VwGH vom 08.08.2018, Ra 2015/08/0177
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Julcher sowie den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des O S in Wien, vertreten durch die Partnerschaft Schuppich Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Falkestraße 6, gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-041/V/083/7577/2015-11, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit dem (im zweiten Rechtsgang gefällten) Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der S GmbH, welche unbeschränkt haftende Gesellschafterin der K & Partner OG (im Folgenden nur: OG) sei, und damit als deren gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener unterlassen, die von der OG als Dienstgeberin bei Veranstaltungen vom 24. bis zum und vom
1. bis zum mit dem Verkauf von Pizzen beschäftigte, nach dem ASVG in der Krankenversicherung (im Rahmen einer Vollversicherung) pflichtversicherte M S vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden. Er habe hierdurch Verwaltungsübertretungen nach § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG begangen und werde mit zwei Geldstrafen von je EUR 2.700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je 6 Tage und 18 Stunden) zuzüglich Kosten belegt. Die OG hafte für die Geldstrafen, die auferlegten Verfahrenskosten und sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen nach § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand.
1.2. Die belangte Behörde begründete das Straferkenntnis im Wesentlichen wie folgt:
Der Revisionswerber habe eingewendet, dass M S nicht mit dem Verkauf von Pizzen beauftragt bzw. beschäftigt gewesen wäre. Sie wäre vielmehr mit der selbständigen Entwicklung der technischen Umsetzung und Herstellung der mobilen Pizzastände, deren Aufstellen und Inbetriebnahme bei den Veranstaltungen sowie der Einschulung des Personals in Bezug auf die technischen Gegebenheiten mit dem Ziel einer Effizienzsteigerung betraut gewesen. Im Rahmen dieses Auftrags hätte M S keine persönliche Arbeitspflicht getroffen, sie wäre auch nur sachlich weisungsgebunden gewesen, eine Bindung in Bezug auf das arbeitsbezogene Verhalten sowie in Bezug auf Weisungs- und Kontrollbefugnisse der OG hätte nicht bestanden, eine Einbindung in die Betriebsorganisation wäre nicht erfolgt. M S hätte die Leistungen im Rahmen des von ihr ausgeübten Gewerbes erbringen müssen und wäre dabei nach dem GSVG pflichtversichert gewesen. Im Hinblick darauf wäre auch ein Verschulden des Revisionswerbers jedenfalls auszuschließen.
Diesen Einwendungen komme jedoch - so das Verwaltungsgericht weiter - keine Berechtigung zu. M S sei bei der Kontrolle durch die Finanzpolizei am im Pizza-Verkaufsstand der OG angetroffen worden, als sie gemeinsam mit einem weiteren Dienstnehmer Pizzen verkauft habe. Sie habe dabei als verantwortliche Person und Ansprechpartnerin agiert und sei in den ganzen Geschäftsablauf eingebunden gewesen. Sie habe ausschließlich ihre Arbeitszeit zur Verfügung gestellt, ein eigenständiges Werk habe nicht festgestellt werden können. Für die aufgewendete Arbeitszeit habe sie pauschal EUR 600,-- netto je Veranstaltung verrechnet, das Entgelt sei daher über der Geringfügigkeitsgrenze gelegen. M S sei im Hinblick auf ihre persönliche und auch wirtschaftliche Abhängigkeit von der OG in einem die Vollversicherungspflicht begründenden meldepflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Zwar verfüge sie auch über eine Gewerbeberechtigung ("Entwurf der äußeren Form von Produkten nach rein optischen und geschmacklichen Gesichtspunkten (...)"), eine Tätigkeit in deren Rahmen erscheine aber nicht gegeben. Die Verwaltungsübertretung durch den Revisionswerber sei daher in objektiver Hinsicht als erwiesen anzusehen. Ein mangelndes Verschulden sei nicht dargetan worden, sodass auch die subjektiven Voraussetzungen für eine Bestrafung gegeben seien.
2.1. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde. Er wiederholte darin im Wesentlichen die bereits im Verfahren getätigten Einwendungen. Weiters brachte er vor, die belangte Behörde habe die Tat (im Spruch der Entscheidung) nicht hinreichend konkretisiert, weil nicht zu entnehmen sei, auf Grund welcher Tatsachen sie vom Vorliegen eines versicherungspflichtigen Dienstverhältnisses gemäß § 4 Abs. 2 ASVG mit einem Entgelt über der Geringfügigkeitsgrenze ausgegangen sei. Ferner bekämpfte der Revisionswerber die Höhe der verhängten Strafen.
2.2. Das Verwaltungsgericht beraumte die mündliche Verhandlung für den an und lud (unter anderem) M S zur zeugenschaftlichen Einvernahme. Diese teilte mit Schreiben vom mit, dass sie an der Verhandlung wegen einer Auslandsreise nicht teilnehmen könne.
