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VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0332

VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0332

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des D in W, vertreten durch Dr. Georg Uitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Doblhoffgasse 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 1147/04, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Dies begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wegen Hehlerei gemäß § 164 Abs. 2 und 3 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten rechtskräftig verurteilt worden sei. Diese Verurteilung habe den Beschwerdeführer nicht davon abgehalten, neuerlich straffällig zu werden. So sei er am vom Landesgericht St. Pölten wegen des Verbrechens des schweren Raubes (als Beteiligter) nach den §§ 12, 142 Abs. 1, 143 dritter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer mit Mittätern im März 2003 zwei weitere Täter zu einem Raubüberfall auf Stefan und Brigitte B. angestiftet habe, indem er sie zur Tat aufgefordert, ihnen das Haus der späteren Opfer gezeigt und reiche Beute in Aussicht gestellt habe. Beim Überfall seien die Opfer von den unmittelbaren Tätern gefesselt und geknebelt sowie gefoltert worden. Ihnen seien zahlreiche Fußtritte und Faustschläge versetzt sowie Brand- und Bisswunden zugefügt worden. Stefan B. habe dabei (u.a.) eine Bauchprellung mit Darmeinriss und beginnender Bauchfellentzündung, Rissquetschwunden sowie multiple Prellungen u.a. des rechten Augapfels mit Blutung in die Bindehäute und eine Bissverletzung am rechten Daumen erlitten. Brigitte B. habe einen Siebbeinbruch rechts, eine Prellung des rechten Augapfels mit Blutung in die Bindehäute, eine Rissquetschwunde am Unterlid des rechten Auges, eine Nasenprellung, eine Zerrung der rechten Ellenbeuge mit einem Riss der Seitenbänder, die Verletzung eines Nervs, Verbrennungen zweiten Grades an zwei Fingerspitzen sowie Abschürfungen am Knie davongetragen. Der Beschwerdeführer sei bei dieser Tat - die zwei Schwerverletzte zur Folge gehabt habe, die über einen langen Zeitraum besonderen Qualen ausgesetzt und in Todesangst versetzt gewesen seien - mit genauer Planung und arbeitsteiliger Ausführung vorgegangen.

Der Beschwerdeführer sei ab März 1989 bis Juli 1996 mit einer längeren Unterbrechung in Österreich gemeldet gewesen, wobei er zwischen und über entsprechende Sichtvermerke verfügt habe. Sein Antrag auf Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels sei mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom rechtskräftig abgewiesen worden. Am sei er wegen seines unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtskräftig bestraft worden. Erst über seinen Antrag vom sei dem - ab Dezember 1999 durchgehend im Bundesgebiet aufhältigen - Beschwerdeführer dann eine "Niederlassungsbewilligung Familiengemeinschaft" erteilt und in der Folge verlängert worden. Da der Ehefrau des Beschwerdeführers am die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei, habe er zuletzt über eine bis gültige Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittstaatsangehöriger eines Österreichers, § 49 Abs. 1 FrG" verfügt.

Im Hinblick auf diese Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin - so führte die belangte Behörde rechtlich aus - sei auf den Beschwerdeführer gemäß § 87 FPG die Bestimmung des § 86 Abs. 1 FPG anzuwenden. Auf Grund seines Gesamt(fehl)verhaltens bestehe jedoch kein Zweifel daran, dass die Voraussetzungen nach dieser Bestimmung erfüllt seien. In diesem Fall könne ein Aufenthaltsverbot - vorbehaltlich der §§ 61 und 66 FPG - erlassen werden, wobei der Beschwerdeführer vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts seinen Hauptwohnsitz noch nicht ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet gehabt habe.

Im Hinblick auf die familiären Bindungen zu seiner Ehegattin und den beiden Töchtern, die alle über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügten, ging die belangte Behörde von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus. Dessen ungeachtet sah sie die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele für dringend geboten und damit im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG für zulässig an. Das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche, dass er nicht gewillt sei, die maßgebenden Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine Verhaltensprognose könne daher keinesfalls zu seinen Gunsten gestellt werden. Dies umso weniger, als seine Taten weit reichende Folgen für die Opfer gehabt hätten. Ungeachtet seines mehr als neunjährigen inländischen Aufenthalts könne sich der Beschwerdeführer nicht mit Erfolg auf eine daraus ableitbare relevante Integration berufen. Diese erfahre bereits dadurch, dass die dafür erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich gemindert werde, eine wesentliche Relativierung. Auch von einer beruflichen Integration des Beschwerdeführers könne nicht ausgegangen werden, habe er doch zunächst keiner Beschäftigung nachgehen dürfen. Seit seiner Haftentlassung habe er lediglich wenige Tage, und dies bereits bei zwei verschiedenen Arbeitgebern, gearbeitet. Die massiven familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seien schließlich insofern zu relativieren, als er die letzten Jahre in Strafhaft verbracht habe. Den so geschmälerten privaten und familiären Interessen stünden die genannten, hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen, insbesondere jene an der Einhaltung strafrechtlicher Normen, gegenüber.

