VwGH vom 24.02.2016, Ra 2015/08/0209
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Mag. Berger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Gänserndorf gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W209 2112191-1/3E, betreffend Arbeitslosengeld (mitbeteiligte Partei: A T in L, vertreten durch Dr. Borns Rechtsanwalts GmbH Co KG in 2230 Gänserndorf, Dr. Wilhelm Exner-Platz 6), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht dem Mitbeteiligten ab Arbeitslosengeld "im gesetzlich vorgesehenen Ausmaß" zuerkannt. Er erfülle die "große Anwartschaft" gemäß § 14 Abs. 1 AlVG (iVm § 12 Abs. 4 AlVG) und studiere seit September 2014 an der Hochschule F in Deutschland im sechsten von acht Semestern angewandte Chemie. Er besuche von Montag bis Mittwoch Vorlesungen im Ausmaß von zehn Wochenstunden und kehre dann für den Rest der Woche an seinen Wohnort nach Österreich zurück. Während der Ausbildungszeiten stehe er der Arbeitsvermittlung von Donnerstag (ab dem späten Vormittag) bis Samstag ganztägig zur Verfügung. In den ausbildungsfreien Zeiten (Ferien) stehe er der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt zur Verfügung. Er übe ehrenamtliche Tätigkeiten als Vereinsobmann-Stellvertreter des Musikvereins und als Gemeinderat der Marktgemeinde L aus. Für seine Tätigkeit als Gemeinderat beziehe er monatlich eine Aufwandsentschädigung, die im April 2015 EUR 264,19 betragen habe. Die Veranstaltungen des Musikvereins würden sich auf die Wochenenden und auf die Feiertage, und zwar meistens auf die späten Nachmittagsbzw. frühen Abendstunden konzentrieren. Die Gesamtbelastung des Mitbeteiligten durch sein Studium in Deutschland, die Vor- und Nachbereitungszeiten sowie seine freiwilligen Tätigkeiten würde wöchentlich 19 Stunden betragen. Sein freiwilliges Engagement stehe der Aufnahme und der Ausübung einer Beschäftigung im Ausmaß von mindestens 20 Wochenstunden nicht entgegen, zumal er es einer Beschäftigung unterordnen würde. In Wien und Umgebung existierten 35 internationale Industriebetriebe, "die üblicherweise Voll- oder Teilzeitstellen im Bereich Chemie-Betriebsmanagement oder Marketing anbieten". Es könne "in aller Regel angenommen werden", dass die genannten Betriebe auch Teilzeitstellen anbieten würden.
2 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, § 12 Abs. 4 AlVG beschränke sich auf die Regelung, ob Arbeitslosigkeit vorliege. Die Verfügbarkeit iSd § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG sei gesondert zu prüfen. Dem Mitbeteiligten stünde Arbeitslosengeld nur dann zu, wenn er sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Voraussetzungen entsprechenden zumutbaren Beschäftigung mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von mindestens 20 Stunden bereit halte. Der Arbeitslose müsse bereit und in der Lage sein, jederzeit eine sich bietende Arbeitsmöglichkeit zumindest im Umfang der Verfügbarkeitsgrenze (gemäß § 7 Abs. 7 AlVG im vorliegenden Fall mindestens 20 Stunden) tatsächlich aufzunehmen und dürfe nicht durch eine anderweitige zeitliche Inanspruchnahme daran gehindert sein. Dies sei hier nicht der Fall, weil sich der Mitbeteiligte von Donnerstag bis Samstag zur Aufnahme einer seiner Ausbildung entsprechenden Beschäftigung bereit halte und sein freiwilliges Engagement, das sich ohnehin auf die Wochenenden bzw. Abendstunden konzentriere, einer Beschäftigung unterordnen würde. Derartige Beschäftigungen würden auch angeboten. Im Großraum Wien würden internationale Industriebetriebe existieren, die üblicherweise Stellen - darunter auch Teilzeitstellen - im Bereich Chemie-Betriebsmanagement und Marketing anböten. Auch eine Vermittlung "im Gastgewerbe und Tourismus" komme in Betracht. Die Verfügbarkeit des Mitbeteiligten im Sinn des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG sei gegeben. Ihm sei Arbeitslosengeld ab Geltendmachung "im gesetzlichen Ausmaß" zuzuerkennen. Soweit während seines Auslandsaufenthaltes von Montag bis Mittwoch ex lege ein Ruhen des Anspruches eintrete (§ 16 Abs. 1 lit. g AlVG), werde darauf hingewiesen, dass gemäß § 16 Abs. 3 AlVG die Möglichkeit einer Nachsicht von dieser Folge bestehe, zumal im gegenständlichen Fall Umstände vorliegen würden, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen sein könnten (Auslandsaufenthalt, um sich einer Ausbildung zu unterziehen). Die Entscheidung darüber obliege jedoch dem revisionswerbenden Arbeitsmarktservice nach Anhörung des Regionalbeirates.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der er die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
4 Das revisionswerbende Arbeitsmarktservice bringt vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG insoweit abgewichen, als der Sachverhalt (infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung) nicht ausreichend erhoben worden sei. Es gebe keine einzige Teilzeitstelle als Chemiker. Eine Teilzeitstelle als Küchenhilfe sei für die Zeit von 10.00 Uhr bis 15.00 Uhr mit Ruhetag Montag und Dienstag angeboten worden. Helferstellen von Donnerstag bis Sonntag seien im Bezirk G nicht vorhanden. Eine Zuweisung im Gastgewerbe und Tourismus wäre auf Grund der Ausbildung des Mitbeteiligten gemäß § 9 AlVG während seines Arbeitslosengeldbezuges nicht zumutbar.
