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VwGH vom 29.03.2017, Ro 2015/15/0004

VwGH vom 29.03.2017, Ro 2015/15/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, über die Revision der S T GmbH in L, vertreten durch die Metzler & Partner Steuer- und Wirtschaftsberatung GmbH in 6900 Bregenz, Dorf Rieden 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/1100358/2012, betreffend Körperschaftsteuer 2008 und 2009, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Die mit Erklärung vom errichtete revisionswerbende österreichische GmbH ist Rechtsnachfolgerin der S GmbH, einer nach deutschem Recht gegründeten und in den Jahren 2002 und 2003 (ausschließlich) in Deutschland tätigen GmbH.

2 Mit Eingabe vom teilte die S GmbH dem (zuständigen österreichischen) Finanzamt mit, dass sie zum "mit ihrer Betriebsstätte nach Österreich" gezogen sei. Seit erfolgten die Auftragsannahme und - abwicklung, sowie die Produktion und der Versand von Österreich aus. Ungeachtet der Verlagerung ihrer Tätigkeit nach Österreich behielt die S GmbH ihren deutschen Sitz bei, wobei es im Laufe des Jahres 2010 zu einer Sitzverlegung innerhalb Deutschlands kam. 2011 wurde die S GmbH grenzüberschreitend auf die Revisionswerberin verschmolzen.

3 Mit Körperschaftsteuerbescheiden für die Jahre 2008 und 2009 entsprach das Finanzamt dem Antrag der S GmbH, die in den Jahren 2002 und 2003 in Deutschland erzielten Verluste zum Abzug zuzulassen, nicht.

4 In ihren dagegen erhobenen Berufungen führte die S GmbH aus, dass sie ihre Tätigkeit in Deutschland mit Beginn 2004 eingestellt habe und seit diesem Zeitpunkt ihre gesamte betriebliche Tätigkeit durch die österreichische Zweigniederlassung betreibe. In Deutschland bestünde nur mehr eine Geschäftsadresse. Der letzte deutsche Jahresabschluss sei zum erstellt worden. Aus diesem ergebe sich nach Anpassung an die österreichischen Gewinnermittlungsvorschriften ein Verlustvortrag in Höhe von 109.356,99 EUR. Der Verlust könne in Deutschland nicht verwertet werden. Zusammen mit den österreichischen Verlustvorträgen der Jahre 2004 bis 2007 ergebe sich ein Verlustabzug für 2008 von 462.783,94 EUR.

5 Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung wurde das Vorbringen dahingehend ergänzt, dass die Geschäftsführung der S GmbH bereits ab dem Jahr 2002 vom österreichischen Wohnort des Alleingesellschafters aus ausgeübt worden sei. Damit sei die S GmbH bereits seit Anfang 2002 in Österreich der unbeschränkten Steuerpflicht unterlegen.

6 In seiner abweisenden Berufungsvorentscheidung traf das Finanzamt die Feststellung, dass die S GmbH in den Jahren 2002 und 2003 tatsächlich vom Ort der operativen Tätigkeit aus geleitet worden sei. Die S GmbH sei erst ab Begründung der österreichischen Niederlassung im Jahr 2004 in die unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich eingetreten. Verluste, die wie im Revisionsfall im Ausland vor Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht entstanden seien, kämen für einen Verlustabzug nicht in Betracht.

