VwGH vom 06.07.2016, Ra 2015/08/0140

VwGH vom 06.07.2016, Ra 2015/08/0140

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision des T G in G, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W209 2107824-1/4E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Gänserndorf), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers vom auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld gemäß § 46 Abs. 1 AlVG und Art. 1 lit. f iVm Art. 65 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 wegen Unzuständigkeit zurück. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ab.

Da der Revisionswerber keinen Wohnort in Österreich habe, sei Polen, wo sich sein Lebensmittelpunkt befinde, für Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zuständig.

2 Mit dem angefochtenen - nach einem Vorlageantrag des Revisionswerbers ergangenen - Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde ab. Es stellte fest, der aus Polen stammende Revisionswerber sei seit März 2007 mit Unterbrechungen in Österreich unselbständig erwerbstätig gewesen. Zuletzt sei er vom bis vollversichert beschäftigt gewesen. Vom bis sei er einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen. Seit dem stehe er wieder in einem der Vollversicherungspflicht unterliegenden Arbeitsverhältnis im Inland. Er bewohne gemeinsam mit zwei Arbeitskollegen in Österreich eine Dienstwohnung. Seine Familie, bestehend aus seiner Ehegattin und drei Kleinkindern, bewohne aber ein Einfamilienhaus in Polen. Er kehre etwa einmal im Monat nach Polen zurück; im Zeitraum vom bis habe er sich jedoch durchgehend in Österreich aufgehalten. Über seine berufliche Tätigkeit hinaus verfüge er in Österreich über keine persönlichen oder sozialen Bindungen.

3 Daraus folgerte das Bundesverwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht, es ergebe sich, dass der Revisionswerber ein unechter Grenzgänger sei, der den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Polen habe, wo sich somit sein Wohnort befinde. Gemäß Art. 65 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 habe er sich der Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaates Polen zu Verfügung zu stellen, der damit für die Zuerkennung einer Leistung bei Arbeitslosigkeit zuständig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Die belangte Behörde hat von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5 Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes nicht mit der jüngeren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 65 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 im Einklang steht.

In seinem Erkenntnis vom , Ra 2016/08/0047, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass sich ein vollarbeitsloser Nicht-Grenzgänger, der während seiner letzten Beschäftigung in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und der (vorerst) nicht in den Wohnmitgliedstaat zurückkehrt, gemäß Art. 65 Abs. 2 dritter Satz der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (zunächst) der Arbeitsverwaltung des Beschäftigungsmitgliedstaates zur Verfügung stellen und (zunächst) von diesem Leistungen nach den weiteren Regelungen des Art. 61 und 62 der Verordnung (EG) 883/2004 beziehen kann (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom , Ra 2016/08/0053 und Ra 2016/08/0046).

6 Nach den Feststellungen ist der Revisionswerber nicht nach Polen zurückgekehrt, sondern hielt sich auch nach Ende des die Vollversicherung begründenden Arbeitsverhältnisses weiterhin durchgängig in Österreich auf. Der für den Revisionswerber zuständige Mitgliedstaat ist daher gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 weiterhin der Beschäftigungsmitgliedstaat Österreich. Über seinen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld hat daher die belangte Behörde nach österreichischen Rechtsvorschriften zu entscheiden.

7 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

8 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

9 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am