechtzeitig erhält (ohne ihm ständige Urgenzen zuzumuten), bzw. wenn ihm auch die Möglichkeit genommen wäre, trotz eines diesbezüglichen Wunsches eine Berufung verfassen und einbringen zu können. Unter diesem Gesichtspunkt kommt es darauf an, dass der Beschwerdeführer konkret in nachvollziehbarer Weise (zum Beispiel durch Nennung des Tages; der Aufsichtsperson) behauptet und glaubhaft macht, dass er in der Haft den Wunsch geäußert habe, in Kontakt mit einem Rechtsvertreter (sonstigen Beistand) gelangen zu können bzw. Schreibmaterialien zu erhalten, um selbst eine Berufung erheben zu können, und dass diese Wünsche abgelehnt oder ignoriert worden wären (vgl. auch dazu das bereits zitierte Erkenntnis vom ).
Am Maßstab dieser Rechtsprechung kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, dass sie den gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen hat.
Der Beschwerdeführer brachte in seinem Wiedereinsetzungsantrag zunächst bloß ganz allgemein vor, dass er wegen seiner Inhaftierung keine Möglichkeit zur rechtzeitigen Berufungserhebung gehabt habe. Nach der wiedergegebenen Rechtsprechung stellen aber weder der bloße Umstand einer Strafhaft noch die - in der Berufung nachgetragenen - Sprachschwierigkeiten einen ausreichenden Wiedereinsetzungsgrund dar. Auch dem in der Stellungnahme zur Auskunft der Justizanstalt Korneuburg erstatteten Vorbringen, dass die den Beschwerdeführer sonst betreuende Sozialarbeiterin (bei Zustellung des Bescheides) nicht anwesend gewesen sei, und der Justizwachebeamte dessen Inhalt nicht habe erklären können, sind keine konkreten weiteren Nachfragen des Beschwerdeführers betreffend eine Hilfestellung zur Berufungserhebung gegenüber dem sozialen Dienst zu entnehmen. Dass es sich um ein behördliches Schriftstück handelte, musste dem Beschwerdeführer jedoch schon nach dem äußeren Erscheinungsbild des ausgefolgten Bescheides und der formalisierten Zustellung bewusst gewesen sein. Das hat er im Verwaltungsverfahren auch nicht bestritten. Der Beschwerdeführer war daher nach der zitierten Judikatur gehalten, Schritte zur Erlangung von Hilfestellung zu setzen und diesbezüglich insbesondere auch mit den Bediensteten der Justizanstalt (des sozialen Dienstes) Kontakt aufzunehmen (vgl. das einen ähnlichen Fall betreffende Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0176). Soweit in der Beschwerde diesbezüglich erstmals vorgebracht wird, dass sich der Beschwerdeführer während seiner Haft bemüht habe, Kenntnis über den Inhalt des Schriftstücks zu erlangen und versucht habe, die zuständige Sozialarbeiterin zu kontaktieren, handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG).
Erhebungen der belangten Behörde in diese Richtung waren daher - entgegen der Meinung in der Beschwerde - nicht angezeigt.
Die belangte Behörde ist somit mängelfrei zum Ergebnis gelangt, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihn an einer Nichteinhaltung der Berufungsfrist kein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden treffe.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
VAAAE-93635