7 Die Revisionswerberin (als Rechtsnachfolgerin der S GmbH) trat in ihrem Vorlageantrag diesen Ausführungen auf der Sachverhaltsebene mit neuem Vorbringen zur mangelnden Eignung des deutschen Geschäftsführers zur Leitung der GmbH entgegen. Dass der deutsche Geschäftsführer den Erwartungen des Alleingesellschafters und Mitgeschäftsführers nicht entsprochen habe, habe schließlich auch zur Verlegung des Betriebes nach Österreich geführt. Im Laufe des weiteren Verfahrens erstattete die Revisionswerberin auch Vorbringen zu der ihrer Ansicht nach gegebenen "Finalität" der in Deutschland erlittenen Verluste. Im Jahr 2004 sei bereits eindeutig klar gewesen, dass die Verluste aus den Jahren 2002 und 2003 in Deutschland faktisch nicht mehr verwertet werden könnten. Eine Verlustverwertung sei in Österreich auf Grund der positiven Ergebnisse in den Jahren 2008 und 2009 möglich. Eine Wegzugsbesteuerung im Jahr 2004 sei in Deutschland nicht vorzunehmen gewesen, weil eine allfällige Bemessungsgrundlage null betragen hätte. Der deutsche Sitz sei beibehalten worden, weil noch nicht klar gewesen sei, wie sich die Geschäftstätigkeit in Österreich entwickeln werde und ob die S GmbH dann in Zukunft liquidiert, verschmolzen oder was auch immer werde. Mittlerweile sei bekannt, dass die S GmbH 2011 grenzüberschreitend mit der Revisionswerberin verschmolzen sei.

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die als Beschwerden zu behandelnden Berufungen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

9 Zunächst stellte das Bundesfinanzgericht fest, dass die S GmbH erst am nach Österreich in die unbeschränkte Steuerpflicht "gewechselt" sei. Vor diesem Zeitpunkt habe in Österreich keine Betriebsstätte bestanden. Bis 2003 seien nur in Deutschland Körperschaftsteuererklärungen eingereicht worden. Auch die Tatsache, dass sich der Gesellschafter-Geschäftsführer (in den Verlustentstehungsjahren) jeweils mehr als 183 Tage pro Jahr in Griechenland aufgehalten habe und der deutsche Geschäftsführer ihm täglich, spätestens wöchentlich, habe berichten müssen, spräche dafür, dass sich die Oberleitung der S GmbH in den Jahren 2002 und 2003 (jedenfalls) nicht in Österreich befunden habe. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass der Großteil der die S GmbH betreffenden Entscheidungen des Gesellschafter-Geschäftsführers für die Jahre vor 2004 nicht in Österreich, sondern in Griechenland getroffen worden sei.

10 Da die S GmbH erst seit 2004 in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig sei, kämen die in den Jahren 2003 und davor in Deutschland erzielten Verluste weder für einen Verlustausgleich noch für eine Verlustverrechnung in Betracht. Anders als bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die ihre im Ausland erlittenen Verluste bei der Einkommensermittlung - solange keine Verlustverwertung im Ausland Platz greife - geltend machen könnten, könnten Steuertatbestände, die vor dem Eintritt in die Besteuerungshoheit verwirklicht werden, dem Grunde nach keine Berücksichtigung finden (Hinweis auf Achatz/Kirchmayr, § 21 KStG Tz 144). Selbst wenn man davon ausginge, dass ausländische Verluste auf Grund des Unionsrechts nach dem Wechsel in die unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich verwertet werden könnten, gälte dies nur für finale Verluste. Aus den Ausführungen der steuerlichen Vertreterin der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung ginge hervor, dass bis zur Verschmelzung im Jahr 2011 nicht definitiv festgestanden sei, was mit der S GmbH passieren werde. Der Alleingesellschafter habe sich alle Optionen - einschließlich Reaktivierung der Tätigkeit in Deutschland - offengehalten. Die in Deutschland aufgelaufenen Verluste seien daher erst im Jahr 2011 final geworden. Eine Verlustberücksichtigung in den Streitjahren 2008 und 2009 scheide jedenfalls aus.

11 Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage existiere, ob ausländische Verluste einer Körperschaft, die vor der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich entstanden sind, nach dem Wechsel in die unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich verwertet werden können.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision, zu der das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:

13 Unbeschränkt steuerpflichtig sind gemäß § 1 Abs. 2 KStG 1988 Körperschaften, die im Inland ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz haben. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte im Sinne des § 2 EStG 1988.

