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VwGH vom 12.09.2012, 2011/23/0313

VwGH vom 12.09.2012, 2011/23/0313

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des I in M, vertreten durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Theobaldgasse 15/21, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/78104/2009, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein im Juni 1985 geborener kroatischer Staatsangehöriger, hält sich seit Juli 1989 (rechtmäßig) im Bundesgebiet auf. Seit verfügt er über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft - ausgenommen unselbständiger Erwerb".

Mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 und 2 erster Fall StGB sowie wegen der Verbrechen des schweren Einbruchsdiebstahls nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 2 StGB und des schweren Raubes als Bestimmungstäter nach den §§ 12 zweiter Fall, 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB zu einer - vom Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom dahingehend abgeänderten - (unbedingten) Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer als leitender Angestellter eines Einzelhandelsunternehmens gemeinsam mit zwei Mittätern am einen Raub in seiner Supermarktfiliale vorgetäuscht hatte. Dazu wurden die Einnahmen dieses Tages in der Höhe von EUR 6.100,-- von ihm nicht in den Tresor gelegt sowie eine Kassenlade mit der Tageslosung vom Vortag in der Höhe von EUR 6.800,-- aus dem Tresor gerissen und die veruntreuten bzw. gestohlenen Bargeldbeträge unter den Mittätern aufgeteilt. Weiters hatte er mit einem Mittäter von Dezember 2006 bis März 2007 in mehreren Angriffen diverse Spirituosen und Lebensmittel im Gesamtwert von EUR 1.000,--, ohne diese zu bezahlen, nach Dienstschluss aus dem Geschäftslokal gebracht und anschließend um den halben Kaufpreis (auf eigene Rechnung) verkauft. Letztlich wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, Anfang September 2007 mit einem Mitangeklagten zwei weitere Täter dazu bestimmt zu haben, einen schweren Raubüberfall auf eine Supermarktfiliale seines Arbeitgebers durchzuführen. Bei diesem Raub am wurde einer nicht eingeweihten Angestellten Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, sie anschließend ins Kühlhaus des Geschäftslokals gezerrt und dort mit Klebeband gefesselt. Bei dieser Tat wurden über EUR 12.200,-- erbeutet.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Sie begründete diese Maßnahme mit der eingangs dargestellten rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers und führte weiter aus, dass sich der Beschwerdeführer seit seinem fünften Lebensjahr im Inland aufhalte, wobei er vom bis zum und vom bis zum nicht im Bundesgebiet gemeldet und offenbar in sein Heimatland zurückgekehrt gewesen sei. Nach seinen Angaben habe er seine gesamte schulische Ausbildung in Österreich absolviert und vor seiner Inhaftierung als Filialleiter gearbeitet. Im Bundesgebiet lebten auch seine Eltern und seine beiden Schwestern, mit welchen ein gemeinsamer Haushalt bestanden habe. Der Beschwerdeführer sei zudem verlobt.

Die belangte Behörde erachtete auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG für erfüllt und bejahte die auf Grund seines Gesamtverhaltens zu treffende Gefährlichkeitsprognose. Durch sein außerordentlich gravierendes Fehlverhalten, das von Gewaltbereitschaft zeuge, habe der Beschwerdeführer massiv gegen das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Gewalt- und Eigentumskriminalität verstoßen. Allein wegen der Bestimmung anderer Personen zu einem schweren Raub, aber noch mehr unter ergänzender Berücksichtigung des sonstigen strafbaren Verhaltens, das seiner Verurteilung zu Grunde liege, bedeute der weitere inländische Aufenthalt des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ohne Zweifel auch das Grundinteresse der Gesellschaft an der Verhinderung der Schwerkriminalität berühre.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG ging die belangte Behörde im Hinblick auf seinen sehr langen Aufenthalt und seine Niederlassung im Bundesgebiet, seine familiären und beruflichen Bindungen von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen, "sehr erheblichen" Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus. Trotzdem sei diese aufenthaltsbeendende Maßnahme zulässig, weil seinen persönlichen Interessen die große Gefährdung öffentlicher Interessen durch sein massives - im Hinblick auf die mehreren, verschiedenen Tatentschlüsse gegen seinen Arbeitgeber - keineswegs isoliert gebliebenes Fehlverhalten entgegen zu halten sei. Bei dieser Abwägung gewinne die Sicherung der öffentlichen Interessen "die Oberhand", habe der Beschwerdeführer doch seine Gefährlichkeit für die Gesundheit und das Eigentum "im Bundesgebiet aufhältiger Menschen" verdeutlicht und sein Unvermögen oder seinen Unwillen, die Rechtsvorschriften einzuhalten, unter Beweis gestellt. Eine positive Verhaltensprognose sei für ihn daher - auch bezogen auf den Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit der Maßnahme - nicht möglich.

