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VwGH vom 18.10.2012, 2011/23/0322

VwGH vom 18.10.2012, 2011/23/0322

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des I in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/132957/2009, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein 1959 geborener Staatsangehöriger von Kroatien, hält sich seit April 1981 rechtmäßig in Österreich auf; seit Dezember 2005 verfügt er über einen Niederlassungsnachweis.

Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs. 2, Abs. 4 und 5 erster Fall Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG - in der Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer von zumindest März 2005 bis Februar 2007 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Mittätern gewerbsmäßig als Mitglied einer kriminellen Vereinigung in mehreren Fällen die rechtswidrige Einreise von insgesamt rund 70 Fremden, vorwiegend moldawischen Staatsangehörigen, nach Österreich bzw. nach Italien gefördert habe. Er sei dabei in direktem telefonischen und persönlichen Kontakt mit einer moldawischen Staatsangehörigen und deren Schlepperorganisation gestanden, in deren Auftrag er die geschleppten Fremden teils kurzfristig in seinem Gasthaus in Kroatisch Geresdorf untergebracht habe. Weiters habe er deren Verbringung nach Italien entweder selbst durchgeführt oder dafür Fahrer organisiert, wobei er pro geschleppter Person EUR 300,-- erhalten habe.

Im Hinblick auf diese Verurteilung erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 5 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Sie begründete dies damit, dass angesichts der Verurteilung der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 5 FPG erfüllt sei. Der Beschwerdeführer habe in der bestens organisierten Schleppervereinigung eine Schlüsselposition inne gehabt und so von März 2005 bis Februar 2007 rund 70 Personen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschleppt. Pro Person sei von den Geschleppten an die moldawische Organisation ein Schlepperlohn von EUR 2.000,-- bis EUR 4.000,-- entrichtet worden. Der Beschwerdeführer habe auf diese Weise eine Vielzahl von Menschen unter Ausnützung ihrer Not und ihres Elends, bloß um einen materiellen Vorteil zu erlangen, in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschleppt und dadurch die fundamentalen Regelungen einer geordneten Zuwanderung untergraben. Hinzu komme die durch das Fördern der entgeltlichen Schlepperei zum Ausdruck gebrachte Missachtung der Grundwerte der österreichischen Gesellschaft. Dieser Sachverhalt rechtfertige die Annahme, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde. Die Erlassung des Aufenthaltsverbots sei zur Verhinderung strafbarer Handlungen und damit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten.

Der Beschwerdeführer sei erst seit dem Jahr 2005 hier niedergelassen. Bereits im März 2005, bevor er einen Niederlassungsnachweis beantragt habe, habe er sich der kriminellen Vereinigung angeschlossen, um Schlepperei zu betreiben. Der langjährige Aufenthalt stehe einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme iSd §§ 55 und 56 FPG daher nicht entgegen. Auch die Bestimmungen des § 61 FPG würden der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht entgegenstehen, weil keine Aufenthaltsverfestigung iSd § 55 oder 56 FPG vorliege. Der Beschwerdeführer sei nicht von klein auf im Inland aufgewachsen und hier auch nicht langjährig rechtmäßig niedergelassen, sodass ein "Aufenthaltsverbot-Ausschlussgrund" nach § 61 Z 1 oder 3 FPG nicht vorliege.

Der Beschwerdeführer lebe mit seiner Ehefrau und seinen Töchtern im gemeinsamen Haushalt. Die Töchter seien allerdings bereits volljährig und selbsterhaltungsfähig, weshalb eine gewisse "Abnabelung vom Elternhaus" anzunehmen sei. Der Ehefrau des Beschwerdeführers, die ebenfalls kroatische Staatsangehörige sei, sei es daher zumutbar, dem Beschwerdeführer in den Heimatstaat zu folgen. Dem - auch durch die Inhaftierung des Beschwerdeführers - nicht mehr so intensiven Familienleben stehe die Schwere seiner Straftat, eines Verbrechens, gegenüber, sodass das Interesse an einem geordneten Fremdenwesen - gegen das sich die Straftat gerade gerichtet habe - seine Interessen an einem Familienleben und an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würde. Auch der langjährige Aufenthalt im Bundesgebiet habe den Beschwerdeführer nicht davon abhalten können, schwere Straftaten zu begehen. Die im Fall des Beschwerdeführers anzunehmende Integration in die österreichische Gesellschaft werde überdies dadurch eingeschränkt, dass sich ein wesentlicher Teil seiner Bekannten im Rahmen einer Schlepperorganisation betätigt hätten und er seine berufliche Tätigkeit zur Begehung schwerer Straftaten genutzt habe. Da derzeit nicht vorhergesehen werden könne, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgebliche Grund weggefallen sein werde, sei diese Maßnahme auf unbestimmte Zeit auszusprechen.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge.

In ihrer Begründung stellte sie die Verurteilung des Beschwerdeführers und die dieser zu Grunde liegenden Straftaten dar. Sie verwies auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides und führte darüber hinaus aus, dass nach dem Gerichtsurteil auch der Bruder des Beschwerdeführers in das Verbrechen verwickelt gewesen sei. Durch die Verurteilung sei der Sachverhalt des § 60 Abs. 2 Z 5 FPG erfüllt; das Verhalten des Beschwerdeführers rechtfertige die Annahme, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die "öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit" gefährde und anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, wie der Verhinderung von strafbaren Handlungen, zuwiderlaufe.

