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VwGH vom 18.12.2019, Ro 2015/15/0021

VwGH vom 18.12.2019, Ro 2015/15/0021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamtes Innsbruck in 6021 Innsbruck, Innrain 32, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/3100406/2013, betreffend Energieabgabenvergütung 2011 (mitbeteiligte Partei: S GmbH in H, vertreten durch die Schiffner & Partner KEG, Wirtschaftstreuhand- und Steuerberatungsgesellschaft in 6060 Hall in Tirol, Pfannhausstraße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei, eine auf dem Gebiet der Energieversorgung tätige GmbH, stellte einen Antrag auf Vergütung von Energieabgaben für das Kalenderjahr 2011 in Höhe von 38.695,74 EUR.

2 Das Finanzamt setzte den Vergütungsbetrag mit Bescheid vom mit einem Betrag von lediglich 3.224,65 EUR fest. Begründend verwies es darauf, dass mit dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, der Anspruch auf Energieabgabenvergütung ab Februar 2011 insofern eingeschränkt worden sei, als ein Anspruch auf Vergütung nur noch für Betriebe bestünde, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter bestehe. Dies sei bei der Mitbeteiligten nicht der Fall, sodass eine Energieabgabenvergütung nur für Jänner 2011 gewährt werden könne.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge. Die Mitbeteiligte bediene sich zur Erzeugung von Fernwärme eines Biomasseheizkraftwerkes. Dieses erzeuge durch Verbrennung von Biomasse zugleich Wärme und Strom (Kraft-Wärme-Kopplungsanlage). Durch die Kraft-Wärme-Kopplung werde der Dampf zuerst über Turbinensätze geleitet, um Strom zu erzeugen, der in das lokale Stromnetz eingespeist werde. Zur besseren Nutzung der Primärenergie werde die im Stromerzeugungsprozess anfallende Abwärme als Fernwärme genutzt. Dabei werde Dampf nach Durchleitung durch die Turbinensätze kondensiert und zum Erhitzen des Heizwassers verwendet. Dadurch werde der Heizwert der Biomasse bestmöglich verwertet und der Wirkungsgrad der Gesamtanlage optimiert. Die erzeugte Wärme werde in Form von Heizwasser über ein Leitungsnetz zum Kunden für die Aufbereitung von Warmwasser und Raumwärme geliefert. Das abgekühlte Wasser fließe zum Heizwerk zurück, wo es erneut erhitzt werde.

4 Das EAVG bediene sich im Wesentlichen der Terminologie des UStG 1994. § 2 Abs. 1 EAVG idFd Budgetbegleitgesetzes 2011 nenne als Vergütungsberechtigten den Betrieb, dessen Schwerpunkt in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter bestehe. Unabhängig davon, ob und inwieweit man Energie als körperlichen Gegenstand iSd Zivilrechts ansehe, ergebe sich aus Art. 15 Abs. 1 MwStSystRL 2006/112/EG, dass Elektrizität, Gas, Wärme, Kälte und ähnliche Sachen für Zwecke der Umsatzsteuer als körperliche Gegenstände gelten. Dass der Begriff "körperlich" in § 2 Abs. 1 EAVG in der angeführten Fassung nicht iSd Umsatzsteuerrechts ausgelegt werden sollte, lasse sich dem EAVG, das sich im Wesentlichen der Terminologie des UStG 1994 bediene, nicht entnehmen. 5 Auch nach ertragsteuerlichen Grundsätzen sei davon auszugehen, dass der Begriff "körperliche Wirtschaftsgüter" die Energie als solche umfasse. Verwiesen werde in diesem Zusammenhang auf § 18 Abs. 1 Z 4 EStG 1988, der den Sonderausgabenabzug bei der Anschaffung von Genussscheinen und jungen Aktien regle. § 18 Abs. 3 Z 4 lit. b EStG 1988 stelle tatbestandsmäßig - genauso wie § 2 Abs. 1 EAVG idF BudBG 2011 - auf die schwerpunktmäßig nachweisliche Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter - ausgenommen die Herstellung von elektrischer Energie, Gas, Wärme oder Wohnbauten - ab. Zählten elektrische Energie, Gas und Wärme nicht zu den körperlichen Wirtschaftsgütern, dann hätte deren Herstellung in § 18 Abs. 3 Z 4 lit. b EStG 1988 nicht ausdrücklich ausgenommen werden müssen.

