VwGH vom 13.09.2012, 2011/23/0310

VwGH vom 13.09.2012, 2011/23/0310

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/534693/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, der nach seinen Angaben am illegal in das Bundesgebiet eingereist war, heiratete am eine österreichische Staatsbürgerin. Im Hinblick auf diese Ehe wurde ihm zuletzt eine bis gültige Aufenthaltsbewilligung erteilt. Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom wurde die Ehe des Beschwerdeführers gemäß § 23 Ehegesetz für nichtig erklärt. Sein Antrag vom auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom rechtskräftig abgewiesen.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie dazu auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass sich der Beschwerdeführer seit unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom sei gegen ihn wegen des Eingehens einer Scheinehe rechtskräftig ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Dieser Bescheid sei ihm durch Hinterlegung beim Postamt am auch wirksam zugestellt worden. Am sei er nach polizeilichen Erhebungen - weil er die betreffende Wohnung bereits drei Monate zuvor verlassen gehabt habe - amtlich abgemeldet worden. Der Beschwerdeführer sei schließlich am im Zuge einer Verkehrsschwerpunktkontrolle angehalten worden. An diesem Tag habe er - unter Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache - niederschriftlich einvernommen angegeben, seit zehn Jahren bei einer Transportfirma zu arbeiten und an seiner Wohnadresse nicht gemeldet zu sein. Weder wisse er etwas von der Abweisung seines Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltsberechtigung, noch von dem gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbot. In Österreich lebten zwei Schwestern und ein Bruder sowie - nach seinem Vorbringen im Berufungsverfahren - Nichten, Neffen, Cousins, Onkeln und ein Schwager; seine (unmittelbare) Familie lebe in der Türkei. Er sei geschieden und für niemanden sorgepflichtig. Der Beschwerdeführer habe zwar seine Ausreisewilligkeit bekannt gegeben und am ein Flugticket für den vorgelegt, sei aber nicht ausgereist - oder illegal wieder eingereist - und seit in Wien gemeldet.

Die belangte Behörde ging in der Folge vom Vorliegen der Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG aus. Im Rahmen des § 66 FPG sei jedoch angesichts des bereits über 17 Jahre andauernden Aufenthalts und "gewisser" familiärer Bindungen von einem mit der Ausweisung verbundenen "starken Eingriff" in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff werde in seiner Relevanz allerdings dadurch erheblich gemildert, dass von den 17 Jahren inländischen Aufenthalts etwa 13 Jahre unrechtmäßig gewesen seien. Darüber hinaus habe gegen den Beschwerdeführer von März 1997 bis März 2002 ein Aufenthaltsverbot bestanden, wobei die Zustellung des entsprechenden Bescheids ordnungsgemäß dokumentiert sei. Mit seinen Angaben, sich daran nicht mehr erinnern zu können bzw. bei einem Unternehmen in Himberg (nahe von Wien) gearbeitet zu haben, habe der Beschwerdeführer eine ständige Ortsabwesenheit weder behauptet noch glaubhaft gemacht. Ebenso wirke die nachgewiesene Scheinehe, auch wenn sie schon sehr lange zurückliege, negativ auf ihn zurück, setze sie doch die Zeiten seines formal legalen Aufenthalts und seiner Beschäftigungsverhältnisse zwischen 1992 und 1996 in ein "schiefes Licht". Der Beschwerdeführer sei schließlich nach seiner amtlichen Abmeldung im Jahr 1997 bis in Österreich nicht behördlich gemeldet gewesen.

Die belangte Behörde kam danach zum Ergebnis, dass die Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremden- und Aufenthaltswesens unter Berücksichtigung der genannten Umstände von solchem Gewicht sei, dass die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet. Bei seinen familiären Bindungen in Österreich handle es sich - abgesehen von seinen Geschwistern, die allerdings keine österreichischen Staatsbürger seien - nur um relativ weitschichtige Verwandte, während seine eigentliche Familie in der Türkei lebe. In Bezug auf seine beruflichen Bindungen sei auf § 33 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zu verweisen, wonach sich die Berechtigung zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit - unbeschadet einer entsprechenden Aufenthalts- oder Niederlassungsberechtigung - nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes richte. Auf die dem Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vorgehaltene Tatsache, dass ihm nach einer Auskunft des Arbeitsmarktservices nur ein Befreiungsschein für die Zeit von März 1992 bis März 1997 erteilt worden sei, sei er nicht (näher) eingegangen.