Der - nach dem Berufungsvorbringen nun wieder teilzeitbeschäftigte - Beschwerdeführer weise sehr starke familiäre und berufliche Bindungen in Österreich auf. Eine Integration sei schon allein auf Grund des langen inländischen Aufenthalts anzuerkennen. Trotz des daher mit einem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei dieser Eingriff im Hinblick auf die Gefährlichkeit und Schädlichkeit des Schlepperunwesens zulässig und dringend geboten. Eine positive Verhaltensprognose könne wegen der Schwere der Tathandlung, dem damit verbundenen überaus erheblichen Unrechtsgehalt, dem zwei Jahre umfassenden Tatzeitraum und der gewerbsmäßigen Vorgangsweise nicht erstellt werden.

Den für einen Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich sprechenden Interessen, die durchaus beachtlich seien, komme kein größeres Gewicht zu als dem durch sein Fehlverhalten nachhaltig beeinträchtigten öffentlichen Interesse. Seine privaten Interessen müssten deshalb gegenüber den hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund treten. Angesichts der Schwere der Tathandlungen, der exzessiven Ausnützung der Notlage der geschleppten Fremden während eines sehr langen Zeitraums und der Gewerbsmäßigkeit der Vorgangsweise müsse sogar die Trennung des Beschwerdeführers von seiner Familie in Kauf genommen werden. Gründe für eine positive Ermessensentscheidung verneinte die belangte Behörde.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (April 2009) geltende Fassung.

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 5 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt hat.

Auf Grundlage der festgestellten rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers erweist sich die - in der Beschwerde auch nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 5 FPG verwirklicht sei, als zutreffend.

Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang jedoch vor, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, dass er in die "strafrechtliche Situation" nur dadurch geraten sei, dass er (als Gastwirt) von seinen Gästen bedrängt und letztlich überredet worden sei, "mitzumachen".

Dem ist zu entgegnen, dass eine solche untergeordnete Rolle des Beschwerdeführers in das Strafurteil keinen Eingang gefunden hat. Vielmehr wurde dem Beschwerdeführer vom Strafgericht - gemeinsam mit einem Mittäter - die größte Anzahl an geschleppten Fremden angelastet. Darüber hinaus stand der Beschwerdeführer nach den Entscheidungsgründen des Strafurteils telefonisch und persönlich in direktem Kontakt mit den maßgeblichen Personen in der moldawischen Schlepperorganisation. Eine relevante Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung wird mit dem erwähnten Beschwerdevorbringen daher nicht aufgezeigt.

Gerade dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und damit auch der Bekämpfung der Schlepperei kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0280, mwN). Gegen dieses maßgebliche öffentliche Interesse hat der Beschwerdeführer durch die ihm zur Last liegende Schlepperei gravierend verstoßen, indem er dieses Fehlverhalten nicht nur gewerbsmäßig, also in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, sondern überdies als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangen hat. Er hat über einen Zeitraum von zwei Jahren in vielen Fällen eine große Anzahl von Fremden nach Österreich und teilweise weiter nach Italien geschleppt. Die belangte Behörde ist daher zu Recht von einer erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Beschwerdeführer ausgegangen.

Die Beschwerde verweist weiters darauf, dass sich der Beschwerdeführer bis zu seiner Verurteilung und seither immer wohlverhalten habe. Die Verbüßung der Freiheitsstrafe habe auf ihn einen erheblichen Eindruck gemacht und bewirke, dass er sich in Hinkunft von sämtlichen strafbaren Handlungen fernhalten werde.

Diesem Beschwerdevorbringen ist zu erwidern, dass ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters unter dem Blickwinkel des hier maßgeblichen Fremdenrechts aber in erster Linie daran zu messen ist, innerhalb welchen Zeitraums er sich nach der Entlassung aus der Strafhaft in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0255). Angesichts der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft am war der Zeitraum des Wohlverhaltens bis zur Bescheiderlassung im April 2009 jedoch noch zu kurz, dass die belangte Behörde auf eine erhebliche Minderung oder gar auf einen Wegfall der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung hätte schließen müssen.

Gemäß § 66 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 6 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots, mit dem in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien zu berücksichtigen.

Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang vor, dass er seit 1980 im Bundesgebiet lebe. Er wohne mit seiner Frau und seinen drei Töchtern zusammen, während sein Sohn einen eigenen Haushalt führe. Seine Frau und seine Töchter seien berufstätig. Auch er beziehe als Arbeiter ein Einkommen von rund EUR 500,-- netto monatlich. Seine gesamte Familie lebe in Österreich; sein Kontakt zu seiner Heimat sei infolge seines langjährigen Aufenthalts in Österreich nahezu abgerissen.

Die vom Beschwerdeführer aufgezeigten privaten und familiären Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet wurden von der belangten Behörde in ihrer Abwägung nach § 66 FPG bereits ausreichend berücksichtigt. So nahm die belangte Behörde auf den langjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers und seine familiären Bindungen hinlänglich Bedacht. Sie hat jedoch auch darauf verwiesen, dass die Kinder des Beschwerdeführers infolge ihrer Volljährigkeit bereits selbsterhaltungsfähig seien. Den gewichtigen persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet stellte die belangte Behörde jedoch zu Recht die massive Gefährdung öffentlicher Interessen durch den Beschwerdeführer gegenüber, die aus seinem über einen Zeitraum von zwei Jahren gesetzten strafbaren Verhalten im Bereich der gewerbsmäßig und in einer kriminellen Vereinigung begangenen Schlepperei resultiert. Im Hinblick auf das überaus große öffentliche Interesse an der Verhinderung derartiger Straftaten kann der belangten Behörde daher nicht entgegen getreten werden, wenn sie den Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers als zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten angesehen hat. An dieser Einschätzung vermag auch das Vorbringen, dass die Kontakte des Beschwerdeführers zu seinem Heimatland "nahezu abgerissen" seien, nichts zu ändern. In diesem Fall haben der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.

In der Beschwerde werden schließlich auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
UAAAE-93563