Die belangte Behörde kam nach Abwägung dieser Interessenlagen zum Ergebnis, dass die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wiegen würden als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von dieser Maßnahme. Im Hinblick auf die Art und die Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten könne auch nicht im Rahmen des Ermessens sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet in Kauf genommen werden. Auch weil der Beschwerdeführer bereits kurze Zeit nach seiner Einreise kriminell geworden sei, könne derzeit nicht vorhergesehen werden, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgebliche Grund weggefallen sein werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Mai 2009) geltende Fassung.

Gegen den Beschwerdeführer als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin, die ihr Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Der Beschwerdeführer weist unstrittig die dargestellten strafgerichtlichen Verurteilungen auf. Die Beschwerde wendet jedoch gegen die von der belangten Behörde getroffene Gefährdungsprognose ein, dass seine bedingte Entlassung aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe nicht berücksichtigt worden sei. Aus dem Umstand der bedingten Entlassung am lasse sich ableiten, dass er in der Haft eine positive Entwicklung durchgemacht habe. So sei das Vollzugsgericht zur Auffassung gelangt, dass die Zwecke des Strafvollzugs bei ihm erreicht seien und er daher vorzeitig aus der Freiheitsstrafe entlassen werde können. Dies beziehe sich auch auf die Gefährlichkeit "im Sinn der Vorschriften des FPG und der EMRK". Zudem sei die Schwere seiner Tat bereits vom Gericht beurteilt worden, was zur Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe geführt habe. Dies könne im fremdenpolizeilichen Verfahren nicht noch einmal zu seinem Nachteil herangezogen werden.

Diesem Beschwerdevorbringen ist zu entgegnen, dass die belangte Behörde das Fehlverhalten des Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von gerichtlichen Erwägungen zu beurteilen hatte (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0417, mwN). Ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters durch die Verbüßung der Freiheitsstrafe ist unter dem Blickwinkel des hier maßgeblichen Fremdenrechts jedoch in erster Linie daran zu messen, innerhalb welchen Zeitraums sich der Fremde nach der Entlassung aus der Strafhaft in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0255 mwN). Im Hinblick auf die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers am war dieser Zeitraum von lediglich etwas mehr als einem Monat bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides jedoch noch bei weitem zu kurz, um auf eine wesentliche Minderung oder gar den Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung schließen zu können. Überdies handelt es sich bei einem Aufenthaltsverbot nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht um eine Strafe, sondern um eine im öffentlichen Interesse erlassene administrativ-rechtliche Maßnahme (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0135, mwN), weshalb die in der Beschwerde angedeutete, nach Meinung des Beschwerdeführers unzulässige Doppelverwertung der Straftaten des Beschwerdeführers (Verhängung einer weiteren Strafe wegen derselben strafbaren Handlung) nicht vorliegt.

Angesichts der dargestellten, besonders brutalen Ausführung des vom Beschwerdeführer geplanten und initiierten Raubüberfalls, der massive Folgen für die Verbrechensopfer hatte, und unter Berücksichtigung auch des besonders raschen einschlägigen Rückfalls des Beschwerdeführers, der schon bald nach seiner letzten Einreise in das Bundesgebiet ein Eigentumsdelikt begangen hatte, hat die belangte Behörde im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der mit Gewalt verbundenen Eigentumskriminalität (vgl. abermals das Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0417, mwN) somit zu Recht den erhöhten Gefährdungsmaßstab im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG als erfüllt angenommen.

Wenn die Beschwerde auch in diesem Zusammenhang auf die familiären Bindungen im Bundesgebiet hinweist, ist ihr zu entgegnen, dass diese den Beschwerdeführer schon bisher nicht von der Begehung der Straftaten abhalten konnten.

Der Beschwerdeführer wendet sich ferner gegen die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung. Er bringt dazu vor, dass er mit seiner Familie ein "vorbildliches Privat- und Familienleben" führe und sozial integriert sei. Er sei zudem voll in den Arbeitsprozess eingegliedert, sodass seine Abschiebung ein Eingriff in sein Privat- und Familienleben und nicht "im Interesse der schuldlosen Familie" wäre.

Diesen Ausführungen kommt keine Berechtigung zu, hat die belangte Behörde doch ohnedies die Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin und die im gemeinsamen Haushalt lebenden minderjährigen Kinder, die ebenfalls über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügen, ausreichend in ihre Interessenabwägung einbezogen, weshalb sie auch von einem "massiven" Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ausging. In der Interessenabwägung der belangten Behörde hat zudem der mehrjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich hinlänglich Berücksichtigung gefunden. Auch der Feststellung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer vor seiner Inhaftierung nicht rechtmäßig habe arbeiten können und seit seiner Haftentlassung lediglich wenige Tage einer Beschäftigung nachgegangen sei, tritt die Beschwerde nicht konkret entgegen. Den gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet stellte die belangte Behörde aber zu Recht die massive Gefährdung öffentlicher Interessen an der Unterbindung von Straftaten der vorliegenden Art gegenüber. Demnach erweist sich die Ansicht der belangten Behörde, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei und die persönlichen Interessen die gegenläufigen öffentlichen Interessen nicht überwiegen nicht als rechtswidrig. In diesem Fall ist eine Trennung des Beschwerdeführers von seinen Familienangehörigen im öffentlichen Interesse hinzunehmen.

Schließlich ist auch kein ausreichender Grund ersichtlich, wonach es geboten gewesen wäre, im Rahmen der Ermessensentscheidung von der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am