2.3. In der mündlichen Verhandlung führte das Verwaltungsgericht die Parteienvernehmung des Revisionswerbers durch.
Das Verwaltungsgericht nahm auch weitere Beweismittel zum Akt, darunter ein in Rechtskraft erwachsenes Straferkenntnis der belangten Behörde vom , mit dem der weitere unbeschränkt haftende Gesellschafter (der OG) T K schuldig erkannt wurde, er habe es als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener unterlassen, die von der OG als Dienstgeberin bei den (schon genannten) Veranstaltungen mit dem Verkauf von Pizzen beschäftigte, nach dem ASVG in der Krankenversicherung pflichtversicherte M S vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden, und habe hierdurch Verwaltungsübertretungen nach § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG begangen.
In Bezug auf die Zeugin M S hielt das Verwaltungsgericht fest, dass diese zur Verhandlung entschuldigt nicht erschienen sei. Daraufhin stellte der Revisionswerber einen ausdrücklichen Antrag auf Einvernahme der M S zum Beweis dafür, dass kein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis vorgelegen sei. Das Verwaltungsgericht wies diesen Antrag ab.
3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Revisionswerbers insoweit Folge, als es die über ihn verhängten Geldstrafen auf je EUR 2.180,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je 6 Tage) und auch die auferlegten Kosten verhältnismäßig herabsetzte. Im Übrigen gab es der Beschwerde keine Folge.
3.2. Das Verwaltungsgericht traf die Feststellungen, dass es der Revisionswerber als handelsrechtlicher Geschäftsführer der
S GmbH, die unbeschränkt haftende Gesellschafterin der OG sei, und damit als deren gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener unterlassen habe, die von der OG als Dienstgeberin bei den Veranstaltungen vom 24. bis zum und vom
1. bis zum mit dem Verkauf von Pizzen beschäftigte, nach dem ASVG in der Krankenversicherung (im Rahmen einer Vollversicherung) pflichtversicherte M S vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden.
Das Verwaltungsgericht stellte weiters fest, dass - laut dem im Parallelverfahren gefällten und in Rechtskraft erwachsenen Straferkenntnis gegen T K - auch dieser als unbeschränkt haftender Gesellschafter der OG und damit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener unterlassen habe, die von der OG als Dienstgeberin bei den genannten Veranstaltungen mit dem Verkauf von Pizzen beschäftigte, nach dem ASVG in der Krankenversicherung pflichtversicherte M S vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden.
3.3. In der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, den Feststellungen liege der im Straferkenntnis gegen T K rechtskräftig festgestellte idente Sachverhalt zugrunde.
Zur Ablehnung des Antrags auf Vernehmung der M S (zum Beweis dafür, dass ein Dienstverhältnis nicht vorliege) hielt das Verwaltungsgericht fest, dass über diese Tatsache bereits die rechtskräftige Entscheidung gegen T K vorliege.
Wie das Verwaltungsgericht weiters hervorhob, sei auf Grund der Feststellung der Dienstnehmereigenschaft der M S im Straferkenntnis gegen T K auf die gegenteiligen Argumente in der Beschwerde nicht mehr einzugehen gewesen.
Die sonstigen Rechtsausführungen betrafen den auf die Verwaltungsübertretungen anzuwendenden Strafsatz, die für die Strafbemessung maßgeblichen Kriterien sowie das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für ein Absehen von der Fortführung des Verfahrens unter Ausspruch einer Einstellung oder Ermahnung.
3.4. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei, weil eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht zu beurteilen gewesen sei.
4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag auf Aufhebung der Entscheidung und Einstellung des Verfahrens.
Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen, indem es unrichtigerweise von einer Bindung an das rechtskräftige Straferkenntnis gegen T K ausgegangen sei. Es habe dadurch die ihm obliegende Beurteilung, ob der Revisionswerber den angelasteten Verwaltungsstraftatbestand verwirklicht habe, zu Unrecht unterlassen und insbesondere verabsäumt, auf Grundlage des durchgeführten Ermittlungsverfahrens eigenständige Feststellungen zu treffen.
Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung erkennbar mit dem Begehren, die Revision als unbegründet abzuweisen.
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
6.1. Das Verwaltungsgericht nahm auf Grund des in Rechtskraft erwachsenen Straferkenntnisses gegen T K eine Bindungswirkung dahingehend an, dass im Verwaltungsstrafverfahren gegen T K die Frage des Vorliegens eines sozialversicherungspflichtigen Dienstverhältnisses der M S und einer schuldhaften Meldepflichtverletzung durch die Vertreter der OG als abschließend geklärt zu erachten sei, und legte daher dieses Ergebnis ohne eine eigenständige Beurteilung (vor allem ohne Vornahme der erforderlichen Feststellungen) dem Straferkenntnis gegen den Revisionswerber zugrunde.