Besondere Umstände, die eine für den Beschwerdeführer positive Ermessensübung zulassen würden, lägen nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (Februar 2009) geltende Fassung.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Unstrittig verfügte der Beschwerdeführer im Bescheiderlassungszeitpunkt über keinen Aufenthaltstitel. Soweit die Beschwerde offenbar in diesem Zusammenhang ausführt, dass der Beschwerdeführer "nach Primärrecht Niederlassungsfreiheit" genieße, ist dies nicht nachvollziehbar. Es ist daher nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde zum Ergebnis gelangte, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthalts und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Die Beschwerde richtet sich vor allem gegen die von der belangten Behörde im Sinn der genannten Bestimmungen vorgenommene Interessenabwägung und bringt dazu vor, dass der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1992 sozial und beruflich in Österreich integriert sei. Er habe "aufgrund innerstaatlicher Gesetze" auch nach dem Jahr 1996 legal gearbeitet. Vor seiner Anstellung im Jahr 2002 habe sich sein Arbeitgeber beim Arbeitsmarktservice informiert und die Zusage erhalten, dass der Beschwerdeführer arbeiten dürfe. Diese Arbeit habe ihn in Österreich "besonders aufenthaltsverfestigt", gehe er doch einer geregelten Arbeit nach und falle dem Staat nicht zur Last.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, tritt er doch nicht ausreichend konkret der Feststellung entgegen, dass ihm lediglich bis März 1997 ein Befreiungsschein erteilt worden sei. Wenn auch das über den Beschwerdeführer verhängte, auf fünf Jahre befristete Aufenthaltsverbot bereits im März 2002 abgelaufen ist, wies die belangte Behörde zu Recht darauf hin, dass die vom Beschwerdeführer erlangte Integration in ihrem Gewicht schon deshalb zu relativieren sei, weil sie wesentlich auf eine - auch gerichtlich für nichtig erklärte - Scheinehe zurückzuführen sei.

Die belangte Behörde hat auch den - bei Erlassung des angefochtenen Bescheids - etwa siebzehnjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland und seine familiären Bindungen ausreichend berücksichtigt und aus diesem Grund einen mit der Ausweisung einhergehenden "starken Eingriff" in das Privatleben des Beschwerdeführers angenommen. Dabei ist im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht die bloße Aufenthaltsdauer allein maßgeblich, sondern anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit ein Fremder die in Österreich verbrachte Zeit dazu genutzt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0242). Die Beschwerde stellt jedoch keine - über eine Berufstätigkeit hinausgehende - soziale Integration des Beschwerdeführers in Österreich dar. Vielmehr ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid, dass der Beschwerdeführer auch im Jahr 2008 noch unter Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache einvernommen werden musste.

Zu Recht verwies die belangte Behörde aber auch darauf, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt. Gegen diese Normen hat der Beschwerdeführer jedoch massiv und wiederholt verstoßen, indem er zunächst eine Ehe bloß zur Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile und des Zugangs zum Arbeitsmarkt einging und anschließend entgegen dem gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbot im Inland verblieb. Ein Zustellmangel bei Erlassung des Aufenthaltsverbotsbescheides wird durch die Beschwerde nur unsubstantiiert behauptet, sodass keine Bedenken an der mit der Aktenlage in Einklang stehenden Feststellung der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot rechtswirksam erlassen wurde, bestehen.

Darüber hinaus war der Beschwerdeführer nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid zwischen 1997 und 2008 im Bundesgebiet nicht behördlich gemeldet. Vor diesem Hintergrund konnte der Beschwerdeführer - trotz seiner langen Berufstätigkeit in Österreich - nie darauf vertrauen, bei Kenntnis der Fremdenpolizeibehörde von seinem Aufenthalt weiterhin hier verbleiben zu dürfen. Die somit während unsicheren Aufenthalts erlangte Integration ist daher in ihrem Gewicht entscheidend relativiert. Überdies entzog er sich seiner Abschiebung zuletzt auch dadurch, dass er seine Ausreisewilligkeit vorgab und der Behörde ein Rückflugticket vorlegte, anschließend Österreich jedoch nicht verließ.

Es ist der belangten Behörde daher nicht entgegenzutreten, wenn sie trotz des langen - überwiegend unrechtmäßigen - Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und seiner Berufstätigkeit letztlich zum Ergebnis gelangte, dass die Interessen des Beschwerdeführers nicht ein solches Gewicht erreichten, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen.

Zusammenfassend ist es somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde dem privaten Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich kein höheres Gewicht beimaß als dem von ihm erheblich beeinträchtigten öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen. In der Beschwerde werden schließlich auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am