Die belangte Behörde verneinte im Hinblick auf § 55 Abs. 3 und § 56 Abs. 2 Z 1 und 2 FPG die Möglichkeit einer Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers; auch die Tatbestände des § 61 FPG könnten in Anbetracht der langen Freiheitsstrafe von sechs Jahren nicht zur Anwendung kommen. Das Aufenthaltsverbot sei unbefristet auszusprechen, weil der Beschwerdeführer sein strafbares Verhalten (Einbruchsdiebstahl, Veruntreuung, Raub) innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums mehrfach gesetzt habe und deshalb nicht vorhergesehen werden könne, wann der für seine Erlassung maßgebliche Grund weggefallen sein werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat; Änderungen des Sachverhalts oder der Rechtslage nach dessen Erlassung können - entgegen der in der Eingabe des Beschwerdeführers vom zum Ausdruck kommenden Ansicht - nicht berücksichtigt werden. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung (März 2009) geltende Fassung.

Ausgehend von der im angefochtenen Bescheid dargestellten und vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung ist der von der belangten Behörde herangezogene Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG unzweifelhaft erfüllt.

Nach der Aktenlage bestehen zwar Anhaltspunkte, dass dem Beschwerdeführer die Rechtsstellung eines "langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen" zukam, gegen den eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur bei Vorliegen der im § 56 FPG genannten Voraussetzungen zulässig ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603). Selbst wenn dies so wäre, wurde der Beschwerdeführer durch die Beurteilung der belangten Behörde im Spruch ausschließlich nach § 60 FPG aber fallbezogen nicht in Rechten verletzt, weil in Anbetracht der gegen ihn ergangenen Verurteilung und des dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Verhaltens jedenfalls auch das Vorliegen der in § 56 FPG umschriebenen Gefährdung zu bejahen war.

Die Beschwerde macht zunächst jedoch als Verfahrensmangel geltend, dass sich die belangte Behörde ausführlich und detailliert mit dem Inhalt des Strafakts auseinanderzusetzen gehabt hätte. Die belangte Behörde übersehe auch, dass der dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Raub lediglich inszeniert gewesen sei.

Dem ist zu entgegnen, dass die belangte Behörde ohnedies nicht bloß auf den Umstand der Verurteilung abstellte, sondern im angefochtenen Bescheid die der Verurteilung des Beschwerdeführers zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen ausreichend konkret beschrieb. Zwar wurde am vom Beschwerdeführer ein Raubüberfall auf seine Filiale bloß vorgetäuscht und das anvertraute Geld veruntreut sowie ein im Tresor aufbewahrter Geldbetrag gestohlen. Bei dem Raubüberfall am , zu dem der Beschwerdeführer die beiden unmittelbaren Täter angestiftet hatte, wurden hingegen nach den Feststellungen im Strafurteil tatsächlich unter Einsatz einer Waffe und unter Anwendung von Gewalt über EUR 12.200,-- geraubt. Im Übrigen stellt die Beschwerde nicht dar, welche weiteren entscheidungserheblichen Feststellungen die belangte Behörde aus dem Gerichtsakt hätte treffen können, und zeigt damit die Relevanz des von ihr gerügten Verfahrensmangels nicht ausreichend auf.

Der Beschwerdeführer bringt dazu weiter vor, dass er sich seit seinem dritten Lebensjahr, nämlich seit 1989, "nahezu durchgehend" im Bundesgebiet aufhalte. Er sei während dieser Zeit mit Ausnahme der gegenständlichen Verurteilung zu keinem Zeitpunkt mit den österreichischen Behörden oder Gerichten in Konflikt geraten. Er habe enge familiäre Bindungen im Inland zu seinen Eltern und seinen Schwestern und hier seine gesamte Schulbildung absolviert. Seit Juli 2003 verfüge er über einen Befreiungsschein und habe seither immer gearbeitet. Er sei in Österreich sozial integriert, wirtschaftlich verankert und mit "der in Österreich lebenden Nicole H." verlobt.