6.2. Das Verwaltungsgericht ließ dabei jedoch - wie der Revisionswerber zutreffend rügt - die Grenzen der Rechtskraft des gegen T K ergangenen Straferkenntnisses außer Acht. Jenes Straferkenntnis entfaltet nämlich eine Bindungswirkung nur dahingehend, dass der Bestrafte es gegen sich gelten lassen muss, die im Spruch umschriebene Tat begangen zu haben (vgl. ). Eine weiterreichende Bindung, wonach die rechtskräftige Bestrafung des T K auch die Bestrafung einer anderen Person (des Revisionswerbers) wegen desselben Sachverhalts in einem anderen Verfahren nach sich ziehen müsse, ist damit nicht verbunden (vgl. eingehend ).
7.1. Zu diesem Ergebnis gelangt man auch auf Grundlage des § 38 AVG, wobei es vorliegend schon an der vorausgesetzten Vorfragenkonstellation fehlt.
7.2. Nach § 38 AVG ist die Behörde (das Verwaltungsgericht) berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Behörden oder Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung der Entscheidung zugrunde zu legen. Die Behörde (das Verwaltungsgericht) kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage in dem anderen bereits anhängigen oder gleichzeitig anhängig gemachten Verfahren aussetzen.
Die Behörde (das Verwaltungsgericht) kann also eine sich stellende Vorfrage (siehe zur Definition ) - bis zur rechtskräftigen Entscheidung als Hauptfrage durch die zuständige Behörde oder ein Gericht in einem anderen Verfahren - nach eigener Überzeugung selbst beurteilen. Erst wenn die betreffende Vorfrage in dem anderen Verfahren als Hauptfrage rechtskräftig entschieden wurde, kommt eine Bindung innerhalb der Grenzen der Rechtskraft in Betracht (vgl. ; neuerlich Ra 2017/08/0022; je mwN).
7.3. Soweit es vorliegend um die Frage geht, ob ein versicherungspflichtiges Dienstverhältnis im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG mit M S bestand, stellte sich diese Frage zwar bereits im Verwaltungsstrafverfahren gegen T K, war dort aber - wie hier - ebenso als Vorfrage zu beurteilen. Gegenstand (Hauptfrage) jenes Verfahrens war nämlich nicht ein Abspruch rechtsfeststellender Natur über den Bestand eines meldepflichtigen Dienstverhältnisses mit M S durch die dafür sachlich zuständige Behörde, der allenfalls eine Bindungswirkung hätte zukommen können (vgl. neuerlich VwGH 98/08/0419), sondern ein Abspruch über die angelasteten Verwaltungsübertretungen, bei dem die Frage der Versicherungspflicht eben nur vorfrageweise zu lösen ist.
Was die weitere Frage betrifft, ob dem Revisionswerber eine schuldhafte Meldepflichtverletzung anzulasten ist, so stellt diese Frage im Verwaltungsstrafverfahren gegen den Revisionswerber die Hauptfrage (Verwirklichung des angelasteten Straftatbestands in objektiver und subjektiver Hinsicht) dar. Diese Frage unterliegt nämlich nicht der Beurteilung durch eine andere zuständige Behörde oder ein Gericht in einem anderen Verfahren als Hauptfrage, vielmehr ist zur Entscheidung ausschließlich die belangte Behörde als Verwaltungsstrafbehörde berufen. In dem Sinn vertritt auch der Verwaltungsgerichtshof, dass die Beurteilung, ob ein Beschuldigter einen verwaltungsstrafrechtlichen Tatbestand verwirklicht hat und ihm das erforderliche Verschulden anzulasten ist, allein der Verwaltungsstrafbehörde zukommt (vgl. etwa , mwN).
7.4. Nach dem Gesagten stehen die sich in den beiden Verfahren stellenden Fragen zueinander nicht im Verhältnis einer Vorfrage zu einer Hauptfrage im Sinn des § 38 AVG, handelt es sich doch einmal (betreffend die Frage nach einem versicherungspflichtigen Dienstverhältnis) in beiden Verfahren um Vorfragen und einmal (betreffend die Frage nach einer schuldhaften Meldepflichtverletzung) in beiden Verfahren um Hauptfragen.
Davon ausgehend war aber das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren jedenfalls verpflichtet, die erörterten Fragen selbst zu beurteilen und diese Beurteilung seinem Erkenntnis zugrunde zu legen.
8. Indem das Verwaltungsgericht - irriger Weise - von einer Bindung an das Straferkenntnis gegen T K ausging und demzufolge keine eigenständigen Feststellungen traf, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Das Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
9. Mit Blick auf das fortgesetzte Verfahren ist ergänzend festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht - wie der Revisionswerber zutreffend moniert - auch von der beantragten zeugenschaftlichen Einvernahme der M S zu Unrecht Abstand genommen hat (vgl. dazu etwa ).
Das Verwaltungsgericht wird daher dem Antrag auf Einvernahme der - zur mündlichen Verhandlung am entschuldigt nicht erschienenen - Zeugin im fortgesetzten Verfahren zu entsprechen haben.
10. Die Zuerkennung des Aufwandersatzes beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2015080177.L00 |
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