14 Bei Körperschaften, die im Inland weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz haben, erstreckt sich die Steuerpflicht gemäß § 21 Abs. 1 Z 1 KStG 1988 nur auf Einkünfte im Sinne des § 98 EStG 1988. Der inländische Besteuerungsanspruch wird - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Sondertatbeständen - bei Einkünften aus Gewerbebetrieb auf die Fälle eingeschränkt, in denen eine intensive sachliche oder personelle Beziehung zum Inland durch eine Betriebsstätte, einen ständigen Vertreter oder unbewegliches Vermögen besteht (vgl. Kofler/Tumpel in Achatz/Kirchmayr, KStG § 21 Tz 76).

15 Nach § 102 Abs. 2 Z 2 EStG 1988, auf den § 21 Abs. 1 Z 1 KStG 1988 verweist, steht der Verlustabzug (§ 18 Abs. 6 und 7) bei beschränkter Steuerpflicht nur für Verluste zu, die in inländischen Betriebsstätten entstanden sind, die der Erzielung von Einkünften im Sinne von § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 dienen, oder für Verluste, die aus unbeweglichem Vermögen im Sinne des ersten Satzes des § 98 Abs. 1 Z 3 EStG 1988 stammen. Er kann nur insoweit berücksichtigt werden, als er die nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkünfte überstiegen hat.

16 Einkünfte, die im Ausland vor Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich bezogen worden sind, sind zufolge § 21 Abs. 1 Z 1 KStG 1988 für die Bemessung der Körperschaftsteuer in Österreich nicht zu berücksichtigen; das Gleiche gilt für Verluste, die weder für einen Verlustausgleich nach § 7 Abs. 2 noch für einen Verlustabzug nach § 8 Abs. 4 KStG 1988 in Betracht kommen. Das gilt auch dann, wenn der beschränkt Steuerpflichtige in den Folgejahren unbeschränkt steuerpflichtig wird (vgl. Achatz/Bieber in Achatz/Kirchmayr, KStG § 7 Tz 101).

17 Die Revisionswerberin wendet sich nicht gegen die Feststellung des Bundesfinanzgerichtes, wonach die S GmbH in den Jahren 2002 und 2003 in Österreich weder über Sitz noch Geschäftsleitung verfügt hat und daher in Österreich lediglich beschränkt körperschaftsteuerpflichtig war. Unstrittig ist auch, dass die S GmbH die streitgegenständlichen Verluste der Jahre 2002 und 2003 durch ihre deutsche Betriebsstätte erzielt hat und erst 2004 in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig wurde.

18 Einkünfte, die die S GmbH in den Jahren 2003 und davor bezogen hat, waren nach § 21 Abs. 1 Z 1 KStG 1988 für die Bemessung der Körperschaftsteuer in Österreich nicht zu berücksichtigen. Daher stehen die in den Jahren 2003 und davor in Deutschland erzielten Verluste für einen Verlustabzug nach § 8 Abs. 4 KStG 1988 nicht zur Verfügung.

19 Die Revisionswerberin sieht in den genannten innerstaatlichen Bestimmungen einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV.

20 Zu Unrecht stützt sich die Revision in diesem Zusammenhang auf das , Nordea Bank Danmark A/S. Der EuGH bejahte in dem Urteil einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit, wenn anlässlich der Veräußerung einer ausländischen Betriebsstätte die zuvor für die veräußerte Betriebsstätte abgezogenen Verluste nachbesteuert werden, während bei einer unter den gleichen Bedingungen erfolgenden Veräußerung von im Inland gelegenen Betriebsstätten keine Nachbesteuerung erfolgt. Eine derartige Regelung gehe über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels der notwendigen Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse erforderlich sei, sofern der Mitgliedstaat die von der (ausländischen) Betriebsstätte vor ihrer Veräußerung realisierten Gewinne einschließlich der Gewinne besteuert, die aus dem bei der Veräußerung erzielten Wertzuwachs resultieren. In Rn. 24 des angeführten Urteils betont der EuGH, dass das Königreich Dänemark dadurch, dass es die Gewinne der in Finnland, Schweden und Norwegen gelegenen Betriebsstätten der dänischen Besteuerung unterzogen habe, diese Betriebsstätten den gebietsansässigen Betriebsstätten im Hinblick auf den Verlustabzug gleichgestellt habe.