6 Nach dem Zivilrecht seien körperliche Sachen diejenigen, welche in die Sinne fallen (§ 292 ABGB). Die herrschende Meinung gehe davon aus, dass die Energie zu den körperlichen Sachen zu zählen sei (Hinweis u.a. auf Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I13, 243; differenziert: Spielbüchler in Rummel, ABGB3, § 292 Rz 2). Auch das Konsumentenschutzgesetz und das Produkthaftungsgesetz würden die Energie in § 15 Abs. 1 KSchG und § 4 PHG ausdrücklich als bewegliche körperliche Sache behandeln. 7 Im Revisionsfall würden mit dem Biomasseheizkraftwerk Strom und Fernwärme erzeugt, wobei als Zwischenprodukt auch Dampf hergestellt werde. Der Dampf werde kondensiert und zur Erwärmung von Wasser verwendet. Das bereits vorhandene Wirtschaftsgut "Wasser" werde bearbeitet (erhitzt) und in Form von Warmwasser den Abnehmern zur Verfügung gestellt. Die Bearbeitung von Wirtschaftsgütern, die zu einer wesentlichen Änderung ihrer Marktgängigkeit führten, führe zur Entstehung eines anderen Wirtschaftsgutes. Da auch die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 EAVG in der anzuwendenden Fassung vorlägen, stehe die Energieabgabenvergütung für das Kalenderjahr 2011 im beantragten Ausmaß zu.

8 Weiters sprach das Bundesfinanzgericht aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei, weil die vorliegende Fragestellung eine solche von grundsätzlicher Bedeutung sei und abweichend von der Verwaltungspraxis und der Rechtsprechung des unabhängigen Finanzsenates entschieden worden sei.

9 Dagegen wendet sich die Revision des Finanzamtes, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

10 Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof - nach Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens - mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Ro 2016/15/0041, ausgesprochen hat, dass die mit dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, normierten Änderungen des EAVG mit in Kraft getreten sind. 11 Gemäß § 2 Abs. 1 EAVG idF BGBl. I Nr. 111/2010 ist ein Anspruch auf Vergütung nur (mehr) für Betriebe gegeben, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht und soweit sie nicht die in § 1 Abs. 3 EAVG genannten Energieträger (Strom, Erdgas, Kohle, Heizöl, Flüssiggas) oder Wärme (Dampf oder Warmwasser), die aus den in § 1 Abs. 3 genannten Energieträgern erzeugt wurde, liefern. 12 Im Mittelpunkt des Revisionsvorbringens steht die Frage, ob es sich bei der von der mitbeteiligten Partei erzeugten Fernwärme um ein körperliches Wirtschaftsgut handelt. Abgeleitet aus dem lateinischen Wortursprung "corpus" gelangt das Finanzamt zum Ergebnis, dass bereits der Wortsinn gegen die Beurteilung der Fernwärme als körperliches Wirtschaftsgut spreche. Wärme verfüge weder über eine stoffliche noch räumliche Struktur; sie benötige als eigenständig handelbares Wirtschaftsgut eines "Transportmediums", wie im gegenständlichen Fall Wasser, um an den jeweiligen Abnehmer zu gelangen. Mit dem Hinweis auf Art. 15 Abs. 1 Mehrwertsteuersystemrichtlinie übersehe das Bundesfinanzgericht, dass sich aus dieser unionsrechtlich ausdrücklich angeordneten Gleichstellung von Elektrizität, Gas, Wärme oder Kälte und ähnlichen Sachen mit anderen körperlichen Gegenständen gerade ergebe, dass es sich hierbei nicht um körperliche Gegenstände handle, weil diese explizite Regelung ansonsten nicht erforderlich wäre. In der genannten Bestimmung werde - aus in der Revision näher angeführten Erwägungen - festgelegt, wie diese Wirtschaftsgüter zu besteuern seien, jedoch keine Begriffsbestimmung vorgenommen.