Zunächst ist dazu festzuhalten, dass sich der unbestrittenermaßen im Juni 1985 geborene Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde zutreffend ausführte - im Juli 1989, als er (erstmals) nach Österreich kam, bereits im fünften Lebensjahr befand. Im Übrigen wird mit diesem Beschwerdevorbringen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt, hat die belangte Behörde doch alle diese Umstände ohnedies ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt. Sie hat - entgegen der Beschwerdeansicht - auch ausreichend begründet, weshalb sie zum Schluss kam, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers eine "tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit" bedeute, die das "Grundinteresse der Gesellschaft an der Verhinderung der Schwerkriminalität" berühre. Zu Recht berücksichtigte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang nämlich, dass der Beschwerdeführer - über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr mit steigender Intensität und krimineller Energie - mehrmals schwer wiegende Vermögensdelikte gegen seinen Arbeitgeber setzte. Sämtliche von ihm nun ins Treffen geführten sozialen und wirtschaftlichen Bindungen konnten ihn im Übrigen nicht von seiner massiven - teilweise mit Gewalt verbundenen - Delinquenz gegen fremdes Vermögen abhalten. So beging der Beschwerdeführer trotz aufrechten Beschäftigungsverhältnisses, regelmäßigen Arbeitseinkommens und seiner familiären und sozialen Bindungen gemeinsam mit von ihm dazu angestifteten Mittätern nicht unerhebliche Straftaten. In Anbetracht seines gravierenden, über einen längeren Zeitraum gesetzten Fehlverhaltens ist die von der belangten Behörde getroffene negative Zukunftsprognose, auch wenn der Beschwerdeführer bloß einmal strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang von einem "massiven Sinneswandel" des Beschwerdeführers spricht und auf ein - aus seiner "Resozialisierungsbereitschaft" ableitbares - Wohlverhalten verweist, ist zu erwidern, dass unter dem Blickwinkel des hier maßgeblichen Fremdenrechts ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters in erster Linie daran zu messen ist, innerhalb welchen Zeitraums er sich nach der Entlassung aus der Strafhaft in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0255, mwN). Im gegenständlichen Fall befand sich der Beschwerdeführer bei Erlassung des angefochtenen Bescheides noch in Strafhaft. Aber auch zwischen der letzten Straftat und der Verurteilung des Beschwerdeführers bzw. seiner Inhaftierung lagen lediglich wenige Monate, sodass von einem maßgeblichen Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit keineswegs gesprochen werden kann. Die Beschwerde stellt aber auch keine konkreten Umstände dar, die auf einen Wegfall oder wenigstens auf eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr schließen lassen würden.

Gemäß § 66 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 6 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots, mit dem in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen würde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Es darf jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.

Soweit die Beschwerde die oben angeführten integrationsbegründenden Umstände auch in diesem Zusammenhang releviert, zeigt sie - wie erwähnt - keine Umstände auf, auf welche die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid noch nicht ausreichend Bedacht genommen hätte. Im Hinblick auf das überaus große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Straftaten der vorliegenden Art ging die belangte Behörde jedoch zu Recht davon aus, dass das verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei und die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet die gegenläufigen öffentlichen Interessen nicht überwiegen würden. An dieser Einschätzung vermögen auch fehlende Bindungen zum Herkunftsland des Beschwerdeführers nichts zu ändern. Schwierigkeiten, die bei einer Rückkehr dorthin auftreten können, sind vom Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Die Beschwerde zeigt schließlich auch keine Gründe auf, wonach das Ermessen durch die belangte Behörde nicht in gesetzmäßiger Weise ausgeübt worden wäre.

Angesichts der massiven Delinquenz des Beschwerdeführers ist die Auffassung der belangten Behörde, dass ein Wegfall der für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Gründe nicht vorhergesehen werden könne, nicht zu beanstanden. Auch die Beschwerde zeigt keine konkreten Umstände auf, die eine Befristung der in Rede stehenden Maßnahme bereits bei ihrer Erlassung geboten hätten.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am