VwGH vom 12.09.2012, 2011/23/0308
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des D in W, vertreten durch Dr. Aleksa Paunovic, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 17/20, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/30.067/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Sie gründete dies im Wesentlichen auf die am durch das Landesgericht für Strafsachen Wien erfolgte Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs. 1 und 4 erster Satz, zweiter Fall StGB sowie der Vergehen nach den §§ 223 Abs. 2, 224; § 241 StGB und § 229 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten. Nach Darstellung der dieser Verurteilung zu Grunde liegenden Tathandlungen stellte die Bundespolizeidirektion Wien zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers fest, dass er verwitwet und für fünf Kinder sorgepflichtig sei. Diese lebten mit der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers an seiner Wohnadresse. Die Erstbehörde bejahte die Gefährdungsannahme des § 60 Abs. 1 FPG und sah ein Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbots gegenüber den Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, weil er keiner legalen Beschäftigung nachgehe, keine soziale Integration ersichtlich sei, er von einem inländischen Gericht zu einer nicht unerheblichen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden sei und bereits eine einschlägige Vorstrafe aufweise.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer u.a. aus, dass er für sechs Kinder sorgepflichtig sei. Jene aus seiner Ehe mit seiner verstorbenen Frau seien österreichische Staatsbürger; ein Kind entstamme der Beziehung mit seiner "bulgarischen Lebensgefährtin".
Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
Begründend stellte sie die Aufenthaltszeiten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet dar und führte aus, dass er seit Jänner 2005 über einen unbefristeten Niederlassungsnachweis verfüge. Nach Auflistung der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers und teilweiser Wiedergabe der diesen zu Grunde liegenden Tathandlungen erachtete die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG als verwirklicht. Das Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbots - vorbehaltlich der §§ 61 und 66 FPG - auch im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien.
Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, dass dieser sich seit dem Jahr 2002 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Im Inland befänden sich (nach seiner Scheidung) seine Lebensgefährtin, fünf Kinder des Beschwerdeführers sowie sein Vater. Es sei daher von einem mit der vorliegenden Maßnahme verbundenen Eingriff in das Privat- "bzw." Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und daher iSd § 66 Abs. 1 FPG zulässig.
Im Rahmen ihrer Interessenabwägung nahm die belangte Behörde darauf Bedacht, dass sich der Beschwerdeführer zuletzt seit mehr als sechs Jahren im Bundesgebiet aufhalte. Ungeachtet dessen könne er sich aber nicht mit Erfolg auf eine daraus ableitbare relevante Integration berufen. Diese erfahre bereits dadurch eine wesentliche Relativierung, als die dafür erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich gemindert werde. Zu den familiären Bindungen führte die belangte Behörde aus, dass vier Kinder des Beschwerdeführers über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügten. Er könne den Kontakt zu seiner Familie aber auch dadurch aufrechterhalten, dass er von dieser in seinem Heimatland besucht werde; allfällige Treffen könnten auch in einem Drittland stattfinden.
Die belangte Behörde kam davon ausgehend zum Ergebnis, dass die Auswirkungen der Erlassung eines Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers (und seiner Familie) keinesfalls schwerer wiegen würden als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und die mit einer Abstandnahme von dieser Maßnahme verbundenen nachteiligen Folgen. Abschließend verneinte die belangte Behörde die Möglichkeit, im Rahmen des Ermessens von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots Abstand nehmen zu können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Februar 2009) geltende Fassung des genannten Gesetzes.
Der Beschwerdeführer verfügte ab Jänner 2005 über einen Niederlassungsnachweis, der mit Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes am als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" bzw. "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" weiter galt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0165). Abgesehen davon, dass deshalb gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des - im Wege des § 61 Z 2 FPG anzuwendenden - § 56 Abs. 1 FPG hätte erlassen werden dürfen (vgl. dazu grundlegend das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603), ist der belangten Behörde aber vor allem anzulasten, dass sie die nach § 66 FPG gebotene Interessenabwägung nur mangelhaft vorgenommen hat. So nahm sie aktenwidrig an, dass die Ehe des Beschwerdeführers geschieden worden sei, und unterstellte (offenbar deshalb), seinen Kindern wäre eine Trennung zumutbar. Demgegenüber ergibt sich sowohl aus dem erstinstanzlichen Bescheid als auch aus der Berufung, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers und Mutter von fünf mit dem Beschwerdeführer gemeinsamen Kindern (im Jahr 2005) verstorben ist. Dies lässt sich auch insoweit mit der Aktenlage in Einklang bringen, als der Beschwerdeführer nach dem Sozialversicherungsauszug seit dem Jahr 2005 eine Witwerpension bezieht.
Da der Beschwerdeführer somit einziger (lebender) Elternteil seiner ehelichen Kinder ist, hätte sich die belangte Behörde unter dieser Prämisse mit den Auswirkungen der Erlassung eines Aufenthaltsverbots auf die - großteils minderjährigen - Kinder des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen und insbesondere zu klären gehabt, inwieweit die Kinder auf die Pflege und Obsorge durch den Beschwerdeführer angewiesen sind. Der Umstand, dass die Kinder des Beschwerdeführers aus seiner Ehe mit der verstorbenen österreichischen Staatsbürgerin derzeit mit seiner Lebensgefährtin - und mit dem gemeinsamen Kind - in einem Haushalt wohnen, lässt nämlich noch nicht jedenfalls den Schluss zu, dass deren Betreuung auch im Fall der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers sichergestellt und aufrechterhalten würde.
Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das über den Schriftsatzaufwand hinausgehende Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG im Hinblick auf die bewilligte Verfahrenshilfe nicht entrichtet wurde.
Wien, am