21 Im Revisionsfall fehlte es an dieser Gleichstellung, weil die von der S GmbH in Deutschland erzielten Gewinne nicht der österreichischen Besteuerung unterlagen. Im Urteil vom , C-250/95, Futura Participations SAund Singer, hat der EuGH ausgesprochen, dass es nicht gegen Art. 52 EG-Vertrag (nunmehr Art. 49 AEUV) verstößt, wenn ein Mitgliedstaat den Verlustvortrag aus früheren Jahren bei einem Steuerpflichtigen, der in seinem Gebiet eine Zweigniederlassung, nicht aber seinen Sitz hat, davon abhängig macht, dass die Verluste in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Einkünften stehen, die der Steuerpflichtige in diesem Staat erzielt (Rn. 43). Nichts anderes kann für die streitgegenständlichen Verluste gelten, die in keinem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem von der S GmbH in Österreich erzielten Einkünften stehen (vgl. ).

22 Eine Bestätigung findet diese Ansicht im Urteil vom , C-388/14, Timac Agro Deutschland GmbH, in dem der EuGH unter Rn. 48 ausführt, dass die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen Mitgliedstaaten darauf abziele, die Symmetrie zwischen dem Recht zur Besteuerung der Gewinne und der Möglichkeit des Abzugs von Verlusten zu wahren. Die Niederlassungsfreiheit stehe einer nationalen Regelung nicht entgegen, die Verluste einer ausländischen Betriebsstätte unberücksichtigt lässt, sofern nach dem anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommen die Betriebsstättenergebnisse ausschließlich im Betriebsstättenstaat der Besteuerung unterliegen. Unter diesen Umständen sei eine nationale Regelung zulässig, die Verluste der im anderen Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte in die Bemessungsgrundlage der Steuer nicht einbezieht (Rn. 66).

23 Da der EuGH bereits die objektive Vergleichbarkeit einer im EU-Ausland belegenen Betriebsstätte mit einer inländischen Betriebsstätte verneint, wenn weder aufgrund des originär nationalen Rechts noch aufgrund von DBA Verluste ausländischer Betriebsstätten im Inland berücksichtigt werden, stellen sich Fragen der Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeit einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Beschränkung des Verlustabzuges nicht mehr. Folglich kommt es auf die in den Rechtssachen Marks & Spencer, C-446/03, und A Oy, C-123/11, behandelte Frage der ausnahmsweisen steuerlichen Berücksichtigung von finalen Verlusten unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht an.

24 Die gegenständlich strittigen Verluste wurden in einer deutschen Betriebsstätte von einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft zu einem Zeitpunkt erzielt, zu dem Österreich keinerlei Besteuerungsrecht an diesen Einkünften zukam. Nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität, verbunden mit einem zeitlichen Element, nämlich der Steueransässigkeit im Inland zu dem Zeitraum, zu dem der steuerpflichtige Verlust entstanden ist, ist Österreich nicht gehalten, die vor Begründung seiner Besteuerungshoheit entstandenen Verluste zu berücksichtigen (vgl. zum Fall des Verlustes der Besteuerungshoheit durch Sitzverlegung zwischen Mitgliedstaaten das , National Grid Indus BV, Rn. 58). Im Hinblick auf die bereits vorliegenden Urteile des EuGH sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst, der Anregung der Revisionswerberin, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, nachzukommen.

25 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

26 Ein Kostenzuspruch an die obsiegende belangte Behörde vor dem Bundesfinanzgericht hatte zu entfallen, weil von ihr kein Aufwandersatz verzeichnet wurde.

Wien, am