VwGH vom 18.10.2012, 2011/23/0318
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/433.442/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, hält sich seit August 1991 durchgehend im Bundesgebiet auf; seit war ihr ein unbefristeter Niederlassungsnachweis erteilt.
Am wurde die Beschwerdeführerin für den Erwerb und den Besitz von Heroin in geringen Mengen zum Eigenbedarf über einen Zeitraum von etwa acht Monaten, bis zum , durch das Bezirksgericht Hernals wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wurde die Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 2 SMG sowie wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt. Diesem Urteil lag zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin als Mitglied einer aus sieben Personen bestehenden kriminellen Vereinigung, die sich durch Suchtgifthandel ein fortlaufendes Einkommen habe verschaffen wollen, von Jänner 2005 bis gewerbsmäßig insgesamt 250 g Heroin an verschiedene Abnehmer verkauft und überdies zwischen Jänner 2004 und insgesamt 156 g Heroin erworben und besessen habe. Die Aufgabe der Beschwerdeführerin in der Bande, die arbeitsteilig und geplant für den Import und die Verteilung von Suchtgift gesorgt habe, sei der Verkauf des bei Schmuggelfahrten aus Serbien nach Österreich gebrachten Suchtgifts gewesen.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung sah sie auf Grund dieser einschlägigen Verurteilungen den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG als erfüllt an. Die belangte Behörde führte weiter aus, dass das Gesamt(fehl)verhalten der Beschwerdeführerin die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maße gefährde. Ihr weiterer Aufenthalt stelle eine besonders schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, weshalb sich die in § 60 Abs. 1 (bzw. § 56) FPG umschriebene Annahme als gerechtfertigt erweise.
Die Beschwerdeführerin sei ledig und für niemanden sorgepflichtig. Ihr Vater, zu dem sie keinen Kontakt habe, lebe in ihrem Heimatland; ihre Mutter wohne im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführerin habe in Österreich keine Ausbildung absolviert und positiv abgeschlossen. Nach der Aktenlage habe sie im Jahr 2002 acht Monate als Angestellte gearbeitet und in der Folge Notstandshilfe bzw. Arbeitslosen- und Krankengeld bezogen. Ab Mitte 2004 sei sie als Arbeiterin bzw. mehrfach geringfügig beschäftigt gewesen. Zuletzt habe sie jeweils in Teilzeit als Serviererin, Hausbetreuerin und bei einer Gebäudereinigungsfirma gearbeitet. Auf Grund ihres etwa 16-jähren, rechtmäßigen Aufenthalts im Inland, ihrer familiären Bindung zu ihrer in Wien - jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt - lebenden Mutter, und ihrer beruflichen Situation sei - so führte die belangte Behörde weiter aus - von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das "Privat-, Berufs- und Familienleben" der Beschwerdeführerin auszugehen. Dessen ungeachtet sei im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität diese Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Eine Verhaltensprognose könne für die Beschwerdeführerin angesichts der mehrfachen einschlägigen Tatbegehung und der von ihr zu verantwortenden, besonders großen Suchtgiftmenge, die sie über einen sehr langen Zeitraum umgesetzt habe, sowie der den Suchtgiftdelikten immanenten und auch augenscheinlich zu Tage getretenen Wiederholungsgefahr nicht positiv ausfallen. Dies vor allem auch deshalb, weil die Beschwerdeführerin als Mitglied einer international agierenden Bande tätig gewesen sei und damit auch im "Nahebereich der organisierten Kriminalität" gehandelt habe. Dies berge eine besonders große Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in sich. Selbst wenn die Haftverbüßung eine gewisse spezialpräventive Wirkung gehabt habe, liege das der Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten bei weitem noch nicht so lange zurück, dass auf Grund des seither verstrichenen Zeitraums eine wesentliche Reduzierung der von ihr ausgehenden massiven Gefahr angenommen werden könne.
Im Rahmen der Interessenabwägung hielt die belangte Behörde fest, dass einer allfälligen, aus dem bisherigen Aufenthalt ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Die privaten, beruflichen bzw. familiären Interessen der Beschwerdeführerin hätten daher gegenüber den genannten - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten. Angesichts ihres Gesamt(fehl)verhaltens und im Hinblick auf die Art und die Schwere der ihr zur Last liegenden Straftaten, könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbots gegenüber der Beschwerdeführerin auch nicht im Rahmen des Ermessens Abstand genommen werden. Ebenso wenig würden auf Grund der Art der Verurteilung und des massiven Strafausmaßes die "aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen des FPG" der gegenständlichen Maßnahme entgegenstehen. Ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes könne nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraums erwartet werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt () geltende Fassung.
Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht u.a. zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Die Beschwerdeführerin weist unstrittig die eingangs dargestellten strafgerichtlichen Verurteilungen auf. Im Hinblick darauf hat sie die genannten Alternativen des allgemeinen Aufenthaltsverbotstatbestands des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht. Es sind - wie die belangte Behörde zutreffend ausführte - in ihrem Fall aber auch die im Hinblick auf den ihr erteilten Niederlassungsnachweis maßgeblichen Bedingungen des (im Wege des § 61 Z 2 FPG anzuwendenden) § 56 Abs. 2 Z 1 und 2 FPG erfüllt, weil die Beschwerdeführerin sowohl wegen eines Verbrechens, als auch wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihr begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist. So wurde die Beschwerdeführerin innerhalb eines Jahres zweimal rechtskräftig wegen Suchtmitteldelikten, zuletzt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten, verurteilt. Dies indiziert jedenfalls, dass von der Beschwerdeführerin eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 56 Abs. 1 FPG ausgeht (vgl. zu den unterschiedlichen Gefährdungsmaßstäben grundlegend das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603).
Die Beschwerdeführerin wendet in diesem Zusammenhang ein, dass von ihr nun keine Gefahr mehr ausgehe, weil ihre Suchtmittelergebenheit durch die bereits lang andauernde - und noch nicht abgeschlossene - Therapie gebannt sei. Sie sei am mit einer Therapieweisung aus der Untersuchungshaft entlassen worden und habe sich danach nicht das Geringste zu Schulden kommen lassen. Sie werde in Zukunft ein rechtstreuer Mensch sein, wozu auch die von ihr verbüßte Untersuchungshaft ihren Beitrag geleistet habe.
Diesem Beschwerdevorbringen kann nicht gefolgt werden. Angesichts des von der Beschwerdeführerin über einen langen Zeitraum gesetzten, gravierenden und wiederholten Fehlverhaltens geht von ihr eine erhebliche Gefährdung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtmittelkriminalität, aus. So ist ihr u.a. vorzuwerfen, dass sie gewerbsmäßig, als Mitglied einer international tätigen kriminellen Organisation, Drogenhandel betrieben hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits wiederholt dargelegt, dass die Deliktsform des Suchtgifthandels ein besonders verpöntes Verhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0172, mwN). An dieser Gefährdungsprognose vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Beschwerdeführerin ein Strafaufschub gemäß § 39 SMG gewährt wurde. Zunächst ist nicht gesichert, dass diese - auch nach dem Beschwerdevorbringen noch nicht beendete - Therapie einen positiven Abschluss finden werde. Aber selbst eine auf Grund einer erfolgreichen Therapie erzielte Drogenfreiheit könnte angesichts des langen Deliktszeitraums und des gewerbsmäßig und bandenmäßig organisiert von der Beschwerdeführerin begangenen Suchtgifthandels erst nach einem längeren Zeitraum des Wohlverhaltens zu einer relevanten Minderung bzw. zu einem Wegfall der Gefährdung führen (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0089, mwN).
Im Übrigen ist unter dem Blickwinkel des hier maßgeblichen Fremdenrechts ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters in erster Linie daran zu messen, innerhalb welchen Zeitraums er sich - nach einer Haftentlassung - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0255, mwN). Von einem maßgeblichen Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit kann im gegebenen Zusammenhang, ausgehend von der Entlassung der Beschwerdeführerin aus der Untersuchungshaft am , jedoch nicht gesprochen werden. Es liegen weder die Tathandlungen noch die strafgerichtlichen Verurteilungen so lange zurück, dass die belangte Behörde auf den Wegfall der von der Beschwerdeführerin ausgehenden Gefährdung hätte schließen müssen.
Im Übrigen steht auch die Bestimmung des § 61 Z 3 FPG dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen, weil die Beschwerdeführerin rechtskräftig gerichtlich zu einer mehr als einer unbedingt einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
Gemäß § 66 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 6 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots, mit dem in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen würde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Es darf jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.
Die Beschwerde führt dazu aus, dass die Beschwerdeführerin beruflich "äußerst integriert" sei. Neben ihren Teilzeitbeschäftigungen als Serviererin und als Hausbetreuerin arbeite sie vier Stunden wöchentlich bei einem Gebäudereinigungsunternehmen.
Mit diesem Vorbringen werden jedoch keine Umstände aufgezeigt, auf welche die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid noch nicht ausreichend Bedacht genommen hätte. Im Hinblick auf das überaus große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Straftaten der vorliegenden Art erweist sich die Ansicht der belangten Behörde, dass das verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei und die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet die gegenläufigen öffentlichen Interessen nicht überwiegen würden, nicht als rechtswidrig.
Die Beschwerde zeigt im Zusammenhang mit ihrem Vorbringen, dass der Beschwerdeführerin nochmals eine Chance zu geben und sie lediglich zu verwarnen gewesen wäre, auch keine Gründe auf, wonach das Ermessen durch die belangte Behörde nicht in gesetzmäßiger Weise ausgeübt worden wäre (siehe dazu auch das Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0449, mwN).
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am