5 Die Revision ist zulässig und im Ergebnis berechtigt:
Unstrittig ist, dass der Mitbeteiligte die Voraussetzung des § 12 Abs. 4 iVm § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG ("große Anwartschaft") erfüllt. Er gilt während seiner Ausbildung als arbeitslos, sodass nur seine Verfügbarkeit zu prüfen ist. Der Verwaltungsgerichtshof stellt in derartigen Fallkonstellationen im Hinblick auf das Verfügbarkeitserfordernis des § 7 Abs. 3 Z 1 iVm Abs. 7 AlVG darauf ab, ob auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise Beschäftigungen mit Dienstzeiten, die den konkreten freien Kapazitäten der arbeitslosen Person entsprechen und die die Verfügbarkeitsgrenze übersteigen, angeboten werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2010/08/0092, vom , Zl. 2011/08/0373, und vom , Ro 2014/08/0034). Die - zudem auf nicht näher begründete Vermutungen gestützten - allgemein gehaltenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts reichen nicht aus, um die dargestellte konkrete Frage unter Berücksichtigung des Verweisungsfeldes des § 9 AlVG beantworten zu können.
6 Die Revisionswerberin bringt weiters vor, das Verwaltungsgericht habe weder ihren ursprünglichen Bescheid vom noch ihre Beschwerdevorentscheidung vom ausdrücklich aufgehoben, sondern lediglich der
Beschwerde "gegen einen nicht existierenden Bescheid ... vom
stattgegeben". Beschwerdegegenstand des Vorlageantrags sei die Beschwerdevorentscheidung vom . Darüber sei eine Entscheidung noch offen.
7 Das Verwaltungsgericht ist auf Grund einer Beschwerde gegen den genannten Erstbescheid sowie auf Grund eines Vorlageantrags zur Entscheidung über die Sache des vorliegenden Verfahrens zuständig geworden. Es hat dem Mitbeteiligten Arbeitslosengeld "im gesetzlichen Ausmaß" zuerkannt, sohin die Feststellung getroffen, dass ihm das Arbeitslosengeld in Ansehung der Erfüllung der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AlVG dem Grunde nach gebührt. Damit hat es die Sache meritorisch nur zum Teil erledigt. Es hat die Entscheidung über die Höhe des Arbeitslosengeldes offen gelassen, jedoch von einem Beschluss iSd § 28 Abs. 3 zweiter und dritter Satz VwGVG Abstand genommen. Es kann im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens, in dem es nur um die Rechtmäßigkeit der genannten Feststellung geht, dahingestellt bleiben, ob diese Vorgangsweise des Verwaltungsgerichts insbesondere im Hinblick auf die Entscheidungspflicht (§ 34 Abs. 1 VwGVG) zulässig bzw. prozessökonomisch sinnvoll war (vgl. zu ähnlichen prozessualen Vorgangsweisen § 82 bzw. § 89 ASGG), zumal sich keine der Parteien dagegen ausgesprochen hat. Die von der Revisionswerberin aufgeworfene Frage, ob das Verwaltungsgericht einen nicht dem Rechtsbestand angehörenden Bescheid aufgehoben bzw. über einen dem Rechtsbestand angehörenden nicht entschieden hat, stellt sich in Anbetracht der den Streitgegenstand nicht überschreitenden, rein meritorischen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes nicht.
8 Das Erkenntnis war im Hinblick auf den auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung beruhenden Feststellungsmangel gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Wien, am