13 Eine Definition des Begriffes des "körperlichen" Wirtschaftsgutes findet sich weder im EAVG noch in der vom Bundesfinanzgericht zur Auslegung des § 2 Abs. 1 EAVG idF BGBl. I Nr. 111/2010 herangezogenen unionsrechtlichen Bestimmung. 14 Bei der Interpretation einer Gesetzesnorm ist auf den Wortsinn und insbesondere auch auf den Zweck der Regelung, auf den Zusammenhang mit anderen Normen sowie die Absicht des Gesetzgebers abzustellen (vgl. , VwSlg. 8672/F). Erläuterungen zur Regierungsvorlage können im Rahmen der Interpretation des Gesetzes einen Hinweis auf das Verständnis des Gesetzes bieten (vgl. mit weiteren Nachweisen ).

15 Nach den Erläuterungen zum Budgetbegleitgesetz 2011 (vgl. 981 BlgNR 24. GP 141) sollen alle Betriebe, deren Schwerpunkt in der Erbringung von Dienstleistungen besteht, keinen Anspruch auf Energieabgabenvergütung haben. Zu den "unkörperlichen Sachen" zählen neben Rechten insbesondere auch Dienstleistungen (vgl. Welser/Kletecka, Bürgerliches Recht I15, Rz 766). 16 Die Herstellung ist auf die Schaffung bisher nicht in dieser Form vorhandener Wirtschaftsgüter gerichtet (vgl. ).

17 Nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts erzeugt die mitbeteiligte Partei im Zuge der Verbrennung der Biomasse Dampf, der durch den physikalischen Vorgang der Kondensation an den Wärmetauschern das Wasser erwärmt. Bei dem von der mitbeteiligten Partei erzeugten Dampf handelt es sich - auch vom Finanzamt unbestritten - um ein körperliches Wirtschaftsgut. 18 Der Vorgang der Energiegewinnung aus Biomasse stellt sich nach der Verkehrsauffassung nicht als typischer "Dienstleistungsbetrieb" dar, welcher durch das Budgetbegleitgesetz 2011 von der Energieabgabenvergütung ausgeschlossen werden sollte.

19 Auch bestimmt § 2 Abs. 1 EAVG in der anzuwendenden Fassung ausdrücklich, dass ein Anspruch auf Vergütung nicht für Betriebe besteht, soweit sie Wärme liefern, die aus den in § 1 Abs. 3 EAVG (Biomasse wird dort nicht angeführt) genannten Energieträgern stammen. Dieser Erwähnung der Lieferung von Wärme hätte es nicht bedurft, wenn bereits der Umstand, dass es sich bei "Wärme" um ein unkörperliches Wirtschaftsgut handelt, der Vergütung entgegenstünde.

20 Dazu kommt, dass das UStG 1994 in nationaler Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 15 Abs. 1 Mehrwertsteuersystemrich tlinie 2006/112/EG) "Wärme" für Zwecke der Umsatzsteuer als körperliches Wirtschaftsgut behandelt (vgl. § 3 Abs. 13 und 14 UStG 1994).

21 Aus den genannten Gründen war es nicht rechtswidrig, wenn das Bundesfinanzgericht davon ausgegangen ist, dass es sich bei dem Fernheizwerk der mitbeteiligten Partei um einen Betrieb handelt, dessen Schwerpunkt in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter liegt.

22 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen. 23 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2015150021.J00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

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