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VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0329

VwGH vom 20.12.2012, 2011/23/0329

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des V in L, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 1694/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein armenischer Staatsangehöriger, reiste am illegal nach Österreich ein. Am stellte er einen Asylantrag. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom wurde dieser Antrag abgewiesen und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in sein Herkunftsland festgestellt. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2006/19/0593, abgelehnt.

Davor war der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB und der Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von neun Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dem Schuldspruch lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am in Linz die Wohnungstür eingetreten und seiner Lebensgefährtin anschließend Faustschläge und Fußtritte versetzt habe, wodurch diese zahlreiche Prellungen und Hämatome im Gesicht und am Hals erlitten habe. Weiters habe er sie Ende Jänner 2004 und am durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Wiederaufnahme der Beziehung zu nötigen versucht. Überdies habe er sie durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Körperverletzung zur Unterlassung der Anzeigenerstattung bei der Polizei in vier Fällen zu nötigen versucht; ebenso habe er eine Freundin der Lebensgefährtin zu nötigen versucht, ihm bei der Versöhnung behilflich zu sein.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom war der Beschwerdeführer weiters wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt und die mit Urteil vom festgesetzte Probezeit auf fünf Jahre verlängert worden, weil er am der Bundespolizeidirektion Linz einen gefälschten russischen Führerschein vorgelegt habe.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß §§ 86, 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf sechs Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte sie nach Darstellung der genannten strafgerichtlichen Verurteilungen aus, dass der Beschwerdeführer in seinem Asylverfahren gegenüber verschiedenen Behörden mehrere Alias-Namen verwendet habe. Gegen ihn habe bei Stellung seines Asylantrags laut Schengener Informationssystem ein von der Bundesrepublik Deutschland erlassenes und bis gültiges Einreise-/Aufenthaltsverbot für den Schengenraum bestanden.

Der Beschwerdeführer habe im November 2004 in Linz seine Lebensgefährtin geheiratet, die in der Folge nach Wien gezogen sei. Am habe sie die Polizei verständigt und dabei angegeben, dass der Beschwerdeführer sie in der Vergangenheit öfters geschlagen habe und zu Wutausbrüchen neige, sodass sie Angst vor ihm habe. Gegen den Beschwerdeführer sei deshalb am eine Wegweisung - ein Betretungsverbot gemäß § 38a Sicherheitspolizeigesetz - erlassen worden.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer nicht mehr der Status eines Asylwerbers zukomme. Seiner Ehegattin sei zwischenzeitlich die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden, weshalb für ihn nun § 87 FPG iVm § 86 FPG gelten würde.

Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG sei der Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen. Der Tatbestand gemäß Z 1 dieser Bestimmung sei auf Grund der erwähnten Verurteilungen erfüllt. Zudem stelle das Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, sodass sich auch die in § 86 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme als gerechtfertigt erweise. Die Verurteilung aus dem Jahr 2004 und das im November 2006 gegen ihn erlassene Betretungsverbot ließen nachhaltig erkennen, dass der Beschwerdeführer ein hohes Aggressionspotential aufweise.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG berücksichtigte die belangte Behörde die Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin und die Anwesenheit eines Neffen des Beschwerdeführers in Österreich. Auf Grund des bisherigen Aufenthalts und der familiären Bindungen sowie einer nicht ganz ein Jahr ausgeübten Beschäftigung ging die belangte Behörde von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus. Dessen ungeachtet sei diese Maßnahme im Grunde des § 66 FPG zulässig. Angesichts der seinen Verurteilungen zu Grunde liegenden Straftaten und der darin zum Ausdruck kommenden Missachtung der körperlichen Integrität Dritter sei das Aufenthaltsverbot gegen ihn zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Zuverlässigkeit von Urkunden (Art. 8 Abs. 2 EMRK) als dringend geboten zu erachten. Das Fehlverhalten liege auch noch nicht so lange zurück, um auf Grund des seither verstrichenen Zeitraums eine wesentliche Verringerung der von ihm ausgehenden Gefahr für die besagten öffentlichen Interessen annehmen zu können. Der Beschwerdeführer sei im März 2004 rechtskräftig verurteilt worden, weil er seine (nunmehrige) Gattin vorsätzlich verletzt und genötigt habe. Im November 2006 habe ungeachtet dieser Verurteilung eine Wegweisung seiner Person aus der Wohnung seiner Ehegattin erlassen werden müssen. Die aus seinem Aufenthalt und den privaten Interessen ableitbare Integration sei daher in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die von ihm begangenen Straftaten erheblich gemindert. Bei Abwägung der wechselseitigen Interessen kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Situation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von dieser Maßnahme. Angesichts des öffentlichen Interesses an der Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet seien die mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Auswirkungen auf seine Lebenssituation in Kauf zu nehmen.

Die belangte Behörde sah auch keine Möglichkeit, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen und begründete abschließend die Dauer der verhängten Maßnahme näher.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Mai 2009) geltende Fassung.

Der Beschwerdeführer wendet sich u.a. gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Gefährdungsprognose und bringt dazu zusammengefasst vor, dass er sich seit der letzten Verurteilung vier Jahre wohlverhalten habe. Er sei familiär gut integriert und lebe derzeit in einer aufrechten Lebensgemeinschaft. Die Wegweisung am sei ausschließlich auf Grund der Angaben seiner Gattin erfolgt. Die von ihr behaupteten Misshandlungen seien in keiner Weise objektiviert worden.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine relevante Mangelhaftigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Gegen den Beschwerdeführer als Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 86 Abs. 1 FPG (iVm § 87 FPG) nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 86 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. dazu das Erkenntnis vom , 2011/23/0160, mwN).

Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang zunächst außer Acht gelassen, dass das den Verurteilungen zu Grunde liegende strafbare Verhalten bereits im Jänner bzw. März 2004 gesetzt worden war. Es lag bei Erlassung des angefochtenen Bescheides daher bereits mehr als fünf Jahre zurück. Die über den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafen wurden zur Gänze bedingt nachgesehen. Selbst die auf fünf Jahre verlängerte Probezeit des ersten Urteils war bei Bescheiderlassung - offenbar -

bereits ohne Widerruf abgelaufen. Diese Zeit des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde nicht erkennbar in ihre Gefährdungsprognose einbezogen. Das Verhalten des Fremden muss jedoch - wie bereits ausgeführt - eine gegenwärtige erhebliche Gefahr darstellen, um den Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG zu erfüllen.

Die belangte Behörde hat bei ihrer Prognosebeurteilung insoweit auch nicht erkennbar beachtet, dass die der ersten Verurteilung des Beschwerdeführers zugrundeliegenden Straftaten mit einer möglichen Auflösung der Beziehung zu seiner damaligen Lebensgefährtin im Zusammenhang gestanden sind. Nach dem Strafurteil von November 2005 heiratete diese Frau den Beschwerdeführer jedoch. Die Ehe und die häusliche Gemeinschaft waren nach den Annahmen im angefochtenen Bescheid auch nach wie vor aufrecht. Es hätte daher einer eingehenden Begründung bedurft, weshalb vom Beschwerdeführer nach wie vor (gegenwärtig) eine Gefahr im dargestellten Sinn ausgeht. Die von der belangten Behörde für die Gefährdungsprognose ebenfalls herangezogene Wegweisung des Beschwerdeführers aus der Ehewohnung erfüllt für sich genommen nicht einmal einen der in § 60 Abs. 2 FPG aufgezählten Tatbestände. Es fehlen in diesem Zusammenhang aber auch - wie die Beschwerde zu Recht bemängelt - konkrete Feststellungen jener Umstände, die zur Wegweisung führten.

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, wobei die darin angeordnete Pauschalierung den (gesonderten) Zuspruch von Umsatzsteuer nicht vorsieht, weshalb das Mehrbegehren abzuweisen